Coronavirus
Wie das Coronavirus die Wissenschaft trifft
Der Campus an der Universität Peking ist wie leergefegt. Geräte in den Forschungslaboren stehen still, Hörsäle sind leer, Computer und Stühle bleiben ungenutzt. Nach der rasanten Verbreitung des neuen Coronavirus in China hat die Regierung Ende Januar verkündet alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen zu lassen. Dazu gehören auch die rund 3.000 staatlichen Hochschulen des Landes. Studierende und Beschäftigte wurden gebeten im Anschluss an das chinesische Neujahrsfest zuhause zu bleiben.
Die Regierung informiere laufend, wie Quarantäne-Maßnahmen umzusetzen seien, sagte die Leiterin des Pekinger DAAD-Büros, Ruth Schimanowski, gegenüber Forschung & Lehre. Wann das verschobene Frühlingssemester beginnen werde, sei noch unklar. "Derzeit wird aller Unterricht auf Online-Plattformen durchgeführt. Dozierende dürfen nur mit einer Sondergenehmigung den Campus und ihre Büros betreten, um etwa Kurse vorzubereiten und Unterlagen zu holen."
Die Studierenden, die noch in ihren Wohnheimen seien, dürften den Uni Campus nicht verlassen. "Sie werden rund um die Uhr von Helferinnen und Helfern versorgt und ihnen wird ihre Temperatur gemessen und dokumentiert." Studierenden, die für die Semesterferien das Wohnheim verlassen hätten, sei die Rückkehr nach Inkrafttreten der Kontrollmaßnahmen verwehrt worden. "Ihre persönlichen Sachen sind ihnen stattdessen auf Wunsch zusammengepackt und am Eingangstor des Campus übergeben worden", sagt Schimanowski. Alle nationalen und ausländischen Studierenden vor Ort seien von der chinesischen Regierung verpflichtet worden, sich jeden Tag bei einer Betreuerin oder einem Betreuer zu melden und Angaben zu ihrem Gesundheitsstand zu machen.
Lehre in China: "Mit einem Schlag digitalisiert"
"Wir haben Anfang Februar alle Stipendiatinnen und Stipendiaten des DAAD aufgefordert, das Land zu verlassen", sagt Schimanowski. Aufgrund der Semesterferien hätten sich ohnehin viele der aktuell 80 DAAD-Geförderten in Studium, Promotion oder Lehre in anderen asiatischen Ländern oder in ihren Heimatländern befunden. Nur eine Stipendiatin sei noch nicht ausgereist. "Sie hält sich in einem kleinen Ort in Hubei auf, der Schwerpunktregion der Epidemie, und kann wegen der Reisebeschränkungen derzeit nicht ausreisen – ich bin laufend mit ihr in Kontakt." Die Studentin nutze die Zeit, um weiter chinesisch zu lernen. "Ihre größte Sorge ist, wie sie zurück nach Peking kommt, ohne durch Wuhan reisen zu müssen", sagt Schimanowski. In den vergangenen Tagen hätten sich jedoch die Anzeichen gemehrt, dass dies demnächst möglich sein werde und die Reisebeschränkungen gelockert würden.
Auch die 25 Lektoren und Langzeitdozenten des DAAD hätten China inzwischen verlassen. Wie auch bei den Dozierenden vor Ort absolvierten sie ihre Veranstaltungen inzwischen online. Dafür wurden die Kurszeiten geändert, damit die Dozierenden in Deutschland wegen der sechs Stunden Zeitverschiebung nicht in der Nacht unterrichten müssten.
Durch die Epidemie wurde Schimanowski zufolge das Bildungssystem in China "mit einem Schlag digitalisiert". Um dem ganzen Datenverkehr gerecht zu werden, hätte die Regierung die Netzstärken im Land aufgestockt. "Dozierenden wurden in Workshops gesagt, mit welcher Software sie ihre Kurse gestalten sollen."
Die Ausbreitung des neuen Coronavirus zeige einmal mehr, wie wichtig und selbstverständlich inzwischen digitale Kommunikation ist, sagte ein Sprecher der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Das gelte genauso für den Austausch von Forschungsdaten. Die internationale Kooperation müsse trotz Einschränkungen wie denen durch das Coronavirus so gut wie möglich weiterlaufen.
