Illustration einer Weltkarte mit Menschen und Verbindungen
mauritius images/Norbert Buchholz/Alamy

Interview mit Prof. Dr. Roy Sommer
"Man muss nicht überall dabei sein"

Junge Nachwuchswissenschaftler sollen Netzwerke aufbauen und pflegen können. Doch welche Bedeutung haben diese tatsächlich für die eigene Karriere?

Von Friederike Invernizzi 06.04.2018

Forschung & Lehre: Die grundlegenden Reformen der Doktorandenausbildung hatten und haben nach Ihren Worten eine Promotion mit "System und Perspektive" im Blick. Welche Rolle spielt dabei nach Ihrer Beobachtung das wissenschaftliche Netzwerken?

Roy Sommer: Die Bedeutung von Netzwerken für den wissenschaftlichen Nachwuchs, aber auch die Formen und Funktionen wissenschaftlicher Kommunikation haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Zum einen sind mit den Graduiertenzentren und Graduate Schools der Universitäten neue Betreuungsstrukturen aufgebaut worden, die gemeinsam mit den klassischen DFG-Graduiertenkollegs zu einer Qualitätssteigerung der Doktorandenausbildung beitragen. Zum anderen sind durch Formate wie Summer Schools und Graduiertentagungen in vielen Disziplinen Plattformen geschaffen worden, die den frühen Austausch der Promovierenden untereinander fördern, auch international. Hinzu kommen soziale Medien, die von den Promovierenden verstärkt genutzt werden. Gleich geblieben ist allerdings die Zeit, innerhalb derer eine Promotion zu schaffen sein soll, und daraus ergibt sich ein gewisser Widerspruch. Den kann man nur dadurch auflösen, dass man Promovierende darin unterstützt, den Trend zur Beschleunigung und Selbstoptimierung kritisch zu reflektieren. Man muss nicht überall dabei sein.

F&L: Welche Kompetenzen werden für junge Promovierte im Berufsleben insbesondere im wissenschaftlichen Bereich erwartet? Ist das wissenschaftliche Netzwerken eine Schlüsselkompetenz?

Roy Sommer: Natürlich gehören die Fähigkeit und Bereitschaft zur Kommunikation und Kooperation mit anderen zu den Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Karriere – auch mit Blick auf das Forschungsmarketing und den Transfer (Third Mission). Das "Netzwerken" (laut Duden ein umgangssprachlicher Begriff, den ich persönlich nach Möglichkeit vermeide) an sich würde ich aber nicht als Schlüsselkompetenz betrachten, sondern eher als den Effekt von Eigenschaften und Fähigkeiten wie die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen (auch wenn noch nicht immer klar ist, wohin das führt), Kreativität im Umgang mit schwierigen, manchmal auch unerwarteten Herausforderungen, Ambiguitätstoleranz, Empathie und die Fähigkeit zum konstruktiven Umgang mit Erwartungs- und Leistungsdruck. Hinzukommen sollten noch Werte wie Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit, aber auch Flexibilität, wenn etwas einmal anders läuft als geplant. Und ein gewisses Maß an Selbstironie hat auch noch niemandem geschadet. Mit Menschen, die über solche Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen (die Liste ließe sich natürlich fortsetzen), wird man gerne zusammenarbeiten, ob innerhalb oder außerhalb der Universität. Wer hingegen Kontakte nur um der Kontakte willen knüpft, wird in der Wissenschaft langfristig keinen Erfolg haben.

F&L: Welche Formen des Netzwerkens beobachten Sie und wer netzwerkt mit wem besonders häufig? Welche Rolle spielen da Kontakte zur Wirtschaft und zur Industrie?

Roy Sommer: Promovierende vernetzen sich auf unterschiedlichen Ebenen. Alle strukturierten Programme haben eine starke Netzwerkkomponente. Darüber hinaus bieten auch die Begabtenförderungswerke Promovierenden im Rahmen von Workshops oder Stipendiatentreffen Gelegenheit, sich mit anderen auszutauschen. Auch die Graduiertenzentren der Universitäten, die mittlerweile ein hohes Professionalisierungsniveau erreicht haben, bieten häufig vor Ort finanzielle und organisatorische Unterstützung bei der Vernetzung, sei es durch Hilfe bei der Organisation von Arbeitsgruppen und Workshops oder der Förderung von Konferenzreisen. Außerdem haben viele wissenschaftliche Gesellschaften eigene Formen der Nachwuchsförderung etabliert, die dabei helfen, sich in die scientific community zu integrieren. Wie relevant dabei der Transferbereich ist, der übrigens nicht nur auf Kontakte zur Wirtschaft und Industrie beschränkt werden sollte, ist von Fach zu Fach unterschiedlich.

