Ein Ingenieur und eine Ingenieurin unterhalten sich und betrachten eine Drohne.
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Ingenieurwissenschaften
Drohende Erosion in Maschinenbau- und Elektroindustrie

Immer weniger Menschen studieren Ingenieurwissenschaften. Das bremst Forschung und Technologieentwicklung. Was hilft gegen den Mangel an Fachpersonal?

Von Holger Göbel 14.07.2023

Die letzten Monate haben uns deutlich vor Augen geführt, dass die Maschinenbau- und Elektroindustrie, die unter anderem für die Bereitstellung von Energie und öffentlichem Nahverkehr sorgt, zur kritischen Infrastruktur unseres Landes gehört. Aber auch die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wie Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung und Demografie lassen sich ohne Einsatz innovativer Technik nicht lösen. Betrachten wir dazu das Beispiel Klimawandel: Sicher sind hier ein grundsätzliches Umdenken in unserer Gesellschaft sowie politische Ansätze erforderlich, aber auch in Zukunft werden wir zum Beispiel auf Mobilität weder verzichten wollen noch können. Notwendige Voraussetzung für den Aufbau einer lebenswerten Zukunft ist daher die Entwicklung geeigneter technischer Lösungen.

Deutschland hat nun mit seiner leistungsfähigen und innovativen Maschinenbau- und Elektroindustrie den Schlüssel zur Lösung der genannten Probleme selbst in der Hand. Beiden Branchen geht es trotz der zurzeit schwierigen Umstände gut, was sich zum Beispiel darin widerspiegelt, dass dort überdurchschnittliche Gehälter gezahlt werden und dass die Arbeitslosenquote zum Beispiel bei Elektroingenieurinnen und -ingenieuren in den letzten zehn Jahren lediglich im Bereich von etwa zwei Prozent lag.

Vor diesem Hintergrund sollte man erwarten, dass es einen regelrechten Ansturm auf ingenieurwissenschaftliche Studiengänge wie zum Beispiel Maschinenbau und Elektrotechnik gibt, doch das Gegenteil ist der Fall: Die Einschreibezahlen in den beiden Fächern sind in den letzten Jahren stark zurückgegangen – und das, obwohl die Zahl der Studienberechtigten in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Zudem ist die Attraktivität der ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge, gemessen am Anteil der Studierenden dieser Fächer an der Gesamtheit aller Studierenden, stark rückläufig.

Zukünftiger Bedarf an Ingenieurinnen und Ingenieuren

Um die Folgen dieser Entwicklung zu verdeutlichen, genügt ein kurzer Blick auf die Untersuchungen des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE), in denen der Bedarf an Elektroingenieurinnen und -ingenieuren in den kommenden Jahren ermittelt wurde. Selbst bei einer konservativen Schätzung des Bedarfs allein aus der vorhersehbaren Verrentung der aktuell Beschäftigten, also ohne den Zusatzbedarf durch neue Technologien, ergibt sich eine Lücke von etwa 6.000 Arbeitskräften pro Jahr – und das allein in der Elektrotechnik. Diese Lücke durch ausländische Arbeitskräfte zu schließen, ist nur eingeschränkt möglich, da das Angebot begrenzt ist und wir mit anderen Ländern in einem Wettbewerb um die besten Köpfe stehen. Zudem dürfte diese Lösung für kleinere Unternehmen, in denen immerhin mehr als die Hälfte der Ingenieurinnen und Ingenieure arbeiten und in denen die firmeninterne Sprache oftmals nicht Englisch ist, keine Option sein.

Auch ein anderes Problem wird dadurch nicht gelöst: Die abnehmende Zahl von Absolventinnen und Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge führt unweigerlich dazu, dass der wissenschaftliche Nachwuchs an den Hochschulen fehlt und in Folge auch die Forschungsaktivitäten zurückgehen. Laut einer Umfrage des VDE befürchten viele elektrotechnische Fakultäten zudem, dass freiwerdende Professorenstellen nicht mehr besetzt werden, Studiengänge nicht mehr angeboten werden und Mittelkürzungen drohen, so dass die beschriebene Entwicklung zu einer fortschreitenden Erosion der Ingenieurwissenschaften mit ernsthaften Folgen für den Standort Deutschland führen wird.

