Eine Atemschutzmaske hängt an einem Tisch in einer Schule
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Corona-Pandemie
Forschende mahnen bei Schulschließungen zu Vorsicht

Eine Studie zeigt, dass Jugendliche stark unter dem pandemiebedingtem Schulausfall gelitten haben. Forschende werfen der Politik Leichtfertigkeit vor.

18.08.2023

Während der Corona-Pandemie hat die psychische Gesundheit von Jugendlichen in einem außerordentlichen Ausmaß gelitten. Eine neue Studie belegt nun, dass Schulschließungen erheblich dazu beigetragen haben. Insbesondere männliche Jugendliche, junge Menschen zwischen 11 und 14 Jahren und Jugendliche mit eingeschränktem Wohnraum waren betroffen.

Die Daten zeigen, dass es Jugendlichen in Deutschland zwischen 11 und 17 Jahren während der ersten Welle der Pandemie im Durchschnitt so schlecht ging, wie vor der Pandemie den 15 Prozent der Jugendlichen, deren seelisches Wohlbefinden am niedrigsten war. Das stellt eine immense Verschlechterung dar. Die Studie zeigt auch, dass jede weitere Woche, in der die Schulen geschlossen waren, sich negativ auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirkte.

 "Die bundesweite Verschlechterung kann vollständig durch die Schulschließungen erklärt werden. Die Familien wurden weitgehend mit der beispiellosen Situation zu Hause alleingelassen, einschließlich der Mehrfachbelastung, Arbeit, Schule und Familienleben unter einen Hut zu bringen", zeigt sich die Studienleiterin Professorin Christina Felfe in einer Pressemitteilung der Universität Konstanz überzeugt.

Wissenschaft fand kein Gehör bei der Politik

Studienleiterin Felfe sagte gegenüber Forschung & Lehre, dass das Kindeswohl von der Politik nicht genügend in Entscheidungsprozesse rund um die Pandemiebekämpfung miteinbezogen wurde. "Biergärten waren wieder geöffnet, bevor Kinder zurück in den Kindergarten gehen durften", so die Forscherin. Sie bezweifelt nicht, dass es eine effektive Pandemiebekämpfung brauchte, um Leben zu retten. In Bezug auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sieht sie aber eine zu große Leichtfertigkeit in der Politik. "Man hätte sehr viel vorsichtiger vorgehen müssen." 

"Das Kindeswohl wurde in der Pandemie dem Wohl aller anderen Bevölkerungsgruppen untergeordnet." Prof. Dr. Christina Felfe

Die Volkswirtin berichtet, ganz besonders erschüttert hätte sie, dass die Stimmen renommierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der politischen Debatte um Schulschließungen kaum wahrgenommen wurden. "Die Warnrufe vieler Wissenschaftler wurden nicht nur in der, zugegebenermaßen von Unwissen und Unsicherheit gekennzeichneten, ersten Welle ignoriert", so Felfe gegenüber Forschung & Lehre. "Wir haben offene Briefe geschrieben, unterschrieben von führenden Wissenschaftlern, hunderten Sozialwissenschaftlerinnen in Deutschland." 

Veranschaulichungen der Datensätze aus einer Studie zu Schulschließungen und ihren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen
Je höher der Wert, desto schlechter die psychische Gesundheit: Auswirkungen der Schulschließungen je nach Alter, Geschlecht und Wohnraum. Universität Konstanz

Aufbau der Studie zu Schulschließungen

In der Studie machten sich die Forschenden der Universität Konstanz die föderale politische Struktur in Deutschland zunutze. Der berüchtigte "föderale Flickenteppich" bei der Schulbildung kam den Forschenden insofern zugute, dass die 16 deutschen Bundesländer unterschiedliche Schulschließungs- und Wiederöffnungsstrategien einsetzten.

Mithilfe dieses "natürlichen Labors", wie es in einer Pressemitteilung der Universität Konstanz heißt, konnten die Forschenden die Auswirkung der unterschiedlichen Dauer von Schulschließungen auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen untersuchen. "Jedes Bundesland hat seine eigene Strategie gefahren. Wir haben für unsere Studie die Tatsache genutzt, dass nicht alle Jugendliche gleich lang zu Hause waren", sagte Felfe. Je nachdem, in welcher Klassenstufe eine jugendliche Person war und in welchem Bundesland sie gelebt hat, war sie kürzer oder länger zu Hause. Durch die Isolierung länderspezifischer Eigenschaften konnte der Vergleich bundesweit durchgeführt werden.

Daten der Uniklinik Hamburg-Eppendorf einbezogen

In Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) erstellten die Forschenden einen Datensatz zu den länderspezifischen Strategien für Schulschließungen und Wiedereröffnungen, den sie in Zusammenhang mit den Daten der COPSY-Studie (Corona und Psyche) des UKE auswerteten. Abgefragt wurden in der COPSY-Studie Depressionsskalen, psychosomatische Beschwerden und sozio-emotionale sowie Verhaltensschwierigkeiten, ohne dass es sich um klinisch diagnostizierte Krankheiten handelte.

Wie die Forschenden in ihrem Paper anmerken, das im Wissenschaftsjournal "Science Advances" veröffentlicht wurde, beziehen sich ihre Daten auf das Jahr 2020, auf den ersten "Lockdown" in der Bundesrepublik. Zum Vergleich zogen sie Daten zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus den Jahren 2015 bis 2017 heran, die im Rahmen von KIGGS erhoben wurden, der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland.

Im Gespräch mit Forschung & Lehre zeigt sich Felfe überzeugt, dass ihre Studie nur "die Spitze des Eisberges" darstelle. Sie würden weiter forschen. Als Volkswirtin interessiere sie sich insbesondere für die Kosten-Nutzen-Analyse verschiedener Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Im ersten Lockdown seien diese vor allem zulasten von Kindern und Jugendlichen gegangen. "Die Kosten, die diese Maßnahmen für die Jüngsten unserer Gesellschaft hatten, haben und langfristig haben werden, wurden lange außer Acht gelassen und bis heute teils verkannt."

cle