Ein Mann und eine Frau stehen vor einem geöffnetet Serverschrank in einem Rechenzentrum und untersuchen ein Gerät mittels Analyse-Tools.
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Digitalisierung
Metastudie zeigt Umwelt-Effekte der Digitalisierung

Im Auftrag des BMBF wurden 200 Studien ausgewertet. Forschungsobjekt war der ökologische Fußabdruck digitaler Technologien.

15.02.2024

Smarte Geräte und Rechenzentren verbrauchen viel Ressourcen und Energie. Einige digitale Technologien können sich jedoch positiv auf die Umwelt auswirken, etwa wenn mit ihrer Hilfe Strom und Heizung in Gebäuden automatisch gesteuert werden. Kann die Wissenschaft bereits einschätzen, wie sich negative und positive Umwelteffekte der Digitalisierung zueinander verhalten?

Rund 200 Studien haben das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und Technopolis Deutschland im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) analysiert. Fazit: In Gebäuden, im Energiesystem und im Verkehr gibt es Anzeichen für positive Wirkungen, doch in den meisten Bereichen braucht es mehr belastbare Zahlen. 

Auswertung positiver Potenziale 

"Die Forschung sollte stärker als bisher den ökologischen Fußabdruck digitaler Technologien berücksichtigen und unerwünschte Nebenwirkungen untersuchen", empfiehlt der Ökonom Christian Lautermann vom IÖW. "Nur so wird es möglich, die Chancen der Digitalisierung realistisch zu bewerten." Die Metastudie "Nachhaltigkeitseffekte der Digitalisierung" wertete in acht Themenbereichen aus, bei welchen digitalen Innovationen sich nach aktuellen Erkenntnissen ein positives Potenzial für Klimaschutz und Umweltentlastung zeigt. 

Mario Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, beurteilt die Ergebnisse positiv: "Wir wollen die Potenziale der Digitalisierung zur Verwirklichung von Nachhaltigkeit nutzen. Die Metastudie zeigt auf, wo dafür die größten Hebel liegen und wo wir noch Forschungsbedarf haben. Mit unserer Forschungsförderung an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit tragen wir dazu bei, eine breitere Datengrundlage und digitale Nachhaltigkeitsinnovationen zu schaffen. Die Ergebnisse und Empfehlungen der Studie bestärken uns darin, dass wir mit einem systemischen Förderansatz auf dem richtigen Weg sind." 

Effekte der Digitalisierung im Kontext Forschung 

Im Bereich des wissenschaftlichen Arbeitens und der dafür benötigten Infrastruktur – Großgeräte, Labore, Rechenzentren, Datenerhebung, Online-Konferenzen – spielt Digitalisierung eine große Rolle. Die Metastudie kommt zu dem Schluss, dass sich bisher nur wenige Studien mit diesen Effekten explizit beschäftigt haben, und empfiehlt entsprechende Projekte: "Erstens braucht es intensivere Forschung, die sich mit der Intersektion aus Digitalisierung, Forschungsinfrastrukturen und Nachhaltigkeit beschäftigt. Die bisherige Datenlage sollte um Studien erweitert werden, die genauer analysieren, welche Potenziale die Digitalisierung im Bereich der Forschungsinfrastrukturen besitzt, um direkt und indirekt die Umweltbelastung zu verringern, die durch das wissenschaftliche Arbeiten entsteht. Konkrete Infrastruktureinheiten von Forschungseinrichtungen, etwa Rechenzentren, Labore, Teilchenbeschleuniger könnten hier wichtige Anhaltspunkte bieten, da sie sehr klimaintensiv sind. (…) Zweitens sollten im nächsten Schritt gerade Substitutions- und Rebound-Effekte bei der Nutzung digitaler Forschungsinfrastruktur vertieft untersucht werden, um tatsächliche Potenziale zu erfassen und zu ermöglichen" (S. 71). 

"Erstens braucht es intensivere Forschung, die sich mit der Intersektion aus Digitalisierung, Forschungsinfrastrukturen und Nachhaltigkeit beschäftigt.” 
Metastudie "Nachhaltigkeitseffekte der Digitalisierung", S. 71

Laut Studien klare Vorteile im Gebäude- und Energiesektor  

Smarte Mess- und Steuerungstechnik und eine darauf aufbauende Gebäudeautomation bieten die Chance, den Wärme- und Stromverbrauch zu senken. Nützlich sind zudem "virtuelle Kraftwerke" und Smart Charging, wobei Dienstleister etwa Batteriespeicher in Haushalten und Elektroautos zusammenschalten und gezielt steuern. So verschmelzen Energie- und Mobilitätssysteme miteinander: Das digital gesteuerte Aufladen der vielen Millionen Speicher und Elektroautos kann helfen, Stromnachfrage und -angebot ins Gleichgewicht zu bringen und Emissionen aus fossilen Kraftwerken zu reduzieren. 