F&L: Können netzwerkartige Strukturen mit Betreuungsvereinbarungen die Beziehung zwischen Doktormutter oder Doktorvater und Promovend ersetzen?

Roy Sommer: Die Voraussetzung für einen erfolgreichen Promotionsprozess – auch aus Sicht der Betreuenden, man sollte nicht vergessen, dass diese eine langfristige Verpflichtung eingehen und viel Zeit und Energie in die Arbeit ihrer Teams investieren – ist, dass Erwartungshaltungen von Anfang an explizit thematisiert werden. Von beiden Seiten. Betreuungsvereinbarungen können dazu beitragen, zumal sie, jedenfalls wenn man die Empfehlungen der DFG zugrunde legt, auch die Verpflichtung zur "Unterstützung der frühen wissenschaftlichen Selbstständigkeit" sowie zu Karriereförderung und Mentoring durch die Betreuenden enthalten. Allerdings können Strukturen nie Beziehungen ersetzen, sondern diese lediglich definieren, formalisieren, intensivieren und erweitern. Die Qualität der Betreuung hängt wesentlich vom persönlichen Engagement der betreuenden Personen ab, ob dies nun der Doktorvater bzw. die Doktormutter ist oder ein Gremium.

F&L: Inwieweit wird der Entscheidungsdruck für die Promovierenden heute höher, zum Beispiel was die Standortwahl, die Art der Kontakte und der Promotion betrifft? Gibt es hier große Unterschiede zwischen den Fächern?

Roy Sommer: Es gibt sicher Unterschiede in der Rekrutierung, die sich vor allem aus den Alternativen der angehenden Promovierenden ergeben. Wenn diese außerhalb der Universität hervorragende Karriereoptionen haben, müssen sich die entsprechenden Fächer anstrengen, wissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen und zu halten. Ist dies nicht der Fall, konkurrieren Interessierte um Promotionsplätze, es entsteht also ein Wettbewerb, in dem sich die Universität die besten Köpfe aussuchen kann. In beiden Fällen haben diejenigen Standorte die Nase vorne, die mit exzellenten Promotionsbedingungen aufwarten, also interessante Projekte, Stellen, Arbeitsbedingungen und Kontakte bieten können. In der Praxis spielen allerdings oft noch andere Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Standortwahl, zum Beispiel die frühzeitige Bindung an einen Lehrstuhl durch eine Tätigkeit als studentische Hilfskraft, ein attraktives Umfeld und familiäre Aspekte. Was den Entscheidungsdruck betrifft: Natürlich steigt dieser mit der Zahl der Optionen und relevanten Faktoren. Angehende Promovierende müssen aber früh lernen, mit solchem Druck gelassen umzugehen.

F&L: Inwiefern verändert die Juniorprofessur als Konkurrenzmodell zum klassischen Weg zur Professur die Anforderungen an die Promotion als Qualifizierungsphase?

Roy Sommer: Die Juniorprofessur wird stärker als die klassische Post-Doc-Stelle als Führungsposition wahrgenommen. Ähnlich wie bei W2-Professuren werden in den Ausschreibungen daher häufig der Nachweis pädagogischer Eignung, aber auch Erfahrungen in der Einwerbung von Drittmitteln oder Aktivitäten im Bereich des Wissenstransfers gefordert – Qualifikationen, die also schon während der Promotionszeit erworben werden sollten. Die Anforderungen ändern sich also durchaus, jedenfalls in der Theorie. In der Praxis wird es aber nur selten vorkommen, dass jemand alles gleichermaßen – und gleichermaßen gut – bedienen kann. Und Mittelmaß in allen Bereichen, den sprichwörtlichen "Jack of all trades, master of none", will auch niemand. Promovierende, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben, sollten sich daher nicht verzetteln und das wichtigste Ziel nie aus den Augen verlieren: den möglichst guten Abschluss der Doktorarbeit in der dafür vorgesehenen Zeit. Eine exzellente Dissertation können Netzwerke und Zusatzqualifikationen nicht ersetzen.