In Deutschland würden sich die Auswirkungen des Coronavirus auf den Wissenschaftsaustausch laut DAAD vor allem ab der zweiten Hälfte dieses Jahres zeigen. "Viele Studierende und Forschende können sich aktuell nicht auf einen Auslandsaufenthalt vorbereiten, weil zum Beispiel alle Termine für Sprachtests im Februar und März wie für den Englisch-Test 'Toefl' oder den deutschen 'TestDaF' verschoben wurden", sagt Schimanowski.
Einer aktuellen Umfrage zufolge beeinträchtigt die Ausbreitung des Virus internationale Studierende nur teilweise. 27 Prozent der Befragten gaben an, die weltweite Gesundheitskrise beeinflusse ihre Pläne, 61 Prozent sagten, dies sei nicht der Fall. Unter denen, die ihre Pläne aus gesundheitlichen Bedenken anpassten, wollten die meisten ihren Studienaufenthalt im Ausland auf das Folgejahr verschieben oder ein anderes Gastland wählen. Elf Prozent wollten ihren Aufenthalt ganz absagen.
Internationaler Austausch "on hold" – Flexibilität gefragt
Je nach Standort der Forschenden machten sich die Auswirkungen des Virus unterschiedlich stark bemerkbar. Aus dem Team der Chinaforscherin Genia Kostka waren zu dem Zeitpunkt, zu dem das Virus bekannt wurde, mehrere Postdocs und Promovierende in China, teils direkt in der Provinz Hubei. "Sie sind zurück nach Deutschland geflogen und im Anschluss hier dann in Quarantäne gegangen", sagt die Professorin von der FU Berlin. Die Feldforschung vor Ort bleibe damit vorerst auf der Strecke. "Vor allem die Promovierenden setzt das unter Druck, da sie die begrenzte Zeit für ihre Doktorarbeit vor Augen haben."
Kostka versuche über Online-Daten und Online-Umfragen die Arbeit ihres Teams so gut es gehe am Laufen zu halten. "Noch haben wir zu tun, aber sollte die Epidemie noch länger als etwa zwei Monate andauern, müssen wir neu überlegen und eventuell Fristverlängerungen beantragen", sagt die Wissenschaftlerin. Ihr Institut forsche in China etwa zur digitalen Infrastruktur oder der Lokal- und Klimapolitik. Postdocs seien für ihre Feldforschung in der Regel zwischen zwei und sechs Monaten vor Ort.
Dr. Tobias Arndt leitet die Außenstelle des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in China. Mit seinen 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sitzt der Ingenieurwissenschaftler in Suzhou, westlich von Shanghai. "Seit einer zweiwöchigen Quarantäne nach dem chinesischen Neujahr können wir aktuell weiterarbeiten wie bisher", sagt er. Trotzdem stockten einige Projekte, weil der Austausch mit Wissenschaftlern und Unternehmern aus anderen Städten und Provinzen nur sehr eingeschränkt möglich sei. Der Wissenschaftler gibt sich pragmatisch: "Wir machen, was wir können, und was nicht geht, geht zur Zeit einfach nicht." Still stehe etwa ein vom BMZ gefördertes Projekt zur praxisnahen Weiterbildung chinesischer Fachkräfte, um Produktionsverfahren in chinesischen Industriebetrieben innovativer und nachhaltiger zu gestalten. Arndt habe den Eindruck, dass sich Förderer sowohl in China als auch Deutschland kulant zeigten, wenn Fristen nicht wie geplant eingehalten werden könnten.
DAAD-Mitarbeiterin Schimanowski plädiert außerdem für einen flexiblen Umgang mit Antragsfristen und Auswahlverfahren: "Das kann eine Verlängerung der Bewerbungsfrist bedeuten oder Videokonferenzen mit Bewerbenden", sagt sie. "In China müssen viele Dokumente gestempelt werden – diese seien aber bei geschlossenen oder im Ausnahmezustand arbeitenden Univerwaltungen sehr schwer zu bekommen. Es wäre hilfreich, wenn diese Dokumente nach Möglichkeit nachgereicht werden könnten."
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat laut eigenen Angaben die Frist zur Einreichung von neu geplanten deutsch-chinesischen Forschungsvorhaben verlängert. Das gelte für Forschungsprojekte in Informatik, Mathematik, Physik, Geo-, Ingenieur- und Materialwissenschaften, die gemeinsam bei der DFG und der National Natural Science Foundation of China (NSFC) beantragt würden.
