Das Foto zeigt eine moderne Halle in der TU München
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Diversitätsmanagement an Hochschulen
Fortschritt durch Vielfalt

Diversität wird heute auch für den Erfolg von Hochschulen als notwendig gesehen. Das führt zu strukturelle Veränderungen.

Von Claudia Peus 15.03.2018

"Exzellente Wissenschaft braucht Diversität und Originalität", so beschreibt die Deutsche Forschungsgemeinschaft, warum Diversität für Forschungsorganisationen wie Hochschulen von großer Bedeutung ist. Dies lässt sich noch erweitern, denn Hochschulen sind nicht nur Orte der Wissensgenerierung, sondern auch der Aus- und Weiterbildung sowie Impulsgeber für gesellschaftliche Weiterentwicklung. Damit nehmen sie in der heutigen Wissensgesellschaft eine entscheidende Rolle ein.

Ihr Erfolg hängt maßgeblich davon ab, ob sie die besten Talente in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit gewinnen und ihnen optimale Bedingungen für die Entfaltung ihrer Fähigkeiten bieten können. Entsprechend ist die systematische Berücksichtigung von Diversität in den Kernprozessen von Hochschulen unerlässlich. Unter Diversität werden hier "klassische" Aspekte wie Geschlecht, Nationalität, Alter, sexuelle Orientierung, Behinderung, ethnische Zugehörigkeit oder Religion verstanden, aber auch weniger offensichtliche Aspekte wie zum Beispiel Arbeits- oder Lernstil.

Organisationale Verankerung der Diversität

Betrachtet man die gegenwärtige Lage in Deutschland, so zeigt sich zum einen, dass die Mitglieder deutscher Universitäten im Schnitt homogener sind als in Ländern wie den USA oder UK (zumindest an den führenden Universitäten). So lag der Anteil ausländischer Studierender im letzten Wintersemester in Deutschland im Durchschnitt nur bei knapp 13 Prozent. Weiterhin zeigt sich, dass die Diversität mit steigender Hierarchiestufe weiter abnimmt. So sind in Deutschland aktuell die Hälfte der Studienabsolventen, aber nur circa 20 Prozent der Professoren weiblich.

Große Homogenität der Talente an einer Hochschule ist aus mehreren Gründen nicht optimal: Erstens wird der Talentpool qualifizierter Personen nicht ausgeschöpft, zweitens zeigen Forschungsergebnisse, dass beispielsweise Teams mit einem höheren Frauenanteil eine höhere Teamintelligenz besitzen, drittens sind homogene Gruppen anfälliger für "group think", was zu weniger "Querdenken" und einer systematischen Unterschätzung von Risiken führt. Schließlich können Hochschulen, in denen die Diversität der Gesellschaft nicht repräsentiert ist, ihre Aufgabe als Rollenmodelle und Impulsgeber für zukünftige Generationen nicht optimal ausfüllen. Aus diesen Gründen sollte die Gewinnung und Entwicklung diverser Talente auf allen Ebenen (das heißt Studierende, Mitarbeitende, Professorenschaft) für Hochschulen in Deutschland ein zentrales Anliegen darstellen.

"Sinnvoll ist die proaktive Ansprache geeigneter Personen aus unterrepräsentierten Gruppen."

Um die Diversität der Mitglieder einer Hochschule effektiv und nachhaltig zu erhöhen, ist es notwendig, Diversität als strategisches Ziel zu formulieren und als solches in der Organisation zu verankern. Dazu gehört zum Beispiel die Integration von Diversitäts-Zielen in die Strategieplanung (an der TU München wurde das Thema zum Beispiel im Hochschulentwicklungsplan, in die Zielvereinbarungen mit dem Ministerium und dem Exzellenzantrag verankert).

Dabei sollte neben den Zielen auch beschrieben werden, mit welchen Maßnahmen die Hochschule die Ziele erreichen will und wann und wie deren Erfüllung überprüft wird. Darüber hinaus ist es wichtig, Diversität auch im Leitbild sowie den Statuten zentraler Einrichtungen der Hochschule (wie zum Beispiel Graduiertenschulen) niederzulegen. Schließlich ist es von besonderer Bedeutung, Diversität auch klar in der Governance der Hochschule abzubilden, das heißt Personen bzw. Gremien zu bestimmen, die das Thema Diversität in Entscheidungsprozessen repräsentieren. An der TUM wurden beispielsweise das Amt "Geschäftsführende(r) Vizepräsident(in) für Talentmanagement und Diversity" sowie die Stabsstelle Chancengleichheit geschaffen.

