Mann übergibt Stift und Vertrag zum Unterschreiben
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Forschungskooperationen
Im Austausch mit China nicht naiv sein

Chinesische Gastwissenschaftler nutzen Erkenntnisse aus Forschungskooperationen häufig anders als verabredet. Wie sollen Hochschulen damit umgehen?

Von Claudia Krapp 19.02.2020

China ist ein forschungsstarkes Land. Bei der Zahl der wissenschaftlichen Publikationen hat China die USA als führende Nation längst überholt. In der Liste der meistzitierten Wissenschaftler liegt China auf Platz drei, Deutschland auf Platz vier. Dabei publiziert China immer mehr mit internationalen Partnern. Bereits jeder vierte Artikel von chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wurde 2016 zusammen mit internationalen Autorinnen und Autoren veröffentlicht. Mit mehr als der Hälfte aller angemeldeten Patente produziert China zudem weltweit die meisten Innovationen. Für Forschende aus Deutschland ist China daher ein vielversprechender Kooperationspartner.

Aktuell verzeichnet das Portal "Internationale Hochschulkooperationen" der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) über 1.400 Kooperationsvereinbarungen zwischen 220 deutschen und 350 chinesischen Hochschulen. Die drei wichtigsten Herkunftsländer ausländischer Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler in Deutschland sind dem DAAD zufolge China, Russland und Indien. Jeweils rund 2.000 Personen kamen 2016 aus diesen drei Ländern, das entspricht je sechs Prozent aller Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler in Deutschland.

Doch die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit mit China gestalten sich zunehmend schwierig. Zuletzt mahnten verschiedene Wissenschaftsvertreter in Deutschland die immer größere Diskrepanz bei den geltenden Regeln an. Der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, Hans-Christian Pape, forderte beispielsweise "rote Linien" bei der Verwendung von Forschungsergebnissen und pochte auf Standards in der wissenschaftlichen Praxis. Die DFG betonte die sich stetig verändernden Gesetze zur Datensicherheit in China und die Fraunhofer-Gesellschaft warnte vor einer "Gefahr des unkontrollierten Know-How-Abflusses". Auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) sorgt sich um einen "einseitigen Abfluss von wissenschaftlichem und innovations- oder sicherheitsrelevantem Know-how".

Der Präsident des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD), Joybrato Mukherjee, bezeichnete China gegenüber "Times Higher Education" als "herausforderndes Partnerland". Er warnte, dass chinesische Doktoranden und Postdocs in Deutschland bei geistigem Eigentum "nicht immer auf derselben Seite wie wir" stünden. Hier müsste Deutschland seine Kooperationsbedingungen klar formulieren und sicherstellen, dass sich Forschende aus China an geltende Standards hielten. Vereinzelt sei bereits geistiges Eigentum gestohlen worden, zwar nicht an Universitäten, jedoch an anderen Forschungseinrichtungen.

Chinesische Forschende kommen oft für Dual Use-Technologien

Aber nicht nur beim geistigen Eigentum, sondern auch bei der Verwendung der Forschungsergebnisse, die aus deutsch-chinesischen Kooperationen hervorgehen, muss Deutschland wachsam sein. Wie die "Welt" berichtete gehören chinesische Gastwissenschaftler in Deutschland nicht selten dem chinesischen Militär an. An der Universität Duisburg-Essen war beispielsweise der Ingenieurwissenschaftler Professor Hu Changhua tätig, ohne dass die Uni wusste, dass er als Generalmajor der chinesischen Volksbefreiungsarmee ein Militärlabor für Raketentests leitete. Ähnlich fragwürdige Gastaufenthalte habe es unter anderem am Berliner Max-Born-Institut, am Helmholtz-Zentrum in Dresden und am Geoforschungszentrum in Potsdam gegeben.

Nach Einschätzung von Frank Pieke, Professor für Moderne Chinastudien an der Universität Leiden und ehemaliger Direktor des Mercator-Instituts für Chinastudien (MERICS), arbeiten nur sehr wenige chinesische Gastwissenschaftler direkt an Militärtechnologien. Meist seien es zivile Forschungsthemen, viele hätten jedoch einen "Dual Use", sagte Pieke gegenüber Forschung & Lehre. Die meisten dieser Themen lägen in technischen Forschungsgebieten. Es sei aber auch denkbar, dass Forschungsdaten aus den Sozialwissenschaften zweckentfremdet werden könnten – etwa Forschung zu "crowd control" oder Studien, die Meinungen, politische Ansichten oder Religionszugehörigkeiten erfassten. Die Grenzen seien schwer zu ziehen. "Aber oft genug öffnen europäische Forschungseinrichtungen ihre Türen sehr weit für China, ohne überhaupt an Dual-Use oder Militärzwecke zu denken", so Pieke.