Der DAAD nimmt Bewerbungen für China derzeit weiterhin entgegen, Bewerbungsdeadlines seien bisher nicht verschoben worden. "Meist ist die Zeit zwischen Bewerbungsschluss und Ausreise zu lang, um jetzt eine Aussage darüber treffen zu können, ob eine Ausreise möglich sein wird", heißt es vonseiten der Organisation. "Fälle, die von der aktuellen Situation betroffen sein sollten, schauen wir uns auf Einzelfallbasis natürlich an." Wie weiter verfahren werde, hänge neben der allgemeinen Entwicklung unter anderem davon ab, wann die chinesischen Universitäten eine Rückkehr auf den Campus erlaubten und wie sie den Präsenzunterricht gestalteten.
Konferenzen und Kongresse abgesagt
In China sind laut Schimanowski alle Konferenzen und sonstigen wissenschaftlichen Veranstaltungen vorerst abgesagt worden. "An Terminen ab Mai wird derzeit noch festgehalten, aber auch das ist unsicher – insbesondere für größere Veranstaltungen und Delegationen", sagt DAAD-Mitarbeiterin Schimanowski.
Die DFG teilte mit, einige deutsch-chinesische Workshops, die sie gemeinsam mit dem Chinesisch-Deutschen Zentrum für Wissenschaftsförderung (CDZ) im Frühjahr 2020 geplant hatte, in Absprache mit den beteiligten Forschenden verschoben zu haben. Auch ein für Anfang März geplanter Geologie-Kongress in Indien mit rund 5.000 erwarteten Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei abgesagt worden. Mit ihren weltweiten Partnerorganisationen stehe die DFG im Austausch, um die kommenden Monate zu planen.
In den vergangenen Tagen haben die Coronafälle auch in Deutschland zugenommen. Das Robert Koch-Institut spricht für Deutschland aktuell von einem "mäßigen" Risiko. Die Forschungseinrichtung verweist auf allgemeine Hygienemaßnahmen, um einer Ansteckung entgegenzuwirken. Für den Verdachtsfall einer Ansteckung haben einige Städte eine telefonische Beratung eingerichtet, um den Ansturm auf Arztpraxen einzudämmen.
An der Universität Wuppertal hat sich ein erster Verdachtsfall bestätigt. Hochschulen haben nach Auskunft der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) eine Fürsorgepflicht. Dabei müssten sie jedoch auf die staatlichen Vorgaben achten, sagte HRK-Präsident Professor Peter-André Alt gegenüber "Forschung & Lehre", denn die Verantwortung für mögliche Maßnahmen in der Wissenschaft trügen in erster Linie die zuständigen Stellen der Kommunen, der Bundesländer und des Bundes. Mit diesen Stellen stünden Hochschulen und HRK in regelmäßigem Kontakt, um "in angemessener Weise zu reagieren".
Ob Hochschulen geschlossen werden, müsse laut Alt etwa in der Regel das fachlich zuständige Landesministerium entscheiden, während zum Beispiel verstärkte Hygienehinweise, die eine Ansteckung des Personals verhindern können, im Ermessen der Hochschulen lägen. Die HRK rät ihren Mitgliedshochschulen, bei internationalen Projekten auf mögliche Gesundheitsrisiken und aktuelle Entwicklungen in der Ausbreitung des Virus zu achten.
Einzelne Hochschulen haben in den vergangenen Wochen bereits Anweisungen für Reisen von Studierenden oder Wissenschaftlern herausgeben. Einige haben auch internationale Konferenzen verschoben oder abgesagt, darunter die Uni Hamburg. Dabei beriefen sich die meisten auf Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Auswärtigen Amtes, einige auf den DAAD, andere auf ihre Fürsorgepflicht.
Dienstreisen vorrübergehend verboten haben beispielsweise die TUs Berlin und Kaiserslautern sowie die Universitäten in Hamburg, Magdeburg und Wuppertal. Andere sprachen lediglich Empfehlungen und Bitten aus, Reisen zu verschieben, darunter die Unis in Kassel und Bielefeld.
Die Universität Düsseldorf ermöglicht ihren rund 4.000 Beschäftigten, von zu Hause zu arbeiten, wenn diese kürzlich in Risikogebieten gewesen seien oder begründete Sorge hätten, sich angesteckt zu haben. Studentische Austauschprogramme mit China verschoben haben unter anderem die Hochschule Offenbach, die TU Darmstadt und die Universität Marburg. Deutsche Studierende dieser Hochschulen, die sich zum Zeitpunkt des Ausbruchs in China aufgehalten haben, hätten ihren Aufenthalt abgebrochen.
Zum Umgang mit dem Coronavirus
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Über das Coronavirus "Covid-19": Informationsportal des Robert Koch-Instituts
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