Zwei Biathleten beim Weltcup-Massenstartrennen in Kontialahti, Finnland 2018.
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Sportpsychologie
Wer vor Publikum schneller läuft

Welchen Einfluss hat die Anwesenheit von Zuschauern auf die Leistung von Profisportlern? Die Corona-Pandemie lieferte ideale Untersuchungsbedingungen.

27.06.2021

Männer laufen schneller, wenn ein Publikum ihnen dabei zusieht, Frauen langsamer. Im Unterschied schießen weibliche Biathletinnen schneller, und Biathleten langsamer, wenn Zuschauer anwesend sind. Frauen treffen bei Einzelstartrennen mit Publikum auch genauer. Diese Beobachtungen beschreibt eine neue Studie, für die Forschende der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg und der Friedrich-Schiller-Universität Jena Biathlon-Weltcup Ergebnisse von vor und während der Pandemie miteinander verglichen haben: Im ersten Fall war Publikum zugelassen, im zweiten nicht. Dies erlaubte es "Social Facilitation", also soziale Aktivierung außerhalb des Laborkontexts zu untersuchen. Soziale Aktivierung beschreibt den Effekt, dass Leistungen durch die Anwesenheit anderer beeinflusst werden.

Für die Studie wurden die Laufzeiten und Schießerfolge von Biathletinnen und Biathleten aus der Saison 2018/2019 mit ihren Leistungen in der Saison 2020 in den Disziplinen Sprint und Massenstart verglichen. Dass Männer vor Publikum schneller als ohne laufen, entspräche vorherigen Studien, die besagten, dass bei Konditionsaufgaben die Anwesenheit von Zuschauern zu einer Leistungssteigerung führten. Beim Schießen, einer Koordinationsaufgabe, sei ebenfalls der erwartete Effekt eingetreten: das Publikum habe die Leistung der Biathleten gemindert. Bei den Biathletinnen war der Effekt genau gegenläufig, was die Forschenden überraschte. Die Athletinnen liefen in Anwesenheit von Zuschauern langsamer, schossen dafür aber durchschnittlich circa eine Sekunde schneller und zeigten zumindest im Sprint auch etwa fünf Prozent höhere Trefferleistungen. Untersuchungsgrundlage waren die Ergebnisse von 49 Männern und 34 Frauen, die jeweils an den gleichen Wettbewerben 2018/2019 und 2020 teilgenommen hatten.

Die Studie stelle die Generalisierbarkeit der Social-Facilitation-Theorie in Frage und weise auf einen bisher unbekannten Unterschied zwischen Männern und Frauen hin. Die enthaltene Literaturanalyse von 47 vorherigen empirischen Studien zu "Social Facilitation" stellte fest, dass nur knapp ein Viertel der untersuchten Studien sowohl männliche Teilnehmer, als auch weibliche Teilnehmerinnen berücksichtigte, während 40 Prozent nur zu Männern forschten. Dies sei eine Verzerrung der Auswahl von Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern. Die neue Studie spekuliert über die Ursachen für die möglichen geschlechtsspezifischen Leistungsunterschiede in Reaktion auf Publikum. Die Forschenden diskutieren, dass diese Leistungsunterschiede auf einen Einfluss von Geschlechterrollen zurückzuführen seien.

cpy