Salman Rushdie steht in der Paulskirche, umgeben von klatschendem Publikum.
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Friedenspreis des deutschen Buchhandels
Salman Rushdie ruft zum Schutz der Meinungsfreiheit auf

Der Schriftsteller nahm in Frankfurt den Friedenspreis des deutschen Buchhandels entgegen. Er sieht die Meinungsfreiheit von rechts und links bedroht.

23.10.2023

Zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse 2023 wurde dem britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. In seiner Dankesrede rief er zum Schutz der Meinungsfreiheit auf, die er aus allen politischen Richtungen bedroht sieht.

"Wir leben in einer Zeit, von der ich nicht geglaubt habe, sie erleben zu müssen, eine Zeit, in der die Freiheit – insbesondere die Meinungsfreiheit, ohne die es die Welt der Bücher nicht gäbe – auf allen Seiten von reaktionären, autoritären, populistischen, demagogischen, halbgebildeten, narzisstischen und achtlosen Stimmen angegriffen wird", so Rushdie. Als Angreifer nannte er "extremistische Religionen und bigotte Ideologien", aber auch "progressive Stimmen, die sich für eine neue Art von bien-pensant Zensur aussprechen, eine Zensur, die sich den Anschein des Tugendhaften gibt und die viele, vor allem junge Menschen, auch für eine Tugend halten."

Dabei wies Rushdie auf die Rolle des Internets und der sozialen Medien hin, die durch die Verbreitung von Falschmeldungen die Freiheit zusätzlich einschränken würden – ein Phänomen, dass auch für viele Forschende ein Problem darstellt.

"Von links wie rechts gerät die Freiheit also unter Druck, von den Jungen wie den Alten. Das hat es so bislang noch nicht gegeben und wird durch neue Kommunikationsformen wie das Internet noch komplizierter, da gut gemachte Webpages mitsamt ihren böswilligen Lügen gleich neben der Wahrheit stehen, weshalb es vielen Menschen schwerfällt, das eine vom anderen zu unterscheiden."

Auch eine Lösung bot Rushdie in seiner Dankesrede an: "Wir sollten weiterhin und mit frischem Elan machen, was wir schon immer tun mussten: schlechte Rede mit besserer Rede kontern, falschen Narrativen bessere entgegensetzen, auf Hass mit Liebe antworten und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich die Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann."

Messerattacke im Jahr 2022

Der 1947 als Sohn muslimischer Eltern in Indien geborene Bestsellerautor setzt sich mit seinen Werken für Meinungsfreiheit und Demokratie ein. Aufgrund seines Buchs "Die satanischen Verse", in dem er sich mit dem Islam auseinandersetzt, verurteilte ihn der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini 1989 mit einer Fatwa zum Tode. Seitdem wird Rushdie von radikalen Islamisten bedroht und lebte jahrelang unter Polizeischutz in verschiedenen Verstecken.

2022 überlebte er nur knapp die Messerattacke eines Attentäters bei einem öffentlichen Vortrag in den USA. Seitdem ist Rushdie auf einem Auge blind. Seit dem Attentat ist Rushdie nur selten aufgetreten. Es sei ein "schwieriges Jahr" für ihn gewesen, sein Gesundheitszustand sei jedoch einigermaßen gut, so Rushdie. Für seine Termine in Frankfurt hatte die Buchmesse zusammen mit der Polizei ein umfassendes Sicherheitskonzept erarbeitet. Ein weiterer Auftritt Rushdies fand am Samstagabend bei einer "Literaturgala" der Buchmesse statt, wo der indisch-britische Autor sein aktuelles Buch "Victory City" vorstellte.

Angesprochen auf die aktuelle Weltlage sagte der 76-Jährige vergangenen Freitag bei einer streng geschützten Presseveranstaltung: "Die Welt ist in keinem guten Zustand. Aber unvernünftigerweise bleibe ich optimistisch." Die Ereignisse in Israel erfüllten ihn "mit Horror". Er sei entsetzt über die Anschläge der Hamas und ahne, was Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im Gegenzug machen werde. Darüber hinaus sei dies "eine riskante Zeit für die Demokratie." Die Literatur gebe ihm Hoffnung. "Schreiben ist ein optimistischer Akt", so Rushdie. "Man geht davon aus, dass es später jemand liest. Literatur zeigt die Welt als einen reichen und komplexen Ort, was das Gegenteil einer engen, rigiden Weltsicht ist."

Unbeugsam und lebensbejahend

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält Rushdie unter anderem "für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert", wie der Stiftungsrat am Montag in Frankfurt am Main mitteilte. Seit seinem 1981 erschienenen Buch "Mitternachtskinder" beeindrucke Salman Rushdie durch seine Deutungen von Migration und globaler Politik. In seinen Romanen und Sachbüchern verbinde er erzählerische Weitsicht mit stetiger literarischer Innovation, Humor und Weisheit, hieß es in der Mitteilung. "Dabei beschreibt er die Wucht, mit der Gewaltregime ganze Gesellschaften zerstören, aber auch die Unzerstörbarkeit des Widerstandsgeistes Einzelner."

Trotz der Folgen des Attentats schreibe Rushdie weiter, "einfallsreich und zutiefst menschlich", wie der Stiftungsrat erklärte. Seit Jahrzehnten lebe er in ständiger Gefahr. "Dennoch ist er nach wie vor einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache - und zwar nicht nur seiner eigenen, sondern auch der von Menschen, deren Ansichten er nicht teilt", hieß es in der Begründung. "Unter hohen persönlichen Risiken verteidigt er damit eine wesentliche Voraussetzung des friedlichen Miteinanders."

Neues Buch über das Attentat

Rushdie bedankte sich im Vorfeld der Verleihung mit folgenden Worten beim Stiftungsrat: "Ich kann der Jury nur für ihre Großzügigkeit danken. Ich weiß, wie bedeutsam dieser Preis ist, und ich bin ein wenig eingeschüchtert von der Liste der bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger, zu der sich mein Name nun gesellen wird. Ich freue mich wirklich sehr." Die Festrede auf Rushdie hielt der Schriftsteller Daniel Kehlmann, ein enger Freund des 76-Jährigen. Er nannte ihn einen "der großen Erzähler der Literaturgeschichte, der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit – vor allem aber ein weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch und somit der würdigste Träger, den es für diese Auszeichnung, die ja als Friedenspreis ausdrücklich nicht nur künstlerische, sondern auch humanistische Größe auszeichnet, überhaupt hätte geben können."

Rushdies neues Buch soll im April 2024 erscheinen. Er habe es gerade erst beendet. Es trägt den Titel "Knife. Gedanken nach einem Mordversuch". Thema ist das Attentat in den USA, bei dem Rushdie ein Auge verlor. Am Freitag sagte er dazu in Frankfurt: "Es war unmöglich, etwas Anderes zu schreiben."

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist mit 25.000 Euro dotiert und wird vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben. Gewürdigt werden damit seit 1950 Persönlichkeiten, die in Literatur, Wissenschaft oder Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben. Im vergangenen Jahr wurde der ukrainische Autor Serhij Zhadan ausgezeichnet.

pje/dpa