Mitglieder des Club of Rome: Professor Johan Rockström, Sandrine Dixson-Declève und Jorgen Randers, Ko-Autor des ersten Reports "Grenzen des Wachstums". Sie halten eine Ausgabe des neuen Reports "Earth for all".
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Zukunft der Welt
Neuer Report des Club of Rome zeigt Lösungen auf

50 Jahre nach "Die Grenzen des Wachstums" ein neuer Report: Der Club of Rome erläutert, wie eine lebenswerte Zukunft noch erreicht werden kann.

06.09.2022

"Die Grenzen des Wachstums" erschütterten die Fortschrittsgläubigkeit der Welt. Nun präsentiert der Club of Rome erneut einen Report. Diesmal geht es um entscheidende Maßnahmen, mit denen sich noch eine lebenswerte Zukunft der Menschheit erreichen ließe.

Vor 50 Jahren rüttelte der Thinktank Club of Rome mit seinem Bericht "Die Grenzen des Wachstums" die Welt auf. Sie gilt heute als einflussreichste Publikation zur drohenden Überlastung unseres Planeten. Wenn sich die globale Wirtschaftsweise nicht ändere, brächen Ökonomie, Umwelt und Lebensqualität zusammen, warnte die Forschergruppe – und stieß bis heute nachwirkende Debatten an. Nun gibt es einen neuen Bericht, der am Dienstag in deutscher Fassung erschienen ist. In "Earth for All" geht es um nichts weniger als die wichtigsten Maßnahmen, mit denen eine lebenswerte Zukunft der Menschheit noch möglich wäre.

Erreichen der Ziele nicht unmöglich

Es ist noch nicht zu spät – das vermittelt der Bericht, Ergebnis einer zweijährigen Forschungszusammenarbeit vieler Fachleute, sehr eindringlich. Seine Beschreibungen sind anschaulich, die vorgeschlagenen Lösungen gut nachvollziehbar und oft sehr konkret. Es sind große Ziele, die die Expertinnen und Experten für unverzichtbar halten – unmöglich zu erreichen aber sind sie nicht, wie die Gruppe an Beispielen für schnellen Wandel verdeutlicht. Wir können die Kurve noch kriegen, das wird auf mitreißende und optimistische Art vermittelt.

Auch in "Earth for All" spielen Daten zum Zustand der Erde eine Rolle, vor allem aber geht es darum, was konkret getan werden muss, um das Steuer menschlicher Entwicklung noch zum Positiven herumzureißen. Die Zukunft der Menschheit hängt demnach vor allem von "fünf außerordentlichen Kehrtwenden" ab, die in den kommenden Jahrzehnten vollzogen werden müssten: Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung (Empowerment) der Frauen, Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und Übergang zum Einsatz sauberer Energie.

Computersimulationen der Zukunft

Zu den Hauptautoren gehören Sandrine Dixson-Declève, die Ko-Präsidentin des Club of Rome, und der Erdsystemwissenschaftler Professor Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Für den Bericht nutzte die Gruppe eine Computersimulation, das "Earth4All"-Modell. Unter einer Vielzahl möglicher Szenarien wurden für das Buch zwei ausgewählt, genannt "Too Little Too Late" (Zu wenig zu spät) und "Giant Leap" (Riesensprung).

"Too Little Too Late" zeige, was passieren könnte, wenn das derzeit dominierende Wirtschaftssystem mehr oder weniger so weiterläuft wie in den letzten 50 Jahren. "Demgegenüber fragt "Giant Leap", was passierte, wenn das Wirtschaftssystem durch mutige, außerordentliche Bemühungen zum Aufbau einer resilienteren Zivilisation umgestaltet würde."

Werde der derzeitige politische und ökonomische Kurs beibehalten, steuere die Menschheit auf eine weiter wachsende Ungleichheit zu, warnen die Expertinnen und Experten. Soziale Spannungen seien eine Folge. Die globale Durchschnittstemperatur werde um weit über zwei Grad steigen, über die im Pariser Klimaabkommen ausgehandelte und von der Wissenschaft als rote Linie gesetzte Grenze, die keinesfalls überschritten werden darf. Weite Teile des Erdsystems drohten klimatische und ökologische Kipppunkte zu überschreiten – mit unabwendbaren Folgen über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende.

