Interview mit einer Leibniz-Preisträgerin
Ehre und Ansporn zugleich
Forschung & Lehre: Frau Professorin Fuchs-Schündeln, herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des Leibniz-Preises. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Fuchs-Schündeln: Der Preis ist eine sehr große Ehre und auch ein großer Ansporn für mich, weiter sehr gute Forschung zu leisten.
F&L: Sie haben den Lehrstuhl für Makroökonomie und Entwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt inne. Zuvor waren Sie Assistant Professor an der Harvard University. Was hat Sie bewogen, an eine deutsche Universität zu kommen?
Fuchs-Schündeln: Meine Jahre in den USA haben mich schon sehr geprägt. Die Forschungsbegeisterung dort ist sehr groß und mitreißend. In Yale und Harvard hatte ich für jede Forschungsfrage immer den richtigen Ansprechpartner und konnte wahnsinnig viel lernen. Was ich aber jetzt hier in Deutschland und auch generell in Europa sehr spannend finde, sind die vielen neuen Initiativen in der Universitäts- und Forschungslandschaft. Es geschieht sehr viel, und es macht mir Spaß, daran mitzuwirken. An der Goethe-Universität haben wir zum Beispiel in den Wirtschaftswissenschaften ein strukturiertes Doktorandenprogramm aufgebaut, das eine exzellente breite Ausbildung der Doktoranden sicherstellt. Es gefällt mir, mich da einzubringen und an der Weiterentwicklung mitzuarbeiten, um dann zu sehen, wie unsere Absolventen im internationalen Markt erfolgreich sind.
F&L: Als Sie an die Goethe-Universität kamen, war dort schon ein Exzellenzcluster bewilligt, bei dem Sie federführend mitwirken.
Fuchs-Schündeln: Ja, mein Lehrstuhl wird finanziert von dem Exzellenzcluster "Herausbildung normativer Ordnungen". In dem Cluster arbeiten ganz verschiedene Disziplinen zusammen, und da ich mich als Sozialwissenschaftlerin im weiteren Sinne verstehe, bringe ich mich dort gerne ein.
F&L: Nun zu Ihrer Forschung: Bei Ihnen spielt ja die Wiedervereinigung eine große Rolle, weil sie diese für Ihre Forschung nutzen.
Fuchs-Schündeln: Aus ökonomischer Perspektive ist die deutsche Teilung und die Wiedervereinigung eine sehr spannende Episode, weil hier eine Bevölkerungsgruppe, die vorher recht homogen war, in zwei Teile geteilt wurde und dann 40 Jahre in ganz verschiedenen Systemen gelebt hat. Nach der Wiedervereinigung wurden die Ostdeutschen noch einmal mit einem neuen System konfrontiert. Das erlaubt es, verschiedene Fragen zu beantworten: Wie gehen Menschen mit Einkommensänderungen um und auch mit dramatischen Änderungen im Einkommensrisiko? Solche dramatischen Episoden können wir sonst in den Daten kaum beobachten. Ich schaue mir diese Episode aus der Perspektive der Haushalte an und frage, wie die Menschen auf die geänderten Bedingungen reagieren. Eine Frage, die mich umtreibt, ist, woher eigentlich unsere Präferenzen für ein politisches oder ökonomisches System kommen. Sind sie angeboren, oder werden Präferenzen eben auch geprägt durch das, was wir erleben? Hier sehe ich, dass Ostdeutsche auch nach der Wiedervereinigung noch eine stärkere Präferenz für staatlichen Schutz für Gruppen wie Familien, Kranke, Alte und Arbeitslose haben als Westdeutsche. Hier sieht man eine Prägung der Präferenzen sowohl bei den Ost- als auch bei den Westdeutschen durch das System, in dem beide Gruppen gelebt haben.
F&L: Gleichen sich die Präferenzen inzwischen schon ein wenig an?
Fuchs-Schündeln: Was wir sehen, ist, dass sie sich langsam angleichen, und zwar zum einen natürlich dadurch, dass immer mehr junge Menschen die Erfahrungen mit dem sozialistischen System gar nicht mehr gemacht haben. Aber auch bei Menschen, die im Osten aufgewachsen sind, sehen wir eine langsame Angleichung der Präferenzen an die der Westdeutschen. Auch hier scheint es wieder so zu sein, dass man sich an das neue System gewöhnt und die Präferenzen sich anpassen.
F&L: Also eine Angleichung der Ostdeutschen an die Westdeutschen?
Fuchs-Schündeln: Ja, weil sich durch die Wiedervereinigung für die Ostdeutschen das System zum westdeutschen System hin verändert hat. Richtig ist, dass die Westdeutschen gewiss genauso durch ihre Erfahrungen geprägt werden wie die Ostdeutschen, bei den Westdeutschen hat sich nur nichts in so dramatischer Weise geändert.
F&L: In Ihren jüngsten Forschungsarbeiten beschäftigen Sie sich mit der Frage, warum Europäer weniger Stunden arbeiten als US-Amerikaner. Woran könnte das liegen?
Fuchs-Schündeln: Es ist aus OECD-Daten schon bekannt, dass Europäer weniger Stunden arbeiten als US-Amerikaner. Mich hat erstmal interessiert, ob das eigentlich für alle Gruppen so ist oder nur für gewisse Gruppen, zum Beispiel für Männer und Frauen oder für Jung und Alt. Dazu haben wir Mikrodaten analysiert, und man sieht dann, dass unter der Gruppe der 25- bis 54-Jährigen, also denjenigen, die eigentlich am Arbeitsleben teilnehmen, die Unterschiede zwischen den Ländern für verheiratete Frauen am größten sind. Nicht nur zwischen Amerika und Europa, sondern auch zwischen den verschiedenen europäischen Ländern sind die Arbeitsstunden von verheirateten Frauen sehr unterschiedlich. Was sind die Ursachen dafür? Sind es kulturelle Unterschiede, ist es die Kinderbetreuung? Letzteres kann nicht der alleinige Grund sein, denn die Unterschiede sind für verheiratete Frauen ohne Kinder auch vorhanden. Wir sind der Hypothese nachgegangen, dass die Unterschiede von der Besteuerung getrieben sein könnten. Da gibt es Unterschiede zwischen den Ländern nicht nur im durchschnittlichen Steuersatz, sondern auch in der Art der Besteuerung von Ehepaaren. In Deutschland haben wir das klassische Ehegattensplitting, ein System der gemeinsamen Besteuerung, das für den Zweitverdiener, also in der Regel die Frau, geringe Anreize bietet zu arbeiten, weil es den Grenzsteuersatz erhöht. Andere Länder, zum Beispiel Schweden oder Großbritannien, haben eine komplett getrennte Besteuerung von Ehepaaren. Dort werden Ehepartner genauso besteuert wie Singles. In einem solchen System ist der Arbeitsanreiz für den Zweitverdiener deutlich höher. In unserer Forschung zeigen wir, dass ein Teil der Unterschiede im Arbeitsverhalten von verheirateten Frauen durch die Form der Besteuerung erklärt werden kann und dass Deutschland mit seinem Ehegattensplitting im internationalen Vergleich mit die niedrigsten Arbeitsanreize für Zweitverdiener setzt.
F&L: Gibt es durch die Art der Besteuerung auch einen Unterschied zwischen den USA und den einzelnen europäischen Ländern?
Fuchs-Schündeln: Die USA haben interessanterweise auch ein gemeinsames Besteuerungssystem. Sie haben aber im Vergleich zu Deutschland eine geringere Progressivität und einen niedrigeren Durchschnittssteuersatz, so dass das System der gemeinsamen Besteuerung weniger starke Effekte ausübt.
F&L: Hier ist hauptsächlich bekannt, dass die Amerikaner weniger Urlaub haben.
Fuchs-Schündeln: Ja, ungefähr ein Drittel des Europa-USA-Unterschieds für alle, nicht nur für verheiratete Frauen, wird dadurch erklärt, dass Amerikaner wesentlich weniger Urlaub haben als Europäer. Das ist ein großer Unterschied zwischen Amerika und Europa.
F&L: Lassen sich die Unterschiede bei der Zahl der Arbeitsstunden auch auf Wissenschaftler übertragen? Sie waren ja schon in Yale, Harvard und Stanford – arbeiten Wissenschaftler in Europa weniger als in Amerika?
Fuchs-Schündeln: Mein persönlicher Eindruck ist, dass Wissenschaftler generell zu denjenigen mit vielen Arbeitsstunden gehören, sowohl hier als auch dort. Wenn man für die Forschung brennt, ist es manchmal schwer, da Abstand zu gewinnen.
F&L: Mit der Forschungsförderung in Höhe von 2,5 Millionen Euro durch den Leibniz-Preis kommt jetzt sicher mehr als genug Arbeit auf Sie zu. Wissen Sie schon, wofür Sie das Preisgeld verwenden möchten?
Fuchs-Schündeln: Teure Geräte brauche ich als Volkswirtin nicht, viel Geld wird wohl in die Anstellung von Doktoranden fließen. Ich habe eine ganze Menge spannende neue Projekte geplant, für die ich das Geld gut verwenden kann. Dabei geht es weiterhin viel um das Arbeitsmarktverhalten und auch um Fragen zu Frauen im Arbeitsmarkt: Was hält sie zurück, was verhindert Karrieren, was erklärt die Lohnlücke zwischen Mann und Frau?