Diversitätsgerechtes ­Talent­management

Da die Gewinnung von Talenten in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit auf allen (Karriere-)Stufen sowie die Förderung ihrer Entwicklung für den Erfolg von Hochschulen entscheidend ist, kommt dem diversitätsgerechten Talentmanagement eine besondere Bedeutung zu. Für dessen Verankerung sind unterschiedliche Aspekte in unterschiedlichen Phasen des Talentmanagement-Prozesses zu berücksichtigen.

Um in Auswahlprozessen die geeignetsten Talente in all ihrer Vielfalt berücksichtigen zu können, ist zunächst die passende Ansprache der Kandidatinnen und Kandidaten wichtig. Zahlreiche empirische Arbeiten weisen darauf hin, dass schon auf dieser ersten Stufe des Talentmanagementprozesses eine – meist nicht intendierte – Einschränkung der Vielfalt des Bewerberpools stattfindet.

So zeigen empirische Arbeiten zum Beispiel, dass Frauen Ausschreibungen für Stellen bzw. Stipendienprogramme für weniger attraktiv halten und eine entsprechend geringere Bewerbungsabsicht haben, wenn die Ausschreibungen die gesuchten Personen vorwiegend mit männlich konnotierten Attributen (wie zum Beispiel "offensiv, ehrgeizig") beschreiben. Ähnliche Effekte lassen sich auch für die bildliche Gestaltung von Stellenausschreibungen nachweisen.

"Stereotype über verschiedene Personen­gruppen können die Beurteilung konkreter Bewerberinnen und Bewerber systematisch verzerren."

Interessanterweise führt die Verwendung eher weiblich konnotierter Ausschreibungen mit Attributen wie "gewissenhaft, verantwortungsvoll" und die Verwendung von Bildern, die Frauen zeigen, nicht zu einer Abschreckung männlicher Bewerber. Um vielfältige Talente effektiv anzusprechen, ist es also wichtig zu überprüfen, wie Stellenausschreibungen oder auch die Beschreibung von Studienprogrammen gestaltet sind und ob Personen unterschiedlicher Gruppen in gleichem Maße angesprochen werden.

Weiterhin ist zu beachten, welche Kanäle für die Ansprache potenzieller Bewerberinnen und Bewerber verwendet werden und ob diese auch tatsächlich dazu geeignet sind, die verschiedenen Gruppen von Talenten zu erreichen. Um mehr Bewerbungen von internationalen Studierenden bzw. Mitarbeitenden zu bekommen, bietet es sich zum Beispiel an, nicht nur auf den einschlägigen nationalen Webseiten und in den sozialen Medien, sondern zum Beispiel auch auf entsprechenden Job-Messen wie der "MIT Career Fair" vertreten zu sein.

An der TUM hat man darüber hinaus sehr gute Erfolge mit einer "Schnupperwoche" für internationale Post Docs ("Research Opportunities Week") erzielt. Schließlich ist es durch die Einführung des Tenure-Track Systems gelungen, die Diversität unter den Professoren deutlich zu erhöhen: 30 Prozent der TT-Professoren sind weiblich, 54 Prozent wurden aus dem Ausland berufen.

Neben der diversitätsgerechten Ansprache anonymer potenzieller Bewerberinnen bzw. Bewerber ist gerade auch die direkte, proaktive Ansprache geeigneter Personen aus unterrepräsentierten Gruppen wie ausländischer oder weiblicher Talente sinnvoll. Dies setzt ein aktives Scouting voraus, das idealerweise langfristig und thematisch breit angelegt ist. Diese Methode ist in der jüngsten Vergangenheit an deutschen Hochschulen vor allem zur Rekrutierung herausragender Forscherinnen, aber auch von potenziellen Rückkehrerinnen aus dem Ausland verwendet worden. Dabei werden häufig spezielle Datenbanken (wie zum Beispiel academia-net.org für Wissenschaftlerinnen) oder Netzwerke (zum Beispiel German Scholars Organization) für die Suche nach geeigneten Kandidatinnen verwendet.