Gerechtigkeit für lebenswerte Zukunft

Immer wieder betonen die Expertinnen und Experten, dass sie mehr Gleichheit und Gerechtigkeit als Königsweg für eine lebenswerte Zukunft ansehen. "Wir wissen, dass die reichste Milliarde Menschen 72 Prozent der globalen Ressourcen verbrauchen, während es bei den ärmsten 1,2 Milliarden nur 1 Prozent sind", heißt es im Buch. "Die meisten natürlichen Ressourcen fließen also in den Konsum der reichsten Gesellschaften, die allerdings nur einen Bruchteil der Konsequenzen tragen – eine zutiefst ungerechte Situation." Ein extremes Maß an Ungleichheit sei äußerst destruktiv, "auch für die Reichen", so die Warnung. "Es begünstigt Verhältnisse, die für alle gefährlich sind."

Viele der im Buch präsentierten Vorschläge sind sehr konkret. Als ein Mindestziel für die Kehrtwende für mehr Gleichheit wird bei den Einkommen zum Beispiel angegeben, dass die reichsten 10 Prozent eines Landes über weniger als 40 Prozent des Nationaleinkommens verfügen sollten. "Das heißt, dass vier arme Personen gemeinsam das gleiche Jahreseinkommen haben wie eine Person aus der Gruppe der reichsten 10 Prozent."

Anschaulich gemacht werden die potenziellen Entwicklungen der kommenden Jahrzehnte auch am fiktiven Schicksal von vier 2020 geborenen Mädchen aus China, den USA, Bangladesch und Nigeria. In dem Kapitel spielt ein Faktor eine große Rolle, den die Experten ebenfalls für sehr wichtig halten: Bildung, die kritisches Denken und komplexes Systemdenken vermittle, für Mädchen gleichermaßen wie für Jungen. "Denn die bedeutendste Herausforderung unserer Tage ist nicht der Klimawandel, der Verlust an Biodiversität oder Pandemien", so die Gruppe. "Das bedeutendste Problem ist unsere kollektive Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden."

Schwerpunktthema "Degrowth"

Mehr zu den Themen Degrowth und Postwachstum können Sie in der Juli-Ausgabe von Forschung & Lehre lesen. Die Artikel beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, warum wir oft das Gute wollen, es dann aber doch nicht tun.

Vorschläge zur Energiewende

Zu den Herausforderungen bei der Transformation des globalen Energiesystems ist zu lesen, dass diese mit geringerem Konsum einhergehen müsse – nötig seien etwa auch weniger und kleinere Autos. Eine weitere Herausforderung sei die "sehr reale Gefahr" einer gesellschaftlichen Destabilisierung im Zuge der Umgestaltung des Energiesystems. "Wenn die ärmste Mehrheit von den steigenden Energiekosten am stärksten betroffen ist, werden diese Menschen gegen die Energiepolitik protestieren."

Als einer der Mythen im Bereich der Energiewende wird genannt, dass das Verhalten von Menschen sich nur schwer ändern lasse. Gerade erst habe die Corona-Pandemie gezeigt, dass es sich vielmehr sehr schnell ändern könne - und mit vielen Vorteilen. So reduziere die Arbeit im Homeoffice nicht nur Emissionen und Staus, sondern trage häufig auch dazu bei, Beruf und Familie besser miteinander in Einklang zu bringen.

Aufruf zum Handeln

"Wir wissen, was Sie jetzt sagen werden", heißt es zum Ende der Ausführungen. "Die Aufgaben sind gewaltig. Die Hindernisse sind riesig. Die Gefahren sind enorm. Die Zeit, die uns bleibt, ist kurz." Die schwersten Aufgaben der schnellsten wirtschaftlichen Transformation der Geschichte müssten im ersten Jahrzehnt angepackt werden. "Jetzt. Wenn Sie dieses Buch zuschlagen."

Das Ausmaß dieser Transformation möge entmutigend erscheinen – vielleicht aber gebe es eine gute Nachricht: Vielleicht müsse der Felsblock gar nicht einen Berg hinaufgewälzt werden. Vielleicht liege er schon nahe eines Abhangs und müsse nur noch in Bewegung gesetzt werden, schreiben sie etwa mit Blick auf immer günstigere erneuerbare Energien. So ehrgeizig der mit "Earth for All" präsentierte Leitfaden sei, er sei auch "beharrlich optimistisch". Wie wahrscheinlich es sei, dass wir es schaffen? "Das, liebe Leserinnen und Leser, hängt davon ab, was Sie als Nächstes tun."

Annett Stein (dpa)