Illustration eines traurigen Mannes, der auf einem Stuhl sitzt, über ihm ein gesplittertes Gehirn
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Studie
Jeder vierte deutsche Erwachsene fühlt sich sehr einsam

Die Hälfte der Deutschen wähnt sich in einer depressiven Phase. Eine Forscherin spricht über den Zusammenhang von Einsamkeit und Depression.

09.11.2023

Ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland fühle sich sehr einsam. Mehr als doppelt so viele (53 Prozent) befinden sich nach eigenen Angaben in einer depressiven Phase. Das ist das Ergebnis vom "Deutschland-Barometer-Depression 2023", welches am Dienstag vorgestellt wurde und der Deutschen-Presse-Agentur (dpa) vorliegt. Dass das Gefühl der Einsamkeit dieses Jahr im Vordergrund stehe, wertete die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention, welche die Studie zum siebten Mal in Auftrag gegeben hatte, weniger als Ursache und vielmehr als Symptom von Depressionen. Denn Betroffene zögen sich oft von ihrer Umwelt zurück.

Dr. Jana Lieberz, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sektion Medizinische Psychololgie am Universitätsklinikum Bonn, bestätigt gegenüber Forschung & Lehre, dass Einsamkeit ein "wichtiger Risikofaktor für das Ausbilden einer Depression" darstelle. Das hätten wissenschaftliche Studien bestätigt. Die Forschung habe allerdings noch viele Fragen an den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Depressionserkrankungen. Denn: "Jeder Mensch erlebt von Zeit zu Zeit Momente, Tage oder längere Zeiträume, in denen er oder sie sich einsam fühlt. Diese vorübergehenden Gefühle der Einsamkeit sind normal."

"Jeder Mensch erlebt von Zeit zu Zeit Momente, Tage oder längere Zeiträume, in denen er oder sie sich einsam fühlt. Diese vorübergehenden Gefühle der Einsamkeit sind normal." Dr. Jana Lieberz

Aus wissenschaftlicher Sicht sei noch unklar, erläutert Lieberz, wie lange das Gefühl der Einsamkeit anhalten müsse, bevor sich die von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe dargestellten negativen Folgen zeigten. "Ebenso ist unklar, ob es eine Art Cutoff-Punkt im Hinblick auf die Stärke der erlebten Einsamkeit gibt, ab dem sich negative gesundheitliche Folgen einstellen."

Ein Problem sei das Fehlen von einheitlichen Bewertungsmaßstäben für Einsamkeit. "Auch wenn in den vorliegenden Befunden ein Viertel der Befragten als 'sehr einsam' eingestuft wurde, gibt es wissenschaftlich keinen Konsens darüber, ab wann jemand als 'sehr einsam' gilt oder was 'sehr einsam' exakt bedeutet." 

Corona-Pandemie führte nicht zu andauernder Einsamkeit 

Lieberz weist darauf hin, dass für die Einordnung der Umfrage wichtig sei, auf die Entwicklung des Einsamkeitserlebens in Deutschland zu schauen, insbesondere im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie. "Aufgrund der ergriffenen notwendigen Schutzmaßnahmen zum Beispiel in Form von Lockdowns war die COVID-19 Pandemie unumgänglicher Weise für viele mit sozialer Isolation verbunden. Während einige Studien zeigen konnten, dass damit ein verstärktes Gefühl der Einsamkeit einherging, konnte auch gezeigt werden, dass es sich hierbei in der Regel um ein akutes
Einsamkeitsgefühl gehandelt hat, welches nach wenigen Wochen wieder abgenommen hat."

Unabhängig davon geben diverse Studien und repräsentative Umfragen aber Hinweise darauf, dass sich das Einsamkeitserleben in Deutschland zuletzt verschärft habe, so Lieberz. Immer mehr Menschen fühlten sich einsam. Deshalb sei die weitergehende Erforschung von Einsamkeit "dringend notwendig", insbesondere im Hinblick auf die "gravierenden gesundheitlichen Folgen von chronischer Einsamkeit", sagt Lieberz. Die Umfrage der Deutschen Stiftung Depressionshilfe decke sich mit wissenschaftlichen Befunden, "dass Einsamkeit als gesundheitlicher Risikofaktor eine zunehmende Rolle spielt."

Gängige Anzeichen für eine Depression

Nach Angaben der Stiftung, welche mithilfe des "Deutschland-Barometers-Depression", das von der Deutschen Bahn Stiftung gefördert wird, seit 2017 jährlich ermittelt, wie die Einstellungen und Erfahrung zum Thema Depression in der deutschen Bevölkerung sind, kann ein Hinweis auf Depression sein, wenn mehr als zwei Wochen bestimmte Symptome auftreten. Wie: vor allem gedrückte Stimmung, Interesse-oder Freudlosigkeit, Schlafstörungen, Schuldgefühle oder Suizidgedanken.

Für die Bewältigung der behandelbaren Erkrankung sei die Unterstützung durch Familie und Freunde besonders wichtig. Deswegen seien entsprechende Faktoren für die wahrgenommene Einsamkeit bei den knapp 5200 Erwachsenen unter 70 Jahren, darunter Menschen mit und ohne Depression, online abgefragt worden. Einige Kriterien waren: ob die Befragten jemanden hätten, um alltägliche Probleme zu besprechen und auf den sie sich verlassen könnten, ob es genügend Menschen in ihrem Leben gebe, ihnen gute Freunde fehlten, sie allgemeine Leere fühlten, und Menschen um sich herum oder Geborgenheit vermissten.

kfi/dpa