Auswahl vielfältiger Talente

Was die Auswahl von Studierenden, Mitarbeitenden und Professorinnen und Professoren angeht, ist zu beachten, dass Auswahlentscheidungen möglicherweise vom "similarity attraction paradigm" beeinflusst werden: Personen, die einem selbst ähnlich sind, werden tendenziell besser bewertet. Weiterhin können Stereotype über verschiedene Personengruppen die Beurteilung konkreter Bewerberinnen und Bewerber systematisch verzerren, ohne dass dies bewusst ist ("unconscious bias").

So zeigen auch neuere Arbeiten, dass das Stereotyp einer führenden Forscherpersönlichkeit männlich und weiß dominiert ist, und dass Personen, die anderen Gruppen zugehören (zum Beispiel Frauen, Personen anderer ethnischer Gruppen) bei gleicher Qualifikation in Auswahlprozessen negativer beurteilt werden. Eine breit angelegte Arbeit über Berufungsverfahren in den Niederlanden zeigt deutlich auf, dass Kandidatinnen und Kandidaten unterrepräsentierter Gruppen vor allem dann negativer beurteilt werden, wenn keine klaren Kriterien für die Auswahlentscheidung vorliegen ("We only look for excellence", "What is excellence?" – "I know it when I see it").

Kurz gefasst können stereotype Verzerrungen in Personalauswahlprozessen vor allem durch einen klar strukturierten Auswahlprozess vermieden werden. Dieser umfasst neben einem breiten Kandidatenpool ein klares Anforderungsprofil, definierte Indikatoren für die Anforderungen, klare Entscheidungskriterien und einen systematischen Entscheidungsprozess. Zur Reduzierung von Urteilsverzerrungen aufgrund demographischer Variablen bieten Hochschulen in jüngster Zeit vermehrt Schulungsmaßnahmen für die Mitglieder von Auswahl- bzw. Berufungskommissionen an (zum Beispiel "unconscious bias training").

Schließlich ist es sinnvoll, ein Diversity-Monitoring in Auswahlprozessen fest zu verankern, das heißt beispielsweise die Dokumentationspflicht über die Anzahl von Bewerbungen unterrepräsentierter Gruppen auf verschiedenen Stufen des Auswahlprozesses (zum Beispiel Bewerbungseingang, Einladung zum persönlichen Gespräch, Liste berufbarer Personen) einzuführen. Besonders wirkungsvoll ist es dabei natürlich, wenn zu diesen Faktoren konkrete Ziele vereinbart wurden und deren (Nicht-)Erreichung klare Konsequenzen hat (zum Beispiel proaktive Ansprache weiterer Kandidatinnen und Kandidaten, Neuausschreibung).

Förderung von Leistung und Aufstieg

Verschiedene Forschungsarbeiten zeigen, dass für die Bindung an eine Organisation und die volle Entfaltung der Motivation gerade die ersten 100 Tage wichtig sind. Entsprechend sinnvoll ist es, wenn Hochschulen ihren neuen Mitgliedern ein gutes "Onboarding" ermöglichen, das neben relevanten Informationen idealerweise auch zielgruppenspezifische Unterstützungsleistungen (wie zum Beispiel Vermittlung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Begleitung bei Behördengängen) umfasst.

Darüber hinaus sind Mentoringprogramme gerade für Personen aus unterrepräsentierten Gruppen sinnvoll, denn nicht nur erfährt der beziehungsweise die Mentee Unterstützung, sondern auch die Hochschule erhält über die Person der Mentorin beziehungsweise des Mentors Informationen darüber, wo es Barrieren (zum Beispiel für ausländische Mitarbeitende, Personen mit Behinderung) gibt. Schließlich haben zahlreiche Hochschulen in Deutschland in jüngster Zeit Maßnahmen eingeführt, um die individuelle Weiterentwicklung ihrer Talente gezielt zu fördern (zum Beispiel durch Weiterbildungsangebote oder Coa­ching).

