Die Icons verschiedener sozialer Netzwerke auf einem Handybildschirm
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Social-Media-Nutzung in Deutschland
Entscheidend sind der Netzwerkeffekt – und die Usability

Welche Social-Media-Plattformen sind den Deutschen und besonders Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wichtig? Ein Überblick.

Von Jens Vogelgesang 06.02.2023

#loveislove

Am 16. Januar 2023 machten die CDU-Bundestagspolitiker Sepp Müller und Wolfgang Stefinger ihre Paarbeziehung bekannt. Sie taten dies mit zwei wortgleichen Tweets, die beide um 17 Uhr auf Twitter veröffentlicht worden sind. Zu diesem Zeitpunkt hatten beide Tweets zusammen rund 10.000 Likes. Am 17. Januar 2023 titelte dann Spiegel-Online: "Unionsabgeordnete machen Beziehung öffentlich – 'Aus Freundschaft wurde bei uns Liebe': Sepp Müller und Wolfgang Stefinger sitzen gemeinsam im Bundestag. Nun haben sich die Fraktionskollegen als Paar geoutet – und erhalten zahlreiche Glückwünsche." Seit der Veröffentlichung dieser Nachricht in den klassischen Nachrichtenmedien verzeichnet die Twitter-Statistik, dass über eine Million Menschen einen der beiden Tweets angeschaut haben. Es liegt auf der Hand, dass eine Vervielfachung der Reichweite von Twitter-Posts wie bei den CDU-Bundestagspolitikern nicht die Regel, sondern eher eine Seltenheit ist.

#socialmedia_publikum

Die Mediaforschung der öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanstalten veröffentlicht regelmäßig Zahlen über Reichweite, Nutzungsdauer und Inhaltspräferenzen des deutschen Social-Media-Publikums. Laut Statistischem Bundesamt (Stand: 31. Dezember 2021) umfasste die Gruppe der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren 72,4 Millionen Menschen. Nach Angaben der ARD/ZDF-Online-Studie 2022 gaben 50 Prozent der ab 14-Jährigen an, mindestens einmal die Woche Social Media genutzt zu haben – dies sind hochgerechnet auf die Grundgesamtheit 36,2 Millionen Menschen.

#socialmedia_plattformen

Die ARD/ZDF-Online-Studie 2022 gibt sehr spezifisch darüber Auskunft, welche Social-Media-Plattformen eine besonders hohe Reichweite in der Bevölkerung ab 14 Jahren haben.
Bei der Frage nach der täglichen Nutzung von Social-Media-Plattformen unterscheiden sich die Top 5 der Durchschnittsbevölkerung und der 14- bis 19-Jährigen in ihren Reihenfolgen nur marginal. 21 Prozent des Bevölkerungsdurchschnitts nutzten täglich Instagram, gefolgt von Face­book mit 20 Prozent, Snapchat und TikTok mit jeweils 8 Prozent sowie Twitter mit 4 Prozent. Bei den 14- bis 19-Jährigen ist Instagram mit 56 Prozent die Social-Media-Plattform, die am häufigsten täglich genutzt wird, gefolgt von Snapchat (36 Prozent), TikTok (29 Prozent), Facebook (24 Prozent) und Twitter (8 Prozent).

#inselfrage

In der deutschen Mediaforschung gibt es die Tradition, den Menschen die sogenannte "Inselfrage" zu stellen, um auf diese Weise die Unverzichtbarkeit eines Medienangebots messen zu können. Auf die Frage der ARD/ZDF-Online-Studie 2022, für welches Social- Media-Angebot man sich entscheiden würde, dürfte man nur noch eines davon nutzen, zeigen sich signifikante Generationenunterschiede. Von allen Befragten gaben 37 Prozent an, sich in diesem Fall für Instagram zu entscheiden. Wertet man die "Inselfrage" altersspezifisch aus, gaben 48 Prozent der 14- bis 19-Jährigen und 39 Prozent der 30- bis 49-Jährigen an, sich für Instagram zu entscheiden, während 69 Prozent der ab 50-Jährigen Facebook als Social-Media-Plattform den Vorzug geben würden.

