Standpunkt
Mit Aufklärung gegen Anti-Akademismus
Wissenschaft ist Kritik gewohnt. Nicht nur die Kritik unter Kollegen und Kolleginnen, sondern gerade auch die Kritik von außen, aus ihrer gesellschaftlichen Umwelt, prägt die Wissenschaft von Beginn an. Antiakademismus und Expertenskepsis begleiteten die europäischen Universitäten seit ihren Anfängen im Mittelalter. Über die Jahrhunderte wiederholten sich die Vorwürfe, fanden aber immer wieder neue Medien und Foren der Artikulation. Elitäres Denken im Elfenbeinturm, übertriebenes Geltungsgebaren, Korrumpierung, Scharlatanerie – die Liste ist lang und ebenso historisch wie aktuell dicht belegt. Vorwürfe, die in früheren Jahrhunderten oft lokal begrenzt blieben, können heute medial vermittelt rasch zu einem Flächenbrand führen. Nichts Neues unter der Sonne also? Ein begleitendes Rauschen, mit dem man sich abfinden muss? Ich denke nicht.
Wenn ein Politiker 2021 raunt, immer wenn jemand "die Wissenschaft sagt" sage, solle man hinterfragen, "was dieser gerade im Schilde führt", erntet er Spott, fügt aber gleichwohl – ob bewusst oder unbewusst – dem Diskurs der Wissenschaftsfeindlichkeit eine weitere Aussage hinzu. Dem entschieden entgegen zu treten, dient nicht nur der Selbstvergewisserung der Wissenschaft oder selbstbezogener Imagepflege, sondern stellt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. Denn die neue alte Wissenschaftsfeindlichkeit ist Teil allgemeiner Tendenzen der Destabilisierung von Vertrauen, von Normen und sozialen Rollen. Man mag einwenden, dass nicht alle als Experten und Expertinnen angerufenen das Vertrauen in die Wissenschaft fördern. Insofern ist jeder dazu aufgefordert, seine Rolle sensibel und verantwortungsvoll auszufüllen und nicht der Verheißung schneller medialer Resonanz zu erliegen.
Mein Plädoyer ist jedoch ein weitergehendes: Nutzen wir unsere historische und reflexive Expertise über Wissenschafts- und Akademikerkritik dazu, nicht nur uns selbst aufzuklären, sondern alle Mitglieder unserer Gesellschaft potenziell in den Stand zu setzen, Kompetenzen der Kritik zu entwickeln, die eigene sachliche Urteile gestatten, und die Rede vom Postfaktischen nicht als unveränderbares Faktum hinzunehmen. Auch wenn allein mit Aufklärung gezielter Destabilisierung kaum beizukommen ist – es geht ja um Machtfragen –, ist gerade bei der Produktion wissenschaftlicher Fakten und den internen Verfahren der Qualitätskontrolle Kommunikation gefragt. So klafft doch eine markante Lücke zwischen dem öffentlichen Verständnis von Wissenschaft (Science) und von Forschung (Research). Erregte öffentliche Debatten über Reviewprozesse in der Virologie oder Fachrezensionen in der Geschichtswissenschaft zeigen, dass die gängigen Verfahren der Wissenschaft keineswegs allgemeine Wissensbestände darstellen, sondern anfällig sind für Unterstellungen, "etwas im Schilde zu führen".
Literatur
Von dem Autor erscheint im September das Buch "Wissen: Konzepte – Praktiken – Prozesse", Campus Verlag.
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