"Viele elektrotechnische Fakultäten befürchten, dass freiwerdende Professorenstellen nicht mehr besetzt werden."

Der Ingenieurberuf hat ein Imageproblem

Es war daher nur konsequent, dass der VDE gemeinsam mit dem Fakultätentag für Elektro- und Informationstechnik (FTEI), dem Zusammenschluss der elektrotechnischen Fakultäten der Universitäten, sowie der entsprechenden Organisation der Hochschulen für angewandte Wissenschaften (FBTEI) eine Studienreihe initiiert hat, die vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) durchgeführt wurde. Darin wurde zunächst untersucht, wie und nach welchen Kriterien Jugendliche der Generation Z, das heißt Jugendliche und junge Erwachsene, die in den kommenden Jahren an die Universitäten gehen, zu ihrem späteren Beruf finden. Des Weiteren wurde untersucht, welches Image die Elektrotechnik, also das am stärksten vom Nachwuchsmangel betroffene Fach, bei der Generation Z hat.

In der Berufsfindungsstudie wurden zunächst Jugendliche unter anderem nach der Berufsrichtung befragt, in der sie später arbeiten möchten. Fasst man dazu Berufe in Gruppen zusammen, liegt die Gruppe "Gesundheit, Medizin, Psychologie und Sport" mit 24 Prozent auf Platz eins (von zwölf). Danach folgt auf Platz zwei bereits die Gruppe "IT, Computer und Technik" mit 21 Prozent. Diese Ergebnisse sind allerdings sehr geschlechtsabhängig; so wird die Gruppe "IT, Computer und Technik" von 30 Prozent der Jungen, aber nur von zwölf Prozent der Mädchen gewählt. Betrachtet man nur die sogenannten High-Potentials, also Schülerinnen und Schüler mit sehr guten Noten in Mathe, Physik und Informatik, liegt die Gruppe "IT, Computer und Technik" mit 32 Prozent sogar auf Platz eins.

Bei den Wunschberufen liegt Ingenieur/in mit vier Prozent nach Lehrer/in (zehn Prozent), Ärzt/in (zehn Prozent), Psycholog/in (sieben Prozent) und Informatiker/in (fünf Prozent) immerhin auf Platz fünf, wobei auch hier ein großer Geschlechterunterschied vorliegt. Ingenieur/in wird als Wunschberuf von acht Prozent der Jungen, aber nur von ein Prozent der Mädchen genannt. Bei High-Potenzials schiebt sich In­ge­nieur/in mit neun Prozent sogar auf Platz zwei der Wunschberufe. Die Studie zeigt also, dass es genügend Jugendliche gibt, die nicht nur potenziell für ein Elektrotechnikstudium geeignet sind, sondern die auch Interesse an dem entsprechenden Berufsfeld haben und die als Wunschberuf Ingenieur/in angeben – trotzdem schaffen es die Hochschulen nicht, Jugendliche für das Studium der Elektrotechnik zu gewinnen. Aber warum?

Junge Menschen haben falsche Vorstellungen von Studium und Beruf

Die Imagestudie zeigt hier Erhellendes: Fragt man die High-Potentials nach Bildern und Assoziationen, die sie mit dem Begriff Elektrotechnik verbinden, so hört man unter anderem Begriffe wie Maschinen, Kabel, Sachen, Strom, Schaltkreise, und so weiter. Auf die Frage "Was macht eigentlich ein/e Elektroingenieur/in in seinem/ihrem Job?" wurde gerade einmal von zwei Prozent angegeben, dass diese "neue Technologien entwickeln". Es überrascht dann auch nicht mehr, dass das Interesse der High-Potentials am Beruf des Elektroingenieurs beziehungsweise der Elektroingenieurin eher gering ist.