#twitter

Auch wenn hierzu keine Studien vorliegen, ist im Zuge der Beobachtung des politischen Kommunikationsalltags davon auszugehen, dass für Politikerinnen und Politiker sowie Journalistinnen und Journalisten höchstwahrscheinlich Twitter unverzichtbar wäre, stellte man ihnen die Inselfrage. Für beide gesellschaftlichen Gruppen stellt Twitter ein Elitenetzwerk dar, bei dem sie sehr genau abwägen, welchem Twitter-Account sie folgen (das gleiche Prinzip gilt sicherlich auch für Instagram). Die Kurzformel zum Verstehen dieses Elitenetzwerks heißt: Journalistisches Spitzenpersonal folgt politischem Spitzenpersonal – und umgekehrt. Die Twitter-Accounts dieses Spitzenpersonals zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur wenigen, für ihre Arbeit aber enorm wichtigen Personen auf Twitter folgen. Sowohl Journalismus als auch Politik beobachten permanent ihre gegenseitigen Twitter- bzw. Instagram-Aktivitäten. Sobald zwei Bundestagspolitiker ihre Partnerschaft per Twitter bekannt geben, können sie davon ausgehen, dass Sekunden später diese Nachricht über alle Ticker läuft und eine Minute später "Bild" und "Spiegel" dies auf ihrer Homepage berichten.

#highfrequencynews

Öffentliche Kommunikation folgt in ihrer Aktualität schon lange nicht mehr den gängigen Publikationszyklen täglich erscheinender Medien. Selbst stündlich oder halbstündlich gesendete Nachrichten im linearen Radio oder Fernsehen können mit der Dynamik von Durchstechereien bei vertraulichen Parteitreffen und deren Veröffentlichung auf Twitter nicht mithalten, wie im Buch "Machtverfall" von Robin Alexander eindrucksvoll geschildert. Die Geschwindigkeit, mit der – hoffentlich durch eine zweite Quelle bestätigte – Neuigkeiten auf Social-Media-Plattformen veröffentlicht und dann von anderen Journalistinnen und Journalisten aufgegriffen werden, erinnert an den Hochfrequenzhandel der New Yorker Wall Street. In diesem Zusammenhang hat der Münchener Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius jüngst die berechtigte Frage gestellt: Was ist denn eigentlich noch die Nachricht, wenn diese innerhalb eines Tages mehrfach aktualisiert wird?

#JIM-Studie_2022

Die JIM-Studie, die zuletzt 2022 im Auftrag der Landesmedienanstalt für Baden-Württemberg (LFK), der Medienanstalt Rheinland-Pfalz und dem Südwestrundfunk durchgeführt worden ist, untersucht regelmäßig unter anderem die Nutzung von Social-Media-Plattformen von 12- bis 19-Jährigen. Die Jugendlichen, die das Internet nutzen, konnten im Rahmen der Befragung drei Apps nennen, die ihnen am wichtigsten sind: Instagram (31 Prozent), TikTok (24 Prozent) und Youtube (23 Prozent). Allerdings wurden bei dieser Abfrage nicht nur Social-Media-Plattformen, sondern auch Messenger Apps abgefragt. Die wichtigste App der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland ist Whats­App mit 79 Prozent.

Fragt man die Jugendlichen, welche Social-Media-Plattformen sie täglich oder wöchentlich nutzen, um sich über das aktuelle Tagesgeschehen zu informieren, nennen sie insbesondere: Instagram (30 Prozent), TikTok (25 Prozent), Youtube (22 Prozent), aber auch Snapchat (13 Prozent).

#wissenschaftsbarometer

So wie die öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstalter und Online-Anbieter regelmäßig Studien zur Reichweite und Nutzung von Medien durchführen und veröffentlichen, führt die Initiative Wissenschaft im Dialog – die von führenden deutschen Wissenschaftsorganisationen, Verbänden und Wissenschaftsförderern getragen wird – mit dem Wissenschaftsbarometer seit 2014 jährliche Befragungen in Deutschland durch. Als Grundgesamtheit dient jeweils die deutschsprachige Wohnbevölkerung in Privathaushalten ab 14 Jahren. Mit dem Wissenschaftsbarometer 2018 wurde ermittelt, über welche Wege sich die Bevölkerung im Internet über Wissenschaft informiert. 41 Prozent der Befragten gaben an, sich sehr häufig beziehungsweise häufig über Websites oder Mediatheken von Nachrichtenmedien über Wissenschaft zu informieren. Im Jahr 2021 lag dieser Wert bei 48 Prozent. Im Vergleich dazu spielten Social- Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder andere soziale Netzwerke zwischen 2018 und 2021 mit Werten zwischen 14 Prozent und 15 Prozent eine untergeordnete Rolle, wenn es darum ging, sich über Wissenschaft und Forschung zu informieren. Im Zeitvergleich fällt jedoch auf, dass der Anteil derjenigen Befragten, die sich sehr häufig beziehungsweise häufig mithilfe von Youtube über Wissenschaft informieren, von 23 Prozent im Jahr 2018 auf 33 Prozent im Jahr 2021 angewachsen ist.

