Eine junge Frau sitzt am Laptop in einer Bibliothek
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Bibliotheks-Direktor der ETH Zürich
Ist Open Access immer gut?

Dr. Rafael Ball wirft einen kritischen Blick auf die digitale Veröffentlichungspraxis. Trotz guter Absichten habe sie missachtete Nebeneffekte.

02.03.2018

Open Access soll den flächendeckenden Zugriff auf wissenschaftliche Publikationen verbessern. Beiträge sollen jederzeit online gelesen und heruntergeladen werden können. Die Abhängigkeit der Bibliotheken und anderer Institutionen von großen Verlagen soll reduziert werden. Diese hatten ihre Wettbewerbsstärke zuletzt dafür genutzt, immer höhere Lizenzgebühren in Verträgen zu fordern. Die großen Wissenschaftsorganisationen und viele Wissenschaftler unterstützen den Ausbau von Open Access. Allerdings gibt es auch Kritiker, die vor allem urheberrechtliche Bedenken vorbringen.

Die Absichten für den Ausbau seien verständlich und gut, schreibt der Direktor der Bibliothek der ETH Zürich Dr. Rafael Ball in einem aktuellen Artikel für Forschung & Lehre. Nicht zuletzt würde für die Beschaffung von Literatur eine Menge öffentliches Geld ausgegeben und sei es folglich sinnvoll, das möglichst jeder Zugriff zu diesen Informationen habe. Er betont jedoch, dass häufig nicht die Konsequenzen für Bibliotheken und den Publikations- und Veröffentlichungsprozess bedacht würden.

Stärkerer Einfluss wirtschaftlicher Faktoren

So könne Open Access dazu führen, dass sich der Veröffentlichungsprozess zunehmend an wirtschaftlichen Faktoren orientiere. Da bei Open Access oft die Autoren diejenigen sind, die nach dem "pay as you publish"-Prinzip für die Publikation eines Artikels oder Buches zahlen, könnte es sein, dass sie den Verlag nicht mehr danach auswählten, wie renommiert oder passend er für das eigene Thema sei, sondern danach, wie günstig eine dortige Veröffentlichung ist. Wissenschaftshistoriker Ball spricht vor einer Einschränkung der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit, die sich noch verstärken werde, sobald die aktuell hohen staatlichen Fördersummen von Open Access nachließen.

Die Abhängigkeit von einigen wenigen Verlagen verringere sich auch nicht, wenn Hochschulen Flatrates mit den Verlagen abschlössen. Sie nehme sogar zu, verglichen zum aktuellen Stand. Denn ein "Big Deal", durch den Autoren in einem Verlag unbegrenzt veröffentlichen und jeder Wissenschaftsinteressierte mit Mitgliedschaft an einer Bibliothek Zugriff auf alle Inhalte haben soll, sei noch teurer als eine Lizenz nach dem Subskriptionsmodell. "Es ist schwer zu verstehen, warum bei den meisten aktuellen Transformationsverhandlungen ebendiese sehr große − und hochwahrscheinliche − Gefahr weder diskutiert noch berücksichtigt zu werden scheint."

Open Access: Bedeutung von Print missachtet

Es käme nicht von ungefähr, dass die Treiber von Open Access aus den naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fächern kämen, für die eine digitale Veröffentlichungspraxis längst die Regel sei. Fachbereiche, für die gedruckte Werke noch immer einen hohen Stellenwert hätten, seien im Nachteil. Dazu zählten die Geistes- und Sozialwissenschaften. "Die aktuelle Diskussion macht sie zu Wissenschaften zweiter Klasse, deren Literaturversorgung sich nur noch aus den Restmitteln speist, die nach Abschluss der Big Deals übrigbleiben."

kas