Ein Vater sitzt am Schreibtisch vor dem Computer und telefoniert, während sein Kind in seinen Armen turn und mit Legospielzeug auf dem Tisch spielt.
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Fachkräftemangel
Hochschulen leiden unter Mangel an Kita-Plätzen

Auch in der Wissenschaft fehlen Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Das schadet dem Wissenschaftsstandort Deutschland.

Von Philipp Jedicke 19.01.2024

Seit Jahren gibt es in Deutschland einen immer größer werdenden Mangel an Erzieherinnen und Erziehern. So steckt zum Beispiel das Bundesland Baden-Württemberg in einer regelrechten Kita-Krise: Von Mannheim bis Ravensburg fehlen fast 60.000 Betreuungsplätze. Schon im März 2023 zitierte die "Wirtschaftswoche" Stefan Küpper vom Dachverband der baden-württembergischen Wirtschaft: "Der Mangel an Erziehungskräften führt zu Betreuungsengpässen, wodurch dann berufstätige Eltern – meist junge Mütter – nicht von der Teilzeit in die Vollzeit wechseln können." Die Folge sei ein großer Verlust an potenzieller Arbeitskraft, die dringend benötigt werde. 

Auch an Hochschulen und Universitäten wird das Problem dringender. Im Juli 2023 bat eine Gruppe von Abgeordneten um Dr. Dorothea Kliche-Behnke (SPD) aus dem baden-württembergischen Landtag in einem Antrag das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst um eine Stellungnahme. Es ging um mehreren Fragen, darunter wie viele Kita-Plätze in Verwaltung, Forschung und Lehre zur Verfügung stehen, wie viele Kita-Plätze auf den Bedarf internationaler Beschäftigter der Hochschulen eingestellt sind, in welchen rechtlichen Rahmenbedingungen Hochschulen eigenständig Kindertageseinrichtungen einrichten können, und inwieweit dem Ministerium Fälle bekannt seien, in denen Professuren an Hochschulen aufgrund nicht ausreichender oder mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten vor Ort nicht angenommen oder angetreten wurden. 

Fehlende Kinderbetreuung ist bundesweites Problem

Gerade in wichtigen, hoch kompetitiven Forschungsbereichen der Zukunft wie KI, Wasserstoff, Raumfahrt und Gesundheit ist laut Landtag die Sorge groß, dass Baden-Württemberg den Anschluss verliere. Das familiäre Umfeld junger Forscherinnen und Forscher müsse stärker in den Blick genommen werden, um sie für eine Hochschule zu gewinnen und an diese zu binden. "Die Bereitstellung von ausreichend Kinderbetreuungsplätzen mit entsprechenden Qualitäten auch für internationale Forscherinnen und Forscher ist dabei die vordringlichste Aufgabe. Ein Mangel an Kita-Plätzen ist eine Gefahr für den Forschungsstandort Baden-Württemberg", heißt es im Wortlaut.  

Dies bestätigt auch Professor Hubert Detmer, Leiter der Abteilung "Recht und Beratung" beim Deutschen Hochschulverband (DHV). "Das Thema wird immer bedeutsamer, das ist auch bundesweit zu verzeichnen. Wir fordern die Leute im Rahmen unserer Workshops, Seminare und Coachings dazu auf, sich genau zu überlegen: Was ist eigentlich für dich wichtig? Wir sind da sozusagen auch stilbildend unterwegs. Insofern überrascht es mich überhaupt nicht, dass das Thema eine größere Bedeutung bekommt", so Detmer gegenüber "Forschung & Lehre". Über Detmers Tisch laufen zahlreiche Berufungsverhandlungen. Darin seien Themen wie Kinderbetreuungsräume und Notfallbetreuung immer wichtigere Bestandteile. "Das geht hin bis zu der Frage, dass über Kita-Plätze verhandelt wird." 

Kinderbetreuung immer wichtiger bei Jobverhandlungen 

Im Oktober 2023 nahm das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst zur Anfrage aus dem Landtag Stellung und bestätigte die geäußerten Bedenken. Die angespannte Kinderbetreuungssituation erschwere Berufungs- und Bleibeverhandlungen, da bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Kindern die Zusage von Betreuungsplätzen in den Verhandlungen häufig eine wichtige Rolle spiele. Weiter heißt es in der Stellungnahme: "Dem Wissenschaftsministerium wurden drei Fälle gemeldet, in denen die Kinderbetreuungssituation als Grund für eine Rufablehnung oder eine Rufannahme an einer anderen Einrichtung angegeben wurde." 

Auch für Hubert Detmer gibt es einen Zusammenhang zwischen Rufabsagen und mangelnden Kinderbetreuungsmöglichkeiten: "Daran sind auch schon Berufungen gescheitert. Ich kann Ihnen keine Prozentzahl nennen, aber es ist schon sehr bedeutsam. Das sehen Sie auch daran, dass es inzwischen sehr viele Universitäten und auch sonstige Hochschultypen gibt, die das Audit 'familiengerechte Hochschule' durchgeführt haben." Besonders bei Auslandsberufungen gingen die Professorinnen und Professoren "sehr ambitioniert" an das Thema heran, "da es für sie mit einer großen Zäsur von Ort, Zeit und Familie verbunden ist, allein schon deswegen haben sie einen viel größeren Service- und Verhandlungsbedarf." 

Familienfreundlichkeit: eine Frage von Prioritätensetzung 

Deutschland sei in Sachen Familienfreundlichkeit an den Hochschulen aber gar nicht so schlecht wie sein Ruf. Es gebe durchaus in der Fläche viele Unterstützungs- und Serviceangebote rund um das Thema Kita- und Schulplätze. "Sie sehen das in den Personaltableaus, es gibt immer ein Familiendezernat oder ein Dual Career-Dezernat", so Hubert Detmer. Eine universitätseigene Kita sei "ein absolutes Desiderat, (...) aber das ist eher noch selten in Deutschland." 

Die Frage sei eben, welche Prioritäten eine Hochschule setze. "Ich bin fest davon überzeugt: Es ist ein Muss ist für die Hochschulen, gerade in Ballungszentren, handfeste Services bereitzuhalten, weil sie ansonsten international vielleicht nicht mehr ganz konkurrenzfähig sind", schließt Hubert Detmer. Einige Universitäten und sonstige Hochschulen planen daher eigene Kitas oder haben sie bereits, um Kandidatinnen und Kandidaten für Professuren zukünftig Kinderbetreuungsplätze garantieren zu können. Angesichts des andauernden Fachkräftemangels wird das Problem in Zukunft allerdings größer werden, wenn die Politik nicht gegensteuert.

Ihre Meinung ist gefragt 

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Kinderbetreuungsangebot in der Wissenschaft gemacht? Welche Probleme sehen Sie und wie können Hochschulen aus Ihrer Sicht unterstützen? Schreiben Sie uns – hier oder an kommentare(at)forschung-und-lehre.de.