Symbolbild: Stempel und Stempelabdruck mit der Aufschrift Plagiat
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Gute wissenschaftliche Praxis
Welche Regeln gelten beim Recycling eigener Texte?

Zu den zahlreichen Varianten von Plagiaten zählt auch das "Selbstplagiat". Für die Wiederverwertung eigener Arbeiten existieren aber kaum Leitlinien.

Von Felix Hagenström 22.03.2023

Es ist gängige Praxis unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die eigenen Texte und andere Produkte eigener Forschung wiederzuverwerten. Manchmal umfasst das recycelte Material kürzere Textpassagen, manchmal längere Abschnitte, manchmal Tabellen oder andere Abbildungen. Doch wie sind solche Wiederverwertungen aus der Sicht der guten wissenschaftlichen Praxis (GWP) zu beurteilen?

Die meisten Handreichungen zur GWP erwähnen das Thema nicht explizit, geschweige denn geben sie konkrete Empfehlungen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Ombudspersonen sind folglich recht orientierungslos angesichts von Fragen wie etwa "Welche Formen der Wiederverwertung eigener Materialien sind erlaubt?", "Was muss man beachten, um sich bei erneuter Verwendung GWP-konform zu verhalten?" oder schlicht "Ist das ein Plagiat?"

Ein weiterer Faktor verkompliziert derartige Fragen: Kollaboratives Arbeiten ist in weiten Teilen der Wissenschaft die Regel. In den Natur- und Lebenswissenschaften, aber auch anderen experimentellen Forschungszweigen sind Einzelautoren die Ausnahme. Doch wenn ganze Forschergruppen samt Hilfspersonal wissenschaftliche Ergebnisse und deren Publikation erarbeiten, werden praktische Fragen zur Wiederverwertung noch komplexer.

"Selbstplagiat", GWP und Fehlverhalten

Meist wird die Wiederverwertung eigener Arbeiten unter dem Begriff "Selbstplagiat" diskutiert, als ob es sich um eine Form des Plagiats handelte. Das ist in doppelter Hinsicht problematisch. Erstens ist der Begriff ein Widerspruch in sich: Plagiate sind wesentlich gekennzeichnet durch Übernahmen aus fremder Quelle – das ist jedoch bei der Wiederverwertung eigener Arbeiten ja gerade nicht der Fall. Zweitens gilt Plagiieren als wissenschaftliches Fehlverhalten – das trifft hingegen nur in wenigen Fällen auf die Wiederverwertung eigener Arbeiten zu (etwa, wenn ein Forscher die Veröffentlichung des gleichen Fachartikels in zwei Zeitschriften zu verschleiern versucht). Als erster wichtiger Schritt zu mehr Klarheit kann ein jüngst vorgebrachter terminologischer Neuerungsvorschlag für die GWP gelten: den Begriff "Selbstplagiat" durch die breitere Kategorie des Recyclings zu ersetzen, wobei letztere akzeptable wie inakzeptable Wiederverwertungen umfasst.

"Meist wird die Wiederverwertung eigener Arbeiten unter dem Begriff 'Selbstplagiat' diskutiert."

Am "Selbstplagiat" zeigt sich denn auch, wie sich die Bezugnahme auf eigene Arbeiten gewandelt hat. Lange galt es als unschicklich, sich selbst zu zitieren und ständig auf eigene Publikationen zu verweisen. Doch aufgrund prominenter Plagiatsfälle sind viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärker für das Thema sensibilisiert und die Verweise auf eigene Arbeiten scheinen zugenommen zu haben. Abseits abstrakter Leitlinien existieren indes kaum klare Vorgaben.

Der folgende Grundsatz dürfte nicht als kontrovers gelten: Die Wiederverwertung eigener wissenschaftlicher Arbeiten sollte hinreichend kenntlich sein. Was im Einzelnen als hinreichend gilt, lässt sich allgemein schwerlich sagen. So mag in manchen Fällen ein kurzer Hinweis zu Beginn oder am Ende einer Publikation genügen, in anderen Fällen kann eine detaillierte Aufschlüsselung des recycelten Materials und dessen anderweitiger Verwendung geboten sein. Als eindeutiger Verstoß gegen die GWP ist jedenfalls zu werten, wenn die Publikation desselben Materials an zwei unterschiedlichen Orten ohne entsprechende Absprache und Kennzeichnung erfolgt.

Fallszenarien für Selbstplagiate

Schauen wir uns zwei mögliche Szenarien an.