Dabei setzt sich zum einen die Erkenntnis durch, dass neben der Vermittlung breiter Kenntnisse und Fertigkeiten Formate wichtig sind, die auf die spezifischen Bedürfnisse einzelner Personengruppen (zum Beispiel internationaler Forschender, Frauen in Leitungspositionen) eingehen. Zum anderen wird zunehmend der Tatsache Rechnung getragen, dass die individuelle Förderung der Talente in ihrer Vielfalt nur begrenzte Wirkung haben kann, wenn organisationale Variablen die Entfaltung ihres Potenzials einschränken. Dies kann nicht nur durch offene Diskriminierung geschehen (gegen die die Hochschule unverzüglich vorgehen muss), sondern auch durch subtilere Phänomene wie zum Beispiel die Provokation von "stereotype threat".

Dies beschreibt die in empirischen Arbeiten häufig nachgewiesene Leistungsminderung bei Personen bestimmter Gruppen als Reaktion auf die Verdeutlichung negativer Stereotype bezüglich dieser Gruppen. Konkret zeigt sich zum Beispiel, dass Frauen in Mathematik-Aufgaben eine geringere Leistung zeigen, wenn man sie vorher an das Stereotyp "Frauen sind schlecht in Mathe" erinnert hat. Dieselbe Leistungsminderung lässt sich auch bei weißen Männern nachweisen, wenn man sie zuvor mit dem Stereotyp "Asiaten sind in Mathe besser als weiße Männer" konfrontiert hat.

Um solche leistungsmindernden Effekte zu vermeiden und zu ermöglichen, dass Personen unterschiedlicher Prägung ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und vielfältigen Ansichten in der Hochschule einbringen können, ist die Etablierung eines "Diversity Climate" wichtig. Dazu ist die Erarbeitung eines "Diversity Code of Conduct" hilfreich (siehe zum Beispiel www.chancengleichheit. tum.de/inklusion/tum-diversity-code-of-conduct/). Besonders wichtig ist dabei, dass entsprechende Verhaltensweisen vorgelebt werden – gerade von Personen in einflussreichen Positionen.

Diversität in Forschung ­­und Lehre

Originalität ist seit jeher zentral für die Forschung. Sie erfordert neben vielfältigen Personen (ganz besonders sog. "Querdenkern") auch Vielfalt in den Forschungsgegenständen, Theorien und Methoden. Entsprechend umfasst die Förderung von Diversität in der Forschung neben dem Talentmanagement (für das idealerweise Erkenntnisse aus der empirischen Diversitätsforschung verwendet werden sollten) auch einen offenen Diskurs über die Methoden des Erkenntnisgewinns in den verschiedenen Fachdisziplinen.

Ein Ansatz, der in diesem Zusammenhang in jüngster Zeit sehr an Bedeutung gewonnen hat, ist die explizite Integration von verschiedenen Diversitäts-Aspekten in die disziplinäre Forschung. Besonders bekannt geworden sind in diesem Zusammenhang Erkenntnisse aus der Medizin, die zum Beispiel gezeigt haben, dass Frauen und Männer bei einem Herzinfarkt unterschiedliche Symptome zeigen oder dass bestimmte Therapien bei Personen bestimmter ethnischer Herkunft unwirksam sind. An der Stanford Universität wird aktuell ein umfassendes Forschungsprogramm verfolgt, das Methoden der Geschlechterforschung in die disziplinäre Forschung in den Ingenieur-, Natur- und Gesundheitswissenschaften integriert ("Stanford Gendered Innovations").

Die Erkenntnisse aus diesem Programm werden systematisch in die Lehre integriert. Auch in diesem Bereich ist die Einbindung von Diversität – sowohl hinsichtlich der Personen als auch der Inhalte und Methoden von großer Bedeutung. Es wird immer wichtiger, Wertschätzung für Diversität zu vermitteln und die Lehrinhalte und Methoden den spezifischen Anforderungen und Möglichkeiten der unterschiedlichen Talente anzupassen. Digitale Lehrmethoden und -formate besitzen hierfür ein großes Zukunftspotenzial.