Eine Illustration zum Thema "Compliance"
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Im Gespräch
Compliance an deutschen Hochschulen

Die Bedeutung von Forschungssicherheit in Deutschland wächst. Aber noch nicht genug, so eine Expertin. Vor allem bedarf es weiterer Unterstützung.

Von Katharina Finke 16.11.2023

In Zukunft sollte Compliance kein lästiges Thema mehr sein, sondern als Gewinn gesehen werden, wünscht sich Ann-Kathrin Bilda, die Geschäftsführerin des Compliance Büros an der Universität Münster. Mit Forschung & Lehre spricht sie über Compliance als Beitrag zur Forschungssicherheit und die damit verbundenen Herausforderungen in Deutschland.  

Forschung & Lehre: Wie finden Sie, dass mit dem Thema Compliance in Deutschland umgegangen wird?

Ann-Kathrin Bilda: Die Auseinandersetzung mit Compliance an Hochschulen hat zugenommen, auch das Angebot von Informations- und Fortbildungsveranstaltungen zu hochschulischer Compliance ist angewachsen. Das ist gut und zeigt die Wichtigkeit dieses Aufgabenbereichs und der damit verbundenen Themenfelder. Die Universität Münster hat dafür im Mai 2021 das Compliance Office eingerichtet, das den Auf- und Ausbau der vorhandenen Compliance-Strukturen und -Elemente zu einem ganzheitlichen Compliance-Management-System koordiniert und das Rektorat berät.

F&L: Was läuft gut bei Ihnen an der Universität in Münster?

Ann-Kathrin Bilda: Die Kombination der beiden Elemente Prävention und Intervention als Inhalt eines Compliance-Management-Systems hat sich sehr bewährt. Das Compliance Office ist eine Serviceeinrichtung für alle Personengruppen. Dort werden Orientierungshilfen, Kommunikations- und Schulungsangebote entwickelt, die präventiv zu der Stärkung der Compliance-Kultur beitragen. Damit sollen auch Interessenkonflikte und Informationsdefizite abgebaut und die Eigenverantwortung der Handelnden gestärkt und ungewollte Fehler vermieden werden. Als interne Meldestelle geht das Compliance Office aber auch allen bekanntgewordenen Regelverstößen konsequent nach und nimmt zudem Hinweise vertraulich entgegen.

"Wir brauchen Verantwortungsübernahme von allen Seiten."

F&L: Was ist beim Thema Compliance verbesserungswürdig?

Ann-Kathrin Bilda: Allgemein sollte die Bedeutung von Compliance an Universitäten noch stärker ins Bewusstsein kommen. Insgesamt gilt sicherlich, dass der Compliance-Begriff für viele Hochschulangehörige noch diffus und erklärungswürdig ist und man für ein System, das die Regeleinhaltung unterstützt, werben muss.

F&L: Gibt es ein ausreichendes Problembewusstsein für das Thema Compliance?

Ann-Kathrin Bilda: Welche Compliance-Regelungen Hochschulangehörige wie stark oder häufig betreffen, variiert je nach Fach- und Personengruppen. Häufig liegen die Gründe für fehlerhaftes Verhalten aber nicht am fehlenden Problembewusstsein, sondern darin, dass Vorgaben und Regelungen zu komplex oder zahlreich sind, oder dass nicht klar ist, was diese für das eigene Handeln konkret bedeuten. Wir verstehen es daher als unsere Aufgabe, für Transparenz, Klarheit und Vereinfachung zu sorgen, was wiederum die Glaubwürdigkeit für die Funktionen steigert. Die Erfahrung zeigt, dass eine gute Kommunikation und Organisation die Sensibilität für bestimmte Themen deutlich erhöht.

F&L: Gibt es ein Defizit an klaren Vorgaben und entsprechende Strukturen?

Ann-Kathrin Bilda: Nein. Auch wenn mancherorts Handlungsempfehlungen und Entscheidungshilfen gesucht werden – insbesondere da, wo es eben kein klares "Ja" oder "Nein" gibt, zum Beispiel bei Befangenheiten oder im Umgang mit Außenkontakten. Daneben sehe ich aber vor allem einen Bedarf an "Übersetzungen" der regulatorischen Anforderungen in die konkrete Lebenswirklichkeit der Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Wissenschaftsmanagerinnen, Wissenschaftsmanagern. Das Compliance-Management muss Transferleistungen zwischen vielfach abstrakter Gesetzeslage und konkretem Alltagshandeln herstellen und sollte das Hochschulpersonal zugleich in seinem eigenverantwortlichen und sicheren Handeln unterstützen.

F&L: HRK & DFG sehen die Verantwortung für Compliance bei der Wissenschaft – wer ist Ihrer Meinung nach verantwortlich für die deutsche Forschungssicherheit?

