Ein aus Menschen gebildeter Pfeil nach oben
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Diversität in der Wissenschaft
Bewusste Anerkennung von Unterschieden

Nicht nur für multinationale Unternehmen, auch für Hochschulen ist Diversität ein wichtiges Thema. Welche Argumente sprechen dafür?

Die Auseinandersetzung mit Diversität in Wissenschaft und organisationaler Praxis hat in den letzten Jahren stark zugenommen. In der Arbeitswelt steigt der Anteil der Frauen, Älteren und Beschäftigten mit Migrationshintergrund. Auch die Zusammensetzung der Studierenden an den Hochschulen wird vielfältiger, und das Bild eines "Normalstudierenden" beginnt zu verblassen.

Gleichzeitig führen demografische und wirtschaftsstrukturelle Veränderungen heute schon zu einem Fachkräftemangel, der sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird. Vor diesem Hintergrund wurde der wissenschaftliche Diskurs um Diversität (engl. Diversity) in den letzten Jahren vor allem durch die Diskussion um das Diversity Management geprägt, das unterschiedliche Formen des Umgangs mit Diversitäten bezeichnet. Es wurde zunächst durch multinationale Konzerne in deutschen Tochterunternehmen eingeführt und hat mittlerweile Eingang in den Hochschulkontext gefunden.

Was meint "Diversität"?

Der Begriff Diversität impliziert eine positive Sicht auf Vielfalt. Letztere wird als Mehrwert erachtet, was einerseits mit den ökonomischen Vorteilen zusammenhängt, die mit dem Konzept verbunden werden, und sich andererseits in einem veränderten Verständnis von Akzeptanz im Sinne einer bewussten Anerkennung von Unterschieden manifestiert. Eine einheitliche Begriffsdefinition existiert nicht, Diversität stellt erst einmal ein relativ offenes Konzept dar, wobei grundsätzlich zwischen zwei Ansätzen unterschieden werden kann. Der erste konzentriert sich auf das Anderssein von Individuen aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten Merkmalsgruppen, während der zweite Ansatz auch Gemeinsamkeiten zwischen den jeweiligen Gruppen und die Möglichkeit vielfältiger Identitäten berücksichtigt.

Theoretisch kann sich eine Gruppe in unendlich vielen Merkmalen unterscheiden, aber meistens werden die sogenannten "Big 6" (Ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität) in den Blick genommen, was mit der Umsetzung des 2006 eingeführten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zusammenhängt. Je nach Kontext werden auch eher veränderbare Dimensionen, wie zum Beispiel Familienstand, Berufserfahrung, der Arbeitsort oder das Einkommen, unterschieden.

Flexibler und besser durch Diversität

Ob eine Organisation diversitätsorientierte Maßnahmen einführt und in welcher Form, hängt nicht nur von ihrer spezifischen Situation ab, sondern auch davon, wie Diversität wahrgenommen und bewertet wird. Dass multinationale Firmen und gar nicht einmal Hochschulen Vorreiter bei der Einführung von Diversity Management in Deutschland waren, ist kein Zufall, denn sie verstanden schon früh, das kreative Potenzial einer vielfältigen Belegschaft für Innovationsprozesse zu nutzen. In einem Forschungsprojekt untersuchten wir vor wenigen Jahren, ob regionale Patentaktivitäten in Deutschland unter anderem durch die Nationalitätsvielfalt der Erwerbstätigen zu erklären ist.

Wie auch andere Forscher für andere Länder oder andere Zeiträume haben wir einen solchen positiven Zusammenhang in erheblichem Ausmaß festgestellt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, was man die Effizienzdimension der Diversitäts-Debatte nennen könnte. Die grundsätzliche Überlegung ist hier: unterschiedliche Gruppen von Menschen bringen verschiedenartige Perspektiven, Kenntnisse, auch Umgangsformen miteinander in einen gemeinsamen Prozess ein und am Ende kommt etwas Besseres heraus. Das gilt natürlich besonders für wissensbasierte Organisationen wie es High-Tech-Firmen, aber auch Hochschulen sind.

Auf der Mikroebene, also etwa der von Arbeitsgruppen, ist der Vorteil von Diversität sehr viel schwieriger zu belegen und dementsprechend in der Literatur umstritten. Die Effizienzdimension von Diversität basiert insbesondere auf der Annahme, dass homogene Gruppen Anpassungsleistungen von Minderheiten abverlangen, die leistungsmindernd wirken. Heterogene Gruppen dagegen sollen nicht nur kreativer sein, sondern auch insgesamt bessere Entscheidungen treffen und flexibler auf Veränderungen der Umwelt reagieren können.

Auch wenn diese Effekte sich empirisch nachweisen lassen, zeigen sich – in Abhängigkeit von verschiedenen aufgaben- und gruppenbezogenen Faktoren – doch mögliche Nachteile und Kosten. So können sich bei einfachen Aufgaben, die kurzfristige Entscheidungen voraussetzen, vielfältig zusammengesetzte Teams eher negativ auswirken. Bei ethnisch diversen Arbeitsgruppen existieren vielleicht kulturelle oder sprachliche Barrieren, die erst überwunden werden müssen, und sonst Selbstverständliches ist explizit auszuhandeln. Es lohnt sich deshalb, auch jenseits von Effizienzüberlegungen noch nach anderen Gründen Ausschau zu halten, warum das Streben nach Diversität wichtig sein könnte.

Gleichstellungsbeauftragte sollen Chancengleichheit verbessern

Eine zweite Überlegung, sich Diversität zum Ziel zu setzen, ist die Fairnessdimension. Nicht alle Gruppen haben automatisch gleiche Chancen der Beteiligung. Eklatant sichtbar ist das an der Kategorie des Geschlechts. Auch wenn rechtlich längst keine Unterschiede mehr zwischen Männern und Frauen gemacht werden, zeigen empirische Untersuchungen weiter erhebliche faktische Benachteiligungen auf. Diese sind häufig auf gesellschaftliche Vorstellungen über Geschlecht zurückzuführen, die Organisationsstrukturen und Gesellschaften sehr grundsätzlich prägen.

Das ist mittlerweile vergleichsweise wenig umstritten. Deshalb gibt es an Hochschulen institutionalisierte Gleichstellungsbeauftragte, die zumindest auf der formalen Ebene eine Gleichbehandlung durchsetzen können, und die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz legt reine Professorinnen-Programme auf, von denen Männer ausgeschlossen sind. Auch vom Anspruch her strikt meritokratisch ausgerichtete Einrichtungen wie die DFG haben mittlerweile einen aufmerksamen Blick darauf, dass individuelle Lebensumstände, wie zum Beispiel familiär bedingte Ausfallzeiten, bei der Bewertung von Forschungsleistungen nicht unberücksichtigt bleiben.

"Je höher die Position ist, desto sichtbarer wird Vielfalt"

Darüber hinaus ist bei Diversität auch an eine Repräsentanzdimension zu denken. Einrichtungen in liberalen Gesellschaften sollen als prinzipiell offen für alle gesehen werden. Und je höher die Position ist, desto sichtbarer wird Vielfalt. Die Wahl von Barack Obama etwa war in den USA weniger seines Programms wegen eine Sensation, sondern weil er der erste schwarze Präsident in diesem multiethnischen Land war. Und der Kampf um seine Nachfolge wurde auch deshalb so erbittert geführt, weil zum ersten Mal als 45. Präsident eine Frau möglich schien. Die symbolische Autorisierung durch Sichtbarkeit ist von hoher Bedeutung. Sie ermächtigt andere Vertreter dieser Gruppen, für sich ebenfalls solche herausgehobenen Karrieren in Betracht zu ziehen.

Deshalb enthält der 'She-Figures-Bericht' der EU-Kommission, wo es um Geschlechts(un)gleichheit in der Wissenschaft geht, auch ein Kapitel, in dem die weibliche Repräsentanz auf der Leitungsebene dargestellt wird. Während sich in vielen Bereichen einiges bewegt hat, ist die Wahrscheinlichkeit, eine Spitzenposition zu erreichen, für Frauen immer noch um einiges geringer als für Männer. Neben dem bereits oben angeführten Argument der Fairness im Sinne eines normativen Anspruchs von Chancengleichheit geht durch die Unterrepräsentanz von Frauen im deutschen Wissenschaftssystem nicht nur intellektuelles, sondern auch Rollenvorbildspotenzial für die nächsten Generationen verloren.