#scientists_on_social_media

Die von Anne Hennig und Sarah Kohler im Jahr 2020 veröffentlichte Befragung von über 1.100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an 21 Volluniversitäten gibt einen Einblick, welche Rolle spezifische Social-Media-Plattformen im wissenschaftlichen Berufsalltag spielen. Generell werden alle bekannten Social-Media-Plattformen mindestens wöchentlich oder häufiger genutzt, um an Informationen über die eigene Forschung zu gelangen: Twitter (45 Prozent), Youtube (30 Prozent), Blogs (27 Prozent), Facebook (26 Prozent), Podcasts (24 Prozent) und Instagram (15 Prozent).
Die Studie zeigt sehr eindrucksvoll, welche besondere Rolle die Social-Media-Plattform Twitter im wissenschaftlichen Alltag ausfüllt. Die Befragten gaben an, wöchentlich oder häufiger Twitter zu nutzen, um mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (24 Prozent) und mit Kolleginnen und Kollegen aus dem beruflichen Umfeld zu kommunizieren (17 Prozent) oder sich mit wissenschaftsexternen Expertinnen und Experten über Forschung auszutauschen (16 Prozent).

#mastodon

Im Zuge der Übernahme von Twitter durch Elon Musk und damit verbundenen fragwürdigen Unternehmensentscheidungen (zum Beispiel Entlassungen von Personal, Änderung von Verifizierungsrichtlinien, Freischaltung des Kontos von Donald Trump, Sperrung von Journalistinnen und Journalisten und so weiter) zog eine bislang eher unbekannte Social-Media-Plattform namens Mastodon die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Laut der Onlinenachrichtenseite "golem.de" hatte Mastodon vor der Übernahme im Oktober 2022 von Twitter durch Elon Musk 500.000 Nutzerinnen und Nutzer. Als Open-Source-Netzwerk wurde Mastodon als Alternative zu Twitter angesehen, was sich im signifikanten Anstieg der Zahlen widerspiegelte. Anfang Januar 2023 hatte Mastodon laut dem Guardian 1,8 Millionen aktive Nutzer, was einem Rückgang von 30 Prozent gegenüber seinem Höchststand von über 2,5 Millionen aktiven Nutzern Anfang Dezember 2022 entspricht. Bei aller Hoffnung auf Vielfalt bei Social-Media-Plattformen: Im Jahr 2021 belief sich die Zahl der weltweiten Twitter-Nutzerschaft auf etwa 350 Millionen. Twitter profitiert gegenüber Mastodon – trotz aktuell nicht immer nachvollziehbarer Entscheidungen des Eigentümers – schlicht vom klassischen positiven Netzwerkeffekt: Der Nutzen eines Social-Media-Accounts steigt, je größer die Nutzerschaft.

#twitter_vs_mastodon

Ob man von Twitter zu Mastodon wechselt, hat zunächst mit der Frage zu tun, ob die eigene "community" den Wechsel mitmacht und sich dort auch registriert. Ein Wechsel kann trotz Aufforderung zum Wechsel daran scheitern, dass Neulinge mit der "usability" von Mastodon nicht gut zurechtkommen. Mastodon ist ein dezentral organisiertes Netzwerk (genannt Fediverse – ein Kofferwort aus "Federation" und "Universe"), das aus über 3.000 unabhängigen, aber miteinander verbundenen Servern besteht, die auch als Instanzen bezeichnet werden. Um Mastodon nutzen zu können, muss man sich einmalig auf einer dieser Instanzen anmelden. Anschließend kann man mit allen Personen auf Mastodon kommunizieren. Statt 280 Zeichen bei Twitter erlaubt Mastodon sogar 500 Zeichen. Nachrichten werden bei Mastodon streng chronologisch geordnet. Etwas verwirrend für Neulinge könnten dabei die drei Zeitleisten bei Mastodon sein. Die persönliche Zeitleiste listet Nachrichten, die einen selbst betreffen. Die lokale Zeitleiste enthält Inhalte, was auf der gewählten Instanz "getootet" wird (bei Twitter heißt der Toot lautmalerisch Tweet). In der föderierten Zeitleiste sind Nachrichten darüber zu lesen, was auf anderen Instanzen passiert, die mit dem gewählten Server zusammenarbeiten.

#tiktok

Wer sich nicht mit der Frage herumschlagen möchte, ob nun Twitter oder Mastodon besser geeignet ist für die eigene Wissenschaftskommunikation, suche auf TikTok einfach den Account @dieprofessorin von Judith Ackermann. Sie hat aktuell fast 17.000 Follower und zeigt sehr eindrucksvoll, wie man mit einer Social-Media-Plattform publikumswirksam mit Studierenden kommuniziert.