Ann-Kathrin Bilda: Wir brauchen Verantwortungsübernahme auf allen Seiten. Compliance lässt sich nicht zwischen den Wissenschaftler:innen und der Verwaltung aufteilen. Für die Hochschulen muss ein verlässlicher Rahmen von außen geschaffen werden, der gemeinschaftlich oder individuell ausgestaltet werden kann. Bei den Handelnden bleibt immer die Endverantwortung für ihr Tun. Zugleich bedarf es an den Hochschulen für die konkrete Umsetzung von Compliance-Vorgaben natürlich fachlicher Spezialist:innen und guter Unterstützungsstrukturen in den Verwaltungen, damit die Wissenschaftler:innen dieser Verantwortungsübernahme gerecht werden können, ohne sich im Dschungel der Vorgaben zu verlieren.

F&L: Stecken die Hochschulen das Geld lieber in die Forschung?

Ann-Kathrin Bilda: Es gibt einen viel zitierten und treffenden Satz des ehemaligen US-Staatsanwalts Paul McNulty: "If you think compliance is expensive, try non-compliance". Wenn Hochschulen in gute Prozesse und Strukturen investieren und damit Strafen vermeiden, die möglichen Haftungsrisiken reduzieren und es den Hochschulmitgliedern erleichtern, ihrer Arbeit nachzugehen, zahlt sich das – auch im wörtlichen Sinne – mit Sicherheit aus. Die Frage der Mittelverteilung folgt den strategischen Entscheidungen der Universität. Die Unterstützungsstrukturen für normenkonformes und rechtlich sicheres Handeln sind integraler Bestandteil hochschulischer Arbeit in all ihren Leistungsdimensionen. Daher ist Compliance  keine konkurrierende Investition zu den Kernaufgaben Forschung, Lehre und Transfer.

F&L: Welche Compliance-Informationsangebote gibt es an der Universität Münster?

Ann-Kathrin Bilda: Wir haben allgemeine Compliance-Inhalte in Schulungen für neue Beschäftigte und sprechen regelmäßig mit von allen Fachbereichen benannten Ansprechpersonen, die als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wirken. Außerdem halten wir im Internet einen aktuellen Compliance-Guide mit den wichtigsten Themen und Ansprechpersonen vor. Für einzelne Fachthemen gibt es auch interne Schulungen und wir informieren per Mail oder im Intranet über Neuigkeiten.

"Ich wünsche mir, dass die Sensibilisierung und Professionalisierung für dieses Thema an Hochschulen weiter zunehmen."

F&L: Welche Compliance-Richtlinien gibt es und wie verbindlich sind sie?

Ann-Kathrin Bilda: Es gibt Compliance-Management-Standards wie den IDW PS 980 oder die ISO 37301, die so etwas wie ein Gerüst für die Organisation von Regeleinhaltung darstellen. Das Gerüst erhält aber erst durch die jeweils gültigen externen und internen Vorgaben Leben. Hierbei muss der Grad der Verbindlichkeit hochschulintern geklärt und dann auch gelebt werden. Natürlich gehört zu einer seriösen Auseinandersetzung mit dieser Thematik auch die Fragestellung der Reaktionen und Folgen bei Nicht-Einhaltung.

F&L: Was raten Sie Forschenden in Deutschland, wie Sie sich verhalten können?

Ann-Kathrin Bilda: Alle handelnden Personen sollten sensibel sein für die Komplexität von Vorgaben und mögliche Risiken und sollten sich – im eigenen Interesse – nicht scheuen, Beratung zu suchen. Immer wieder zeigt sich, dass es arbeitsintensiver und nervenaufreibender ist, im Nachgang Probleme zu lösen. Das kostet am Ende für alle Zeit und Nerven.

F&L: Was kann Deutschland bezüglich Compliance von anderen Ländern lernen?

Ann-Kathrin Bilda: Mit Blick auf Compliance an Hochschulen fällt mein Blick immer wieder auf die USA. Dort haben sich viele Hochschulen in einer "Compliance Allianz" professionell organisiert und gehen rechtliche Herausforderungen gemeinsam an. Auch in unseren Nachbarländern Österreich, Schweiz oder den Niederlanden sind überzeugende Elemente eines Compliance-Management-Systems an Hochschulen verbreitet. Mit dem Hochschul-Compliance-Netzwerk, das in Deutschland seit knapp zwei Jahren auf Eigeninitiative einiger Akteur:innen Compliance-Verantwortliche in den Austausch bringt, haben wir hier einen ersten, guten Schritt unternommen.

F&L: Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Compliance in Deutschland?

Ann-Kathrin Bilda: Ich wünsche mir, dass die Sensibilisierung und Professionalisierung für dieses Thema an Hochschulen weiter zunehmen. Compliance sollte dabei nicht als leidiges 'add-on' oder 'must-do' verstanden werden. Vielmehr trägt Compliance zur eigenen Sicherheit in richtiges Handeln bei und damit zur Komplexitätsreduktion auch des immer vielschichtigeren Hochschulsystems.