Gerade Hochschulen, die im internationalen Wettbewerb – vor allem auch mit den US-amerikanischen Eliteuniversitäten mit vielen Erfahrungen in Diversity Managment – stehen, können sich diesen Verlust nicht länger leisten. Und natürlich gilt dies nicht nur für Frauen, sondern auch für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder solche mit Migrationshintergrund, bei denen das Vorhandensein struktureller Ausschlussmechanismen allerdings bisher nur wenig erforscht ist.

Bedeutung für die Demokratie

Schließlich geht es auch noch um die Lernfunktion, also was gelebte Erfahrung von Diversität mit sich bringt. Und neben den Beschäftigten an Hochschulen, wo man durch Diversität eher direkte positive Effizienzeffekte vermuten darf, ist dabei an die Studierenden und an Langfristwirkungen zu denken. Hochschulen sind nicht einfach Ausbildungsstätten auf fachlich hohem Niveau, sie sind auch die "Fürstenschulen" in Demokratien. Die nächsten Generationen politischer, wirtschaftlicher, meinungsbildender Eliten studieren heute zu gut 90 Prozent.

Hier muss man stark auf amerikanische Erfahrungen zurückgreifen, wo bereits eine ganze Reihe empirisch basierter Aussagen dazu vorliegen. In der "Bibel" studierendenbezogener Hochschulforschung, dem mehrfach aktualisierten, viele hundert Seiten starken Überblick von Pascarella und Terenzini über Tausende von Studien zur Situation in den USA findet sich bezüglich Diversitätserfahrungen etliches an Material. Manche Studien zeigen sogar einen Zuwachs an kognitiven Fähigkeiten durch interkulturelle Lernerfahrungen, andere finden keinen Effekt oder einen in Abhängigkeit von der Qualität der Lernsituation. Eindeutiger sind andere Auswirkungen.

Bezüglich der Ausbildung von Führungsfähigkeiten ('leadership development') gibt es eine sehr starke Evidenz einer positiven Beeinflussung. Ähnliches gilt für die Dimension bürgerschaftliches Engagement und entsprechende pro-soziale Einstellungen ('civic attitudes, values and behaviour'). Psychologen vermuten dabei vor allem einen Lerneffekt durch Begegnung mit dem Unerwarteten.

Diversität als Hochschul-"Mission"

Aber auch hier gilt, dass die Qualität der Erfahrungen eine Rolle spielt, denn erst durch einen richtigen Umgang mit Vielfalt kann dessen Potenzial voll ausgeschöpft werden. Viele US-amerikanische Hochschulen haben Diversity-Erfahrungen schon lange als eine ihrer Missionen akzeptiert. So verabredeten bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts traditionell schwarze Colleges des Südens und vorwiegend weiße Hochschulen im ganzen Land Austauschprogramme, bei denen Studierende für ein Semester jeweils die andere Sicht- und Lebensweise erfahren konnten.

Seit den 90er Jahren versucht man mit Studien zum Campusklima herauszufinden, welche Erfahrungen und Wahrnehmungen verschiedene Gruppen in Bezug auf Diversität machen. Dass die Interaktion vielfältiger Studierender durch ein positives Klima verbessert wird, gilt auch hier als gesicherter Befund.

Deutschland hat sich bislang weniger als Einwanderungsgesellschaft verstanden. Aber in Zeiten, in denen ein Fünftel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat, sollten neben der bereits relativ beachteten Geschlechterdimension auch andere mögliche Diskriminierungsgefahren verstärkt Aufmerksamkeit finden. Und das Einüben in andere Sichtweisen ist auch kein Nachteil, wenn man nachhaltig erfolgreiche Europa- oder gar Globalpolitik betreiben will. Hochschulen, die neben Forschung und Ausbildung zunehmend auch Third Mission-Aufgaben des Hineinwirkens in die Gesellschaft zur Aufgabe bekommen, sind gut beraten, dies nicht allzu technisch zu verstehen, sondern auch als Auftrag, die bei ihnen Eingeschriebenen für eine zunehmend vernetzte Weltgesellschaft intellektuell wie lebenspraktisch vorzubereiten.