"Oft genug öffnen europäische Forschungseinrichtungen ihre Türen sehr weit für China, ohne überhaupt an Dual-Use oder Militärzwecke zu denken." Frank Pieke

"In nahezu allen Wissenschaftsgebieten können Forschungsergebnisse, die große Chancen eröffnen, auch missbraucht werden. Es liegt auf der Hand, dass internationale Forschungskooperationen – insbesondere im Bereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften – auch bei anderen, wissenschaftsfernen Instanzen auf Interesse stoßen", sagte der HRK-Präsident Professor Peter-André Alt gegenüber Forschung & Lehre. Hier dürfe man nicht naiv sein und müsse im Einzelfall nüchtern reflektierte Entscheidungen herbeiführen, so Alt.

Auch Pieke warnte eindringlich vor Naivität im Umgang mit China. Das Land setze Forschungskooperationen zunehmend strategischer und mit Hintergedanken an. Die meisten Gastwissenschaftler aus China kämen gezielt für "cutting edge"-Technologien aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften – darunter etwa Lasertechnologien, steuerbare Lenkwaffen und Raketenwissenschaften – in denen Europa eine Vorreiterrolle zukomme. "Im Zuge seiner 2025-Strategie hat China seit 2015 seinen Forschungssektor massiv ausgebaut und auch gezielt Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft entwickelt, ohne den geringsten Hehl daraus zu machen", so Pieke. In Europa sei man sich der Gefahr des Wissensabflusses bis dahin mehrheitlich nicht bewusst gewesen, weder in den Hochschulen noch in der Politik. "Uns wird erst jetzt klar, dass einige Kooperationspartner gegen uns arbeiten." Chinas offensichtlicher Fortschritt in den vergangenen Jahren habe in den westlichen Ländern aber eine Kettenreaktion ausgelöst, meint Pieke. Künftig wollten diese realistischer mit China umgehen.

Wer trägt die Verantwortung?

Laut Bericht der "Welt" sind sich die Bundesregierung und der Verfassungsschutz den chinesischen Gastforschern mit Militärzugehörigkeit und Chinas Interesse an deutscher Forschung durchaus bewusst. Als Maßnahme habe man Universitäten "sensibilisiert" und zum Nachbessern ihrer Compliance-Strukturen aufgefordert, heißt es in dem Bericht. "Das Risiko, unabsichtlich der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen Vorschub zu leisten, betrifft nicht nur Unternehmen, sondern auch Universitäten und Forschungseinrichtungen", schreibt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in seinem Kurzbericht von 2018. Universitäten sollten daher "dafür Sorge tragen, dass es nicht zu unerwünschten Abflüssen von Wissen aus Deutschland kommt, das zu militärischen Zwecken eingesetzt werden könnte", zitiert die "Welt" die Behörde. Dazu hat das Amt sogar ein Handbuch veröffentlicht.

In der internationalen Forschungszusammenarbeit nutzten die Hochschulen etablierte Verfahren, sagte HRK-Präsident Alt. Dabei griffen sie, "wo angezeigt, auf die Expertise zuständiger Stellen, wie zum Beispiel dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, zurück." Grundsätzlich komme jeder Wissenschaftlerin und jedem Wissenschaftler die Verantwortung zu, die Verwendung der eigenen Forschung und deren möglichen Missbrauch zu reflektieren. Laut Alt sollten die Wissenschaftseinrichtungen die Forschenden dabei unterstützen. Hier böten viele Hochschulen Beratungen an, zum Beispiel über extra eingerichtete "Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung" (KEF). Bei der Erteilung von Visa und sonstigen regulatorischen Fragen seien jedoch staatliche Stellen gefragt.

Die sogenannte China-Strategie des Bundesforschungsministeriums (BMBF) lief Ende 2019 aus. Eine neue Strategie sei nicht vorgesehen, teilte ein Sprecher des BMBF mit. Angesichts der "dynamischen Entwicklungen" in China und den deutsch-chinesischen Wissenschaftskooperationen biete ein Strategiepapier "nicht länger die notwendige Flexibilität" für die zukünftige Zusammenarbeit. Die Bundesregierung steht für ein "koordiniertes nationales Vorgehen" in Forschungskooperationