Wissenschaftler auf dem Eis während der Polarnacht: Sie sind nur als dunkle Gestalten im Schein ihrer Stirnlampen zu erkennen.
Alfred-Wegener-Institut / Esther Horvath

Wissenschaftskommunikation
Im Schein der Stirnlampe fotografiert

Esther Horvath hat die Arktis-Expedition "Mosaic" fotografisch begleitet. Ein Gespräch über Bilder, die Forschung abbilden und Geschichte machen.

Von Charlotte Pardey 19.11.2021

Forschung & Lehre: Sie haben dreieinhalb Monate auf dem Forschungsschiff "Polarstern" des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) fotografiert. Mit Ihren Bildern erzählen Sie die Geschichten, die hinter der Forschung stehen. Was können Bilder bewirken, was Zahlen und Aufsätze nicht können?

Esther Horvath: Ein Beispiel, das ich bei meiner Arbeit als Inspiration und Motivation immer vor Augen habe, ist das Bild der Mondlandung. Die Mondlandung war einer der größten Erfolge der Menschheit und in ihrem Zusammenhang gibt es unheimlich viele wissenschaftliche Publikationen beispielsweise dazu, wie die Mission geplant wurde. Wenn wir aber an die Mondlandung denken, dann nicht an wissenschaftliche Artikel oder Zahlen. Wir denken an ein einziges Bild: Wir sehen Neil Armstrong auf dem Mond. Das zeigt die Kraft der Fotografie: Sie erlaubt uns, wissenschaftliche Nachrichten mit Bildern zu transportieren. Wir können eine Sprache schaffen, die keine Grenzen hat. Wenn wir zum Beispiel von Meereisdicke, Methanmessungen oder Permafrost sprechen, und das auf Fotos darstellen, dann können Betrachter leichter eine Verbindung herstellen.

Portraitfoto der Fotografin Esther Horvath.
Esther Horvath ist dokumentarische Fotografin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Im Jahr 2020 gewann sie mit einem Foto von der Mosaic-Expedition bei World Press Photo in der Einzelkategorie Environment. Alfred-Wegener-Institut / Esther Horvath

F&L: Sie konzentrieren sich als Fotografin besonders auf die Klimaforschung, die an Polarregionen betrieben wird. Was fasziniert sie daran?

Esther Horvath: Seit 2015 arbeite ich in den Polarregionen und begleite wissenschaftliche Expeditionen, die zu Klimaveränderungen forschen. Wir wissen, dass die Arktis die Umwelt ist, die sich am schnellsten ändert, aber woher wissen wir das? Wer sagt das? Von wo kommen diese Informationen? Mein Ziel ist es, Menschen zu zeigen, die ihr Leben damit verbringen, dass sie 20, 30 oder sogar 40 Jahre jeden Tag die gleiche Forschung ausführen, auch am Wochenende und an Weihnachten, um wichtige wissenschaftliche Daten zu schaffen und Veränderungen aufzuzeichnen. Zum Beispiel in Spitzbergen, dem Epizentrum globaler Erwärmung: Dort sind die Durchschnittstemperaturen im Winter in den letzten 30 Jahren um sechs bis acht Grad Celsius gestiegen. Jeden Tag um zwölf Uhr mittags lassen Forschende des AWI einen Wetterballon starten, ihre Arbeit möchte ich zeigen und so die Geschichte des Klimawandels erzählen. Bei meinen Fotografien stehen immer die Menschen im Mittelpunkt, also einerseits die Forschenden, aber auch diejenigen, die rundherum die Expedition ermöglichen. Durch ihr Leben und ihre Arbeit während der Expedition möchte ich Aufmerksamkeit wecken. Die Antarktis scheint so weit entfernt, dabei hat das, was dort passiert, einen Einfluss auf unser aller Leben, genau wie die Art und Weise, wie wir etwa hier in Deutschland leben, einen Einfluss auf die Polarregionen hat. Ein Bewusstsein für diese Verbindung möchte ich mit meinen Fotos herstellen.

F&L: Sie setzen sich selbst intensiv mit der Polar- und Klimaforschung auseinander. Warum?

Esther Horvath: Ja, ich lese viele Studien in meiner Freizeit. Diese Auseinandersetzung ist mir extrem wichtig, ohne könnte ich meine Arbeit nicht machen. Hinter jedem Foto soll eine Geschichte stehen: es soll einen Blick hinter die Kulissen der Klimaforschung ermöglichen. Ich mache keine Schnappschüsse. Ich überlege, was ich zeigen und kommunizieren möchte, wie ein Motiv in meine Geschichte passt. Deshalb ist es wichtig, dass ich mich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auskenne. Sie helfen mir auch im Umgang mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und ich kann mich besser ins Team integrieren. Die Forschenden merken, dass ich mich auskenne und mich für ihre Arbeit interessiere.

F&L: Inwiefern richtet sich Ihre Arbeit nach den Forschenden?

Esther Horvath: Ich habe vor jeder Reise Ideen, was ich schaffen und fotografieren möchte. Wenn ich dann vor Ort bin, werden auch Wünsche oder Ideen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an mich herangetragen. Manchmal passiert es, dass mir etwas nicht auffällt, ein Instrument oder ein Arbeitsschritt. Dann sagen mir die Forschenden, dass das Motiv wichtig für die Dokumentation sein könnte. Es ist mir sehr wichtig, dass ich so etwas mitkriege. Dafür stehen wir in ständigem Austausch. Wenn wir auf eine Reise gehen, haben wir die gleiche Mission.

F&L: Bei Polarexpeditionen waren von Anfang an Künstler dabei: Maler, Fotografen. Inwiefern sehen Sie sich da in einer langen Tradition?

Esther Horvath: Von Fridjof Nansens Fram-Expedition Ende des 19. Jahrhunderts gibt es ein Buch mit 800 Fotografien. So haben wir einen Einblick, wie die Expedition ausgeschaut hat. Ich sehe auch in meiner Arbeit eine wichtige historische Aufgabe. Die Fotos der Mosaic-Expedition sind die ersten Farbfotos, die von einer Expedition in der Polarnacht gemacht und breit publiziert wurden. Ich betrachte meine Arbeit und Fotos aber auch in einer anderen Weise als "historisch": Beim Projekt "Ice Bird" des AWI, das die Meereisdicke und ihre Veränderungen dokumentiert, mache ich Landschaftsaufnahmen aus dem Flugzeug. Das Projekt läuft seit 2001, seit 2016 begleite ich es. Das Meereis, das ich fotografiere, ist dabei zu verschwinden. Noch zu unseren Lebzeiten werden wir wahrscheinlich beobachten, dass es Sommer gibt, in denen kein Meereis im arktischen Ozean liegt. Aktuell glauben Forschende, dass das etwa 2035 geschehen könnte.

F&L: Vor welchen Herausforderungen stehen Sie, wenn Sie Bilder in der Arktis machen?

Esther Horvath: Die Herausforderung für mich ist, immer wieder etwas anders zu machen, eine neue visuelle Sprache zu schaffen, aus einem anderen Blickwinkel zu fotografieren. Sonst kann es langweilig werden. Indem ich eine neue Perspektive finde, entstehen weitere Ausstellungen und neue Aufmerksamkeit. Das ist aber auch eine schöne Aufgabe, die ich sehr gerne mache. Ich lasse mich von Gemälden in kunsthistorischen Museen inspirieren. Vor der Mosaic-Expedition war ich in der Kunsthalle Hamburg. Rembrandt ist einer meiner Lieblingsmaler. Ich habe einen Druck des Bildes "Amor mit Seifenblasen" als Inspiration mitgenommen und es über meinen Computer gehängt. Es war mein Ziel, das Licht und die Stimmung, die man in diesem Bild sieht, in meinen Fotografien zu zeigen.

F&L: Dabei sind die Bilder entstanden, die nun auch die Ausstellung "Polarnight" bilden. Sie haben während der Polarnacht fotografiert, während der es für Monate 24 Stunden dunkel ist. Wie war das?

Esther Horvath: Es ist schon etwas paradox: Während der Polarnacht gibt es kein natürliches Licht, das wir eigentlich zum Fotografieren brauchen. Bei der Mosaic-Expedition habe ich statt des Tageslichts beispielsweise die Stirnlampen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer genutzt und dann innerhalb dieses Lichtkegels fotografiert. Das schönste war, wenn eine Wissenschaftlerin eine andere mit der Stirnlampe angeleuchtet hat. Teilweise waren die Bewegungen sehr schnell, da musste ich gut aufpassen. Die Polarstern hatte außerdem drei bewegliche Scheinwerfer, das ergab eine Lichtsituation, die etwas dem Studiolicht ähnelte. Die Scheinwerfer habe ich auch genutzt und mich nach ihrer Bewegung gerichtet. Für mich ist diese ständige schwarze Dunkelheit eines der schönsten Naturphänomene, die ich jemals gesehen habe. Sie fühlt sich an wie eine warme Decke und ist irgendwie beruhigend. Ganz anders als Dunkelheit in der Stadt. Im Sommer scheint in der Arktis 24 Stunden lang die Sonne. Da steht die Sonne dauerhaft tief über dem Horizont. Es entsteht ein oranges, sehr warmes Licht, das sehr lange Schatten wirft, was ich auch sehr mag.

Ausstellung "Polarnight" bei COP26

Die Klimakonferenz der Vereinten Nationen, UN Climate Change Conference UK 2021 (COP26) fand vom 31. Oktober bis 12. November 2021 in Glasgow statt. Sie hatte das Ziel, einen effektiven Klimaschutz in die Wege zu leiten. Die teilnehmenden Regierungen haben detaillierte Regeln für die globale Umsetzung des Pariser Klimaabkommens verabschiedet, die im "Glasgow Climate Pact" getroffenen Klimazusagen werden allerdings vielfach als schwach betrachtet.

Esther Horvaths Bilderserie "Polarnight" wurde in der "Blauen Zone" der Konferenz ausgestellt, wo Klimafachleute, Aktivisten und Politiker die Gespräche und Verhandlungn geführt hatten. Horvath hatte sich dafür als eine von 14 Ausstellern unter 7.000 Bewerbungen durchgesetzt.

F&L: Wie beeinflusst die Kälte das Fotografieren?

Esther Horvath: Die Ausrüstung und auch meine Hände leiden sehr stark. Erstaunlicherweise ist bei der Mosaic-Expedition nichts kaputt gegangen. Ich war immer mit zwei Kameras gleichzeitig draußen: Eine im Rucksack, die andere ausgepackt bei mir. Nach mehreren Stunden draußen, war meine jeweilige Spiegelreflexkamera aber gefroren, so dass ich mit der zweiten Kamera weiterarbeiten musste. Wenn ich dann nach sechs bis acht Stunden wieder an Bord gegangen bin, musste ich beide Kameras eingepackt langsam warm werden lassen. Ich habe mal bei einer anderen Expedition erlebt, was passiert, wenn man eine Kamera von einer Umgebungstemperatur von minus 42 Grad direkt in einen auf 20 Grad geheizten Raum mitnimmt: Es sammelte sich sofort Kondenswasser auf der Kamera. Die Kamera war aus Metall, das noch minus 42 Grad kalt war, so dass sich sofort eine Eisschicht um die komplette Kamera bildete. Ich habe zwei Stunden gebraucht, bis sie wieder Raumtemperatur hatte und musste sie dabei so trocken wie möglich halten und das Eis immer wieder abkratzen.

F&L: Können Sie sich erklären, warum Sie so leidenschaftlich für das Polareis sind?

Esther Horvath: Ich wurde in Ungarn geboren und bin noch hinter dem Eisernen Vorhang aufgewachsen. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, einmal in die Polarregion zu reisen. Obwohl ich schon als Sechsjährige davon träumte, denn ich hatte in einem wissenschaftlichen Magazin Bilder von Polarforschung gesehen. Bis heute finde ich diese eisige Welt extrem faszinierend, dort als Mensch unterwegs zu sein, in dieser sehr harschen und feindlichen, unwirtlichen Umwelt. Als ich sie 2015 zum ersten Mal gesehen habe, war ich extrem fasziniert von ihrer Schönheit, etwa von den Farben oder von der Veränderlichkeit des Eises. Durch die Sonne und die Wolken haben das Eis und das Wasser verschiedene Farben. Bei meiner ersten Expedition waren wir zunächst in einer Region mit sehr viel Eis, dann woanders und schließlich wieder an unserem Ausgangspunkt. Plötzlich war dort kein Eis mehr. So schnell driftet und schmilzt das Eis. Da habe ich innerlich eine Berufung gespürt, von der Schönheit des arktischen Ozeans zu erzählen, aber auch zu zeigen, wie zerbrechlich diese Landschaft ist.

F&L: Was macht für Sie gute Wissenschaftskommunikation aus und was sollte sie bewirken?

Esther Horvath: Gute Wissenschaftskommunikation sollte viele verschiedene Ebenen haben und ganz unterschiedliche Menschen erreichen: verschiedene Altersgruppen, Nationalitäten, Hintergründe und Interessen. Wenn ich an einem Projekt arbeite, überlege ich, wie die wissenschaftliche Kommunikation weitergehen soll. Ich frage mich, was ich erreichen möchte, wer meine Zielgruppe ist. Aktuell arbeite ich an einem Projekt mit dem Titel "Women of Arctic Science" wo ich Wissenschaftlerinnen und Expeditionsteilnehmerinnen portraitiere. Damit möchte ich auch Kinder und vor allem Mädchen erreichen. Diese Bilder sollten nicht nur in Museen für Erwachsene gezeigt werden, sondern auch beispielsweise in Kindermagazinen erscheinen. Ich möchte Kindern und Jugendlichen zeigen, dass wir alles schaffen können und dass es auch keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Männer und Frauen können beide alles schaffen.

F&L: Können Sie sich vorstellen auch andere Regionen zu fotografieren?

Esther Horvath: Ich kann mir schon vorstellen, ab und zu für Projekte in anderen Regionen zu fotografieren, wenn es auch um das Thema Klima geht. Ich habe beispielsweise eine Idee für ein Projekt in Costa Rica, das ich wegen Corona noch nicht anfangen konnte. Ich hoffe allerdings, dass das Polareis mein Hauptthema bleibt und ich weiter darüber sprechen und berichten kann.