Mobilität: Zu starker Fokus auf Individualverkehr ersichtlich 

Studien zeigen, dass Straßen effizienter genutzt werden und Energieverbräuche von Fahrzeugen sinken, wenn Routen, Kolonnen oder Ampelschaltungen mithilfe Künstlicher Intelligenz optimiert werden. "Doch die Umwelteffekte beim autonomen Fahren hängen davon ab, ob die neue Technik auch insgesamt die Zahl der Pkw und der gefahrenen Kilometer reduziert", warnt Christian Lautermann. 

"Doch die Umwelteffekte beim autonomen Fahren hängen davon ab, ob die neue Technik auch insgesamt die Zahl der Pkw und der gefahrenen Kilometer reduziert."
Ökonom Christian Lautermann vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung

In der Metastudie wird die Gefahr im Rebound-Effekt gesehen: "Beispielsweise lassen sich Fahrzeugrouten, Kolonnen oder Ampelschaltungen mit Hilfe maschineller Lernverfahren so verändern, dass Straßen effizienter genutzt werden und Energieverbräuche von Fahrzeugen sinken (…). Hier sind jedoch gleichzeitig erhebliche Risiken zu erwarten, dass Rebound-Effekte die zunächst positiven Auswirkungen nach einiger Zeit deutlich reduzieren oder sogar umkehren könnten" (S. 45). Künftige Forschung sollte daher verstärkt Carsharing, Güter- und Busverkehr betrachten: Die Potenziale digitaler Technologien für einen umweltfreundlichen Nahverkehr sind bisher deutlich weniger erforscht als beim Individualverkehr. 

Ressourcenverbrauch der Digitalisierung an sich 

Den Effizienz- und Einsparpotenzialen von digitalen Tools stehen Energie- und Ressourcenverbräuche in der Lieferkette und bei der Anwendung gegenüber. Bis zu vier Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen entstehen durch Herstellung und Betrieb digitaler Geräte. Eine Stunde Surfen auf Plattformen wie Social Media oder Streaming-Diensten kann je nach Berechnungsmethode bis zu 280 Gramm CO2 verbrauchen. Bei einem KI-Trainingsdurchlauf entstehen, je nach Berechnungsmethode und Strommix, sogar bis zu 942 Tonnen Treibhausgase – so viel wie etwa 90 Personen in Deutschland aktuell im Jahr verursachen. 

In der vorliegenden Metastudie heißt es zu den direkten negativen Effekten der Digitalisierung auf die Treibhausgas-Emmissionen (THG): "Die im Themenfeld Klimaschutz analysierten Studien untersuchen sowohl direkte als auch indirekte Umwelteffekte der Digitalisierung. Der direkte Effekt von KI und digitalen Endgeräten (mit Blick auf Herstellung, Nutzung und Verwertung) auf das Klima ist insgesamt negativ im Sinne von steigenden THG-Emissionen" (S.35). 

Studien-Empfehlung: Umweltwirkung ganzheitlich erforschen 

"Studien zeigen, dass der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu einer Reduktion der nationalen Treibhausgasbilanz beitragen kann", erklärt Jan Stede von Technopolis Deutschland, der das Projekt leitet. "Dieser positive Effekt ist jedoch ambivalent zu bewerten: Die klimaintensive Produktion von digitalen Technologien findet oft in anderen Ländern statt. Zukünftige Forschung zur Klimawirkung von Digitalisierung sollte daher verstärkt die Verlagerung der Emissionen in der Produktion, aber auch Rebound-Effekte in den Blick nehmen." 

Rebound-Effekte gibt es beispielsweise in der Industrie: Zwar können Produktionsprozesse durch eine digitale Vernetzung energiesparender ablaufen – wenn die Automatisierung jedoch zu einer höheren Produktion führt, kann dies einen Teil der Einsparungen wieder zunichtemachen. Solche Effekte sollten bei einer Bilanzierung der Gesamtauswirkungen der Digitalisierung zumindest näherungsweise eingerechnet werden. Hinzu kommt, dass die meisten Studien nur CO2-Effekte quantifizieren. Eine umfassende Lebenszyklusanalyse würde hingegen auch andere direkte und indirekte Folgen betrachten – von Umweltverschmutzung bis zu Auswirkungen auf die Biodiversität. 

Die Metastudie empfiehlt für zukünftige Ansätze zudem Interdisziplinarität: "Eine zukünftige Forschungsagenda solle außerdem eine starke interdisziplinäre Perspektive einnehmen. Wie Digitalisierung als Katalysator für eine nachhaltige Zukunft genutzt werden könne, sei schließlich nicht nur eine Frage der technischen Machbarkeit und Umsetzung, sondern besitze politische, rechtliche, soziale und psychologische Dimensionen" (S. 41).

cva