(1) Ein Historiker hielt vor einigen Jahren einen Vortrag, das Manuskript ist auf der Veranstaltungs- und auf seiner persönlichen Internetseite abrufbar. Nun schreibt der Historiker an einem längeren Aufsatz für eine Fachzeitschrift und nimmt darin nicht nur einige Gedanken seines Vortrags auf, sondern verwendet einige Absätze aus jenem Manuskript mehr oder weniger wortgleich. Unter welchen Bedingungen kann dieser Fall als GWP-konform gelten? Zunächst kann man sagen, dass grundsätzlich nichts gegen das skizzierte Vorgehen spricht, eventuell sogar einiges dafür, zum Beispiel kann der Aufsatz einige Gedanken des Vortrags weiterentwickeln oder die aus dem Manuskript übernommenen Passagen fassen einen Sachverhalt besonders treffend zusammen. Anderes ist indes nicht so leicht zu beantworten. Verlangen diese Wiederverwertungen eine explizite Erwähnung des Vortrags (wenn ja, welcher Art)? Ist es aus wissenschaftlicher und ethischer Sicht wünschenswert, anstatt wortgleicher Übernahmen den betreffenden Text zu paraphrasieren? Weitere derartige Fragen ließen sich hier anschließen. Treten sie in der Praxis auf, sollten sie vor der betreffenden Publikation durchdacht und zum Beispiel mit dem Verlag geklärt werden.

(2) Eine Biochemikerin, Mitarbeiterin einer Forschungsgruppe, hat mit ihrem Team einen Artikel veröffentlicht, der eine Vielzahl von Diagrammen enthält. Die Publikation hat zehn Autorinnen und Autoren. Nun möchte die Biochemikerin manche der Diagramme in einem neuen Artikel verwenden, an dem nur wenige der Teammitglieder beteiligt sind. Die Diagramme präsentieren Informationen, die auch wichtig zum Verständnis des neuen Artikels sind, der allerdings auf zusätzliche Daten zurückgreift und neue Resultate präsentiert. Inwieweit stellen die wiederverwerteten Diagramme eigene Arbeiten dar, wenn sie zuvor wesentlich von anderen mit erarbeitet wurden? Welche Erwartungen hat die Scientific Community überhaupt an das Recycling von Abbildungen und dessen Kennzeichnung? Unter welchen Bedingungen ist es erlaubt, eigenes visuelles Material und eventuell auch dessen Beschreibung mehr oder weniger eins zu eins zu übernehmen? Auch in den empirischen Wissenschaften gilt es, Fragen zur Wiederverwertung grundsätzlich zu durchdenken und die praktischen Konsequenzen zu erörtern.

Erste Lösungsansätze

Beide Szenarien demonstrieren nur einige der vielen Fragen, die die wissenschaftliche Praxis oft aufwirft. Die Klärung solcher Fragen zur Wiederverwertung eigener wissenschaftlicher Arbeiten hat sich das Forschungsprojekt "Text Recycling Research Project" (TRRP) unter der Leitung von Cary Moskovitz (Duke University) zur Aufgabe gemacht. Das TRRP plädiert dafür, die breite Kategorie des Recyclings zu etablieren, und hat bereits hilfreiche Studien samt definitorischer Vorschläge und Anregungen für Richtlinien veröffentlicht. Diese Dokumente verdienen Aufmerksamkeit, zumal sie erste Kriterien zur wissenschaftlichen und ethischen Beurteilung erläutern, nämlich den Kontext, die Art und die Menge des recycelten Materials.

"Die Wiederverwertung eigener Arbeiten bedarf zweifellos auch in Deutschland der weiteren Erörterung."

Das Thema der Wiederverwertung eigener Arbeiten bedarf zweifellos auch in Deutschland der weiteren Erörterung. Es wäre begrüßenswert, wenn Akteure mit besonderer Kenntnis disziplinspezifischer Standards und Konventionen (zum Beispiel Fachgesellschaften) sich der genaueren Bestimmung akzeptabler bzw. inakzeptabler Formen des Recyclings widmeten. So könnten möglichst konkrete Regeln und Handlungsempfehlungen für die jeweiligen Wissenschaftszweige entwickelt werden. Bessere Orientierung würde in der Praxis sicherlich die Unsicherheiten abbauen, manchen Konfliktfall verhüten und GWP-Verstöße erkennen helfen.

Zum Weiterlesen

Im transcript Verlag ist kürzlich das Buch "Wissenschaftliche Fairness. Wissenschaft zwischen Integrität und Fehlverhalten" von Felix Hagenström, Katrin Frisch und Nele Reeg erschienen.