Ein aufgeschlagenes Buch
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Rezension
Preisgekrönter Campusroman

Treffen sich zwei Historiker, ihre Familien und Auffassungen jüdischer Identität an einer US-Universität. Das Ergebnis hat Witz und Finesse.

Von Heike Paul 20.05.2023

David Lodge war gestern. Der Campusroman des jüdisch-amerikanischen Autors Joshua Cohen haucht dem Genre jüngst wieder neues Leben ein. Das pulitzerpreisgekrönte Werk verarbeitet ein historisches Ereignis aus dem Jahr 1960: Ben-Zion Netanjahu, Historiker und Vater des amtierenden israelischen Ministerpräsidenten, besucht ein US-amerikanisches College im Norden des Bundesstaates New York zu einem Vorstellungsvortrag und bringt "de ganze Mischpoche" (Ehefrau Zila und drei verzogene Söhne, Jonathan, Benjamin und Iddo) mit.

Cover des Buches "Die Netanjahus" von Joshua Cohen
Joshua Cohen: Die Netanjahus. Roman. Schöffling Verlag 2023, 25,- Euro. Schöffling Verlag

Als sein Gastgeber muss der bis dato "einzige Jude" auf dem Campus herhalten: Ruben Blum, Sohn jüdischer Einwanderer und Geschichtsprofessor (aber nicht für jüdische Geschichte, wie er stets betont), ist der zunehmend gequält klingende und ungeschickt agierende Erzähler, der die Netanjahus begrüßen darf. Der amerikanische Antisemitismus ist Blum in all seinen subtilen und schrillen Erscheinungsformen wohlvertraut; er hat sich angepasst und übergeht entsprechende Anspielungen und Kränkungen mit einer erlernten Indifferenz, die mitunter an Selbstverleugnung grenzt. Das Zusammentreffen der stillen Blums (Ruben, seine Frau Edith und Tochter Judith) und der lauten Netanjahus in der zweiten Hälfte des Romans gerät – nicht ganz überraschend – zum Fiasko, an dessen Ende ein kaputter Farbfernseher, ein splitternackter Teenager auf der Straße und ein Polizeieinsatz stehen.

Der Roman ist gespickt mit Wortwitz und Situationskomik – auf die Verfilmung werden wir sicher nicht lange warten müssen –, aber er ist auch eine Meditation über jüdische Geschichte und Identität, über Assimilation und Differenz. Der Literaturkritiker Harold Bloom, dem der Roman gewidmet ist, hat beim Autor Cohen in seinen letzten Lebensjahren aus dem Nähkästchen geplaudert, so lesen wir im Nachwort. Cohen hat gut zugehört und beweist ein feines Gespür für die lauten und leisen Töne bei der Erkundung weltpolitischer ideologischer Konflikte im Mikrokosmos einer kleinen amerikanischen Universitätsstadt.

Diese Buchrezension ist zuerst in der Mai-Ausgabe von Forschung & Lehre erschienen.