Corona-Pandemie
Wildtiere vergrößerten in Lockdowns ihre Gebiete
Die Einschränkungen während der Corona-Pandemie haben sich auch auf das Verhalten von Tieren ausgewirkt. Wildlebende Landsäugetiere legten während der strengen Lockdowns längere Strecken zurück und hielten sich näher an Straßen auf. Das geht aus einer internationalen Studie hervor, die am Donnerstag im Fachjournal "Science" erschienen ist. Daran beteiligt waren auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Frankfurter Forschungsinstituts Senckenberg.
Im ersten Pandemiejahr 2020 gab es vielerorts Berichte über vermehrt in Städten auftauchende Wildtiere. War dem tatsächlich so – oder waren die Menschen einfach aufmerksamer, weil sie mehr zu Hause waren? Um diese Frage zu beantworten, analysierte das Forschungsteam Bewegungsdaten von mehr als 2.300 Säugetieren 43 verschiedener Arten wie Elefanten, Giraffen, Bären und Hirschen, für die es GPS-Daten gab. Die Forschenden verglichen die Bewegungen während der ersten Lockdown-Phase zwischen Februar und April 2020 mit denen im Vorjahreszeitraum.
Pumas und Stachelschweine vermehrt in städtischen Gebieten gesichtet
"Unser Daten zeigen, dass die Tiere während strenger Lockdowns in einem Zeitraum von zehn Tagen bis zu 73 Prozent längere Strecken zurücklegten als im Jahr zuvor, als es noch keine Beschränkungen gab", erklärte Dr. Marlee Tucker, Erstautorin der Studie und Assistenzprofessorin an der Radboud-Universität im niederländischen Nijmegen. "Wir konnten zudem feststellen, dass sie sich im Durchschnitt 36 Prozent näher an Straßen aufhielten als im Vorjahr. Das ist sicherlich damit zu erklären, dass es in diesem Zeitraum sehr viel weniger Straßenverkehr gab," so die Ökologin.
Eine Reihe von artspezifischen Fallstudien deckt sich mit den Ergebnissen des Forschungsteams: Pumas (Puma concolor) bewegten sich während des Lockdowns über Stadtgrenzen, die Häufigkeit von Stachelschweinen (Hystrix cristata) nahm in städtischen Gebieten zu, die Tagesaktivität des Florida-Waldkaninchens (Sylvilagus floridanus) stieg und Braunbären (Ursus arctos) nutzen neue Verbindungskorridore.
Zeichen der Anpassungsfähigkeit: Wildtiere reagieren auf Bewegungsradien der Menschen
"Während der strengen Lockdowns hielten sich sehr viel weniger Menschen im Freien auf, was den Tieren die Möglichkeit gab, neue Gebiete zu erkunden", erläuterte der Letztautor der Studie, Professor Thomas Müller vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Goethe-Universität Frankfurt. "In Gebieten mit weniger strengen Auflagen konnten wir im Gegensatz dazu beobachten, dass Säugetiere kürzere Strecken als im Vorjahr zurücklegten. Dies könnte damit zusammenhängen, dass während dieser Zeiträume die Menschen ermutigt wurden, in die Natur zu gehen. Infolgedessen waren einige Naturgebiete stärker frequentiert als vor der Corona-Pandemie - mit Auswirkungen auf die Säugetierfauna."
Die sogenannte Anthropause – die vorübergehende Abwesenheit des Menschen – war eine einzigartige Gelegenheit, die Auswirkungen der menschlichen Präsenz auf die Tierwelt zu untersuchen. "Wir zeigen mit unseren Ergebnissen, dass die Mobilität des Menschen eine wichtige Triebkraft für das Verhalten einiger Landsäugetiere ist", erklärte Tucker. Das Ausmaß sei mit dem von Landschaftsveränderungen vergleichbar. "Unsere Forschung belegt zudem, dass Tiere direkt auf Veränderungen im menschlichen Verhalten reagieren können. Das lässt für die Zukunft hoffen – denn im Prinzip bedeutet dies, dass sich eine Anpassung unseres eigenen Verhaltens auch positiv auf die Tierwelt und die von ihr bereitgestellten Ökosystemfunktionen auswirken kann."
dpa/cpy