Fragt man nach den Gründen, geben die Jugendlichen an, dass das Studium der Elektrotechnik zu langweilig sei, keinen Spaß mache, keine Herausforderungen biete und nichts mit Menschen zu tun habe. Zudem sei die spätere berufliche Tätigkeit unbedeutend, eher für Männer und handwerklich geprägt. Bei Mädchen und jungen Frauen kommt hinzu, dass diese befürchten, in ihrem späteren Beruf nicht ernst genommen zu werden. Gleichzeitig beklagen die Jugendlichen einen Mangel an Informationen sowohl über die späteren Berufsmöglichkeiten als auch über das Studienfach und die Anforderungen im Studium.

Wie lässt sich das Image der Elektrotechnik verbessern?

Die Studie zeigt allerdings auch, dass die Vorurteile gegenüber dem Elektrotechnikstudium revidierbar sind. So wurde den in der Imagestudie befragten Jugendlichen die Aufgabe gestellt, eine Kampagne zur Verbesserung des Images der Elektrotechnik zu beurteilen, indem sie Instagram-Posts und Bilder hinsichtlich deren Attraktivität bewerten sollten. In den Posts und den Bildern der Kampagne wurde dabei das Studium der Elektrotechnik mit Begriffen wie "Gemeinsam die Zukunft gestalten" oder "Zukunft denken, Zukunft entwickeln" verknüpft. Bemerkenswert ist nun, dass, wenn man den Jugendlichen nach der Bearbeitung dieser Aufgabe erneut die Frage "Was macht eigentlich ein/e Elektroingenieur/in in seinem/ihrem Job?" stellt, es zu deutlichen Verschiebungen bei den Antworten kommt. Hatten zuvor nur zwei Prozent angegeben, dass Ingenieurinnen und Ingenieure "neue Technologien entwickeln", so waren es danach 31 Prozent. Die Häufigkeit der Antwort "forschen/erfinden/verbessern" verschiebt sich von zwei Prozent auf zwölf Prozent und "Zukunft gestalten/verbessern/weiterentwickeln" von null Prozent (!) auf acht Prozent. Bei der Frage, ob sich die Jugendlichen vorstellen könnten, später Elektrotechnik zu studieren, stieg nach der Bearbeitung der Aufgabe der Anteil von 37 Prozent auf 43 Prozent. Das sicherlich falsche Bild, welches Jugendliche von der Elektrotechnik und ihren Möglichkeiten haben, lässt sich also durchaus korrigieren.

"Es sollte daher auch über neue Namen – zumindest bei den Studien­gängen – nachgedacht werden."

Wie lassen sich nun vor diesem Hintergrund Jugendliche und insbesondere High-Potentials für das Studium der Ingenieurwissenschaften wie zum Beispiel der Elektrotechnik gewinnen? Zum einen zeigt sich, dass es von zentraler Bedeutung ist, den Jugendlichen Informationen über das Studium und den Beruf zukommen zu lassen, was jedoch aktiv, zielgruppengerecht und über geeignete Kanäle wie Social Media erfolgen muss. Zum anderen wird deutlich, dass bereits der Name Elektrotechnik negativ konnotiert ist. Dass sich viele Fakultäten bereits vor langer Zeit in Elektro- und Informationstechnik umbenannt haben, scheint wenig genutzt zu haben oder wird gar nicht zur Kenntnis genommen. Es sollte daher auch über neue Namen – zumindest bei den Studiengängen – nachgedacht werden. Hier kann bereits durch den Namen sichtbar gemacht werden, welche Bedeutung und gesellschaftliche Relevanz das Fach hat. Dabei ist es wichtig, den Jugendlichen deutlich zu machen, dass zum Beispiel ein Studium des Fachs "Erneuerbare Energien" genau das Wissen vermittelt, das benötigt wird, um klimafreundliche Technologien zu entwickeln.

Jugendliche wollen (und wollten schon immer) die Welt verbessern und sich engagieren. Die Hochschulen sollten dieses Moment nutzen und in Begeisterung für ingenieurwissenschaftliche Studiengänge umlenken; nur so werden wir Wege finden, um eine auch für nachfolgende Generationen lebenswerte Zukunft zu gestalten.

Zum Weiterlesen

Publikationen des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), zum Beispiel zum Image der Elektrotechnik.

Publikationen des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE), zum Beispiel zur Beliebtheit des Elektrotechnik-Studiums.