Illustration von jubelnden Menschen und Geldmünzen, die über eine Ziellinie rollen
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Wissenschaftlicher Nachwuchs
Erfolgreich Drittmittel einwerben für kreative Forschungsideen

Mit Themen abseits des Mainstreams haben es Forscher oft schwer. Christian Volk berichtet über seine Erfahrung mit der Antragsstellung.

Von Vera Müller 28.02.2020

Forschung & Lehre: Herr Professor Volk, Sie haben sowohl über die DFG als auch über den European Research Council (ERC) erfolgreich Drittmittel eingeworben. Wieviel Strategie braucht es, damit der eigene Forschungsantrag bewilligt wird?

Christian Volk: Da ich bei allen Forschungsanträgen, die ich bislang gestellt habe, immer auch Fragen der Karriereplanung beziehungsweise der Karrieresicherung im Blick hatte oder haben musste, spielten strategische Fragen immer auch eine Rolle. Der ERC Grant ist wahrscheinlich das bislang "authentischste" Forschungsprojekt, das meinen Forschungsinteressen am nächsten ist. Es ist genau das, was ich machen will. Vorher ging es immer auch um Fragen wie: Welche Themen sind en vogue? Wo kann man noch einmal einen Punkt setzen? Wie passt das zum Forschungsumfeld, in dem man sich gerade bewegt? Inwiefern kann sich das verstärkend beziehungsweise positiv auf die Zwischenevaluation meiner Juniorprofessur auswirken? Gleichzeitig: Wie weit bewegt man sich aus dieser Zone heraus, wie unorthodox, wie experimentell kann man letztlich wirklich sein? Das ist eine Gratwanderung. Ich hoffe, dass ich in Zukunft stärker Anträge schreibe, die der ERC-Logik folgen. Aber grundsätzlich geht es ja darum, und das hängt mit der Drittmittelkultur eng zusammen, einen Antrag zu schreiben, der auch erfolgreich begutachtet wird. Bestimmte Konventionen und Erwartungen seitens der Gutachterinnen und Gutachter müssen erfüllt werden, und das beinhaltet automatisch auch Lenkungseffekte für die eigene Ausarbeitung. Da darf man sich nichts vormachen. Für den Bereich, den ich einigermaßen zu überblicken glaube, nämlich die Geistes- und Sozialwissenschaften, hat sich die Einwerbung von Drittmitteln enorm professionalisiert. Für mich war es ganz wichtig, in Kontexten arbeiten zu können, in denen eine relativ hohe Expertise und Erfahrung bei der erfolgreichen Einwerbung von Drittmitteln vorhanden war. Vor meinem eigenen ersten DFG-Antrag hatte ich an zwei größeren Anträgen mitgeschrieben. Durch dieses Schreiben habe ich gelernt, wie so etwas geht. Es ist ein eigenes Genre, das ich lernen musste.

F&L: Wie innovativ kann ein Nachwuchswissenschaftler zum Beispiel bei der Beantragung von DFG-Fördermitteln sein?

Christian Volk: Aus meiner eigenen Erfahrung heraus würde ich Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern raten, bei DFG-Forschungsanträgen eine innovative Fragestellung zu formulieren, gleichzeitig aber darauf zu achten, die Gutachterinnen und Gutachter nicht vor den Kopf zu stoßen, das heißt nicht zu risikoreich damit umzugehen. Das klingt wie eine Banalität; ist wahrscheinlich auch eine. Daher ein Beispiel: Der Entwurf meines ersten DFG-Antrags versuchte, das Konzept der Post-Souveränität zu verteidigen. Bei Diskussionen hat sich dann herausgestellt, wie sehr dieser Begriff polarisiert und ich damit anecke. Für den Antrag habe ich dann die Frage offener formuliert und den Begriff gar nicht verwendet, obwohl das ganze Projekt von diesem Gedanken getragen wurde. Das Prozedere läuft in der Regel so, dass zwei Gutachter den Antrag erhalten und einen Bericht schreiben. Dieser Bericht wird meiner Erfahrung nach nicht noch einmal in Frage gestellt. Bei abweichenden Gutachten wird das Fachkollegium entsprechend tätig. Etwas anders scheint es zu sein, wenn etablierte Forscher zum Beispiel im Rahmen der Reinhart Koselleck-Projekte gefördert werden. Hier handelt es sich um ein außergewöhnliches Format, bei dem in sehr hohem Maße die Forscher­per­sön­lich­keit und ihre bislang erreichten Forschungsleistungen im Vordergrund stehen. Aber für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler wäre meine Empfehlung, den Antrag ins Ziel zu bringen und dann in der Forschung gegebenenfalls darüber hinauszugehen.

Professor Christian Volk
Christian Volk ist Professor für Politik­wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. privat

F&L: Haben Nachwuchswissenschaftler auf die Art und Weise nicht zu früh eine "Schere im Kopf"?

Christian Volk: Auf jeden Fall. Das beginnt ja schon bei einer scheinbar trivialen Frage wie: Wen zitiere ich in meinem Forschungsantrag? Als Antragsteller will ich niemanden vor den Kopf stoßen, also schaue ich mir im Vorfeld an, wer für die Begutachtung infrage kommen könnte, und überlege, ob ich einen Artikel von ihm bzw. ihr mit hin­einnehme oder nicht. Aber man sollte den Spieß auch umdrehen: um das zu ändern, brauchen wir eine andere, eine selbstkritischere Begutachtungskultur.

F&L: Ist interdisziplinäres Forschen besonders für den wissenschaftlichen Nachwuchs eher Karrierechance oder Karriererisiko?

Christian Volk: Meiner Meinung nach ist Interdisziplinarität nicht notwendigerweise ein Karriererisiko, aber ein disziplinär nicht klar zurechenbares Forscherprofil kann sich als Karriererisiko entpuppen. Denn die Universitätsinstitute funktionieren mehrheitlich in einer klaren Disziplinlogik. In unserer ERC Grant-Forschungsgruppe sehe ich es als meine wesentliche Aufgabe an, meine Mitarbeiter darauf hinzuweisen und mit ihnen darüber zu sprechen, für welche Disziplin sie schreiben und wen sie adressieren. Für eher unorthodoxe Forscherprofile ist das natürlich ein Problem.

F&L: Hoher Publikationsdruck, harter Wettbewerb: Scheitern ist da nicht eingeplant... ?

Christian Volk: Als Nachwuchswissenschaftler ist man nur begrenzte Zeit finanziert. Insbesondere in der Postdoc-Phase ist man in dieser begrenzten Zeit auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, neue Forschungsergebnisse zu publizieren und permanent zu zeigen, wie produktiv und engagiert man ist. Man kann es sich in der Qualifizierungsphase eigentlich fast nicht leisten zu scheitern. Es gibt sicher Ausnahmen, die zum Beispiel aufgrund ihres Doktorvaters beziehungsweise ihrer Doktormutter in einem Umfeld leben, in dem man trotz alledem weitergetragen wird, weil er beziehungsweise sie drittmittelstark ist und neue Stellen schaffen kann. Aber gemeinhin ist es anders. Verstehen Sie mich nicht falsch: ich beschreibe hier nicht die Wissenschaftswelt, wie ich sie mir wünsche, sondern wie ich sie wahrnehme. Die Angst, der Artikel könnte erneut abgelehnt werden und man scheitert, treibt alle um. Auch wenn man insgeheim weiß, man müsste den Artikel vielleicht ganz neu aufziehen, hieße ganz neu aufziehen weitere drei oder vier Monate ohne Ergebnis.

"Man kann es sich in der Qualifizierungsphase eigentlich fast nicht leisten zu scheitern."

Für mich als Professor auf einer Lebenszeitstelle sieht die Situation heute natürlich anders aus. Die existenzielle Bedrohung und die finanziellen Ängste sind weg, was mit Blick auf die Familie ein Segen ist. Und zu wissen, dass man das, wofür man so lange entbehrungsreich gearbeitet hat, die Arbeit als Forscher, weitermachen kann. Die Erleichterung ist groß, nicht in der Sackgasse geendet zu sein. Allerdings wirkt die Angst von damals lange nach, zumindest bei mir. Und es bestehen eine Reihe anderer Zwänge fort. Wenn man an Standorten wie an der FU Berlin arbeitet, muss man Ergebnisse liefern, ein attraktives Forscherprofil aufrechterhalten, viel publizieren, in erfolgreichen Forschungsinitiativen dabei sein, wie zum Beispiel einem Exzellenzcluster – und das alles zusätzlich zum hohen Lehrdeputat, den Prüfungen, Abschlussarbeiten, Hausarbeiten, der administrativen Selbstverwaltung und so weiter. Natürlich könnte man sich dafür entscheiden, sich aus allem rauszuhalten. Aber man sollte den Reputationsverlust nicht romantisieren, der damit in der Regel einhergeht, sondern muss dann wieder einen Weg finden, damit zu leben.

F&L: Welche Rolle spielen institutionelle Rahmenbedingungen bei der Forschungsförderung?

Christian Volk: Für mich hat es den Anschein, dass der Standort inzwischen auch zu einem Evaluationskriterium geworden ist – zumindest teilweise. Die Reputation des Umfelds, in dem man angesiedelt ist, wird als wichtig gehandelt. Ebenso die Erfahrung und die Expertise, die bei der Einwerbung von Drittmitteln vor Ort vorliegen. Hat man erfahrene und erfolgreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an seiner Seite, die beim Schreiben des Antrags helfen? Ist das Umfeld so aufgestellt, dass die allgemein vorherrschenden Standards für hervorragende Forschung an diesem Standort erfüllt und weitergegeben werden an die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler? Wenn auch die Größe der Universität nicht entscheidend ist, so muss man doch sagen: Ein Exzellenzcluster zum Beispiel braucht aus der Logik des gegenwärtigen Wissenschaftssystems heraus eine größere Zahl an renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Und dabei haben größere Universitäten gewisse Vorteile. Auch wenn wir es uns wünschen mögen, dass Forschung nur von ihren Inhalten bewertet wird, so spielen diese strukturellen Faktoren doch eine immer größere Rolle.

F&L: Wie lässt sich Forschung unter diesen Bedingungen erneuern? Müsste es "Schutzräume fürs Denken" geben?

Christian Volk: Der erste Schritt müsste sein, die Angst und die Abhängigkeiten im System zu reduzieren. Das gilt natürlich vornehmlich für Menschen in der Qualifizierungsphase. Die Lösung kann da nur lauten, zeitig eine Entfristungsperspektive mit fairen und klaren Regeln zu schaffen. Entsprechende Vorschläge von der Jungen Akademie oder dem Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft liegen ja vor. Vor dem Hintergrund eines, gemessen an den Studierendenzahlen, radikal unterbesetzten Lehrbetriebs, ist aus meiner Sicht eines der zentralen Probleme die Zeit: Zeit zu haben, als Theoretiker Sachverhalte gründlich zu durchdenken und aufarbeiten zu können. Es sollte daher nicht verwundern, dass es häufig darum geht, das Lehrdeputat durch Drittmittelerfolge, durch Fellowships oder ähnliches etwas nach unten schrauben zu können, damit man zum Beispiel weniger Prüfungen, weniger Gutachten oder weniger Hausarbeiten hat. Der unsolidarische Effekt liegt natürlich auf der Hand: unsere Kolleginnen und Kollegen bekommen noch mehr auf den Schreibtisch.

"Die Lösung kann nur darin liegen, diese Produktivitätslogik abzuschütteln."

Neben dem Zeitfaktor geht es auch um den Faktor Kreativität. Man sollte ihn eher am Inhalt festmachen und Situationen schaffen, in denen auch unorthodoxe Forscher sich entfalten können. Wie das möglich ist, ist eine extrem schwierige Frage. Möglicherweise erzeugen Förderformate wie ein Exzellenzcluster für einen bestimmten Zeitraum ein Klima, in dem auch unorthodoxe Forschungsprofile reüssieren können. In den Exzellenzclustern wird zum Disziplinengrenzen überschreitenden Forschen angeregt; es wird vielleicht sogar gefördert. Gleichzeitig wirken jedoch auch in diesen Raum die Imperative einer klaren Disziplinenzuordnung hinein und man wird letzten Endes am Output gemessen. Diese Output-Orientierung generiert wieder Zeitdruck. Die Lösung kann nur darin liegen, diese quantitative und quantifizierende Produktivitätslogik abzuschütteln. Einzelne Schutzräume helfen da nur bedingt, sondern man muss auf verschiedenen Ebene gleichzeitig ansetzen: bei Förderformaten und Förderrichtlinien, bei der Begutachtung, bei der Evaluation von Forscherprofilen, gelebter Publikationskultur bis hin zur Art der Beratung und Betreuung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern und vielem mehr.

Leicht gekürzte Version eines Interviews aus Forschung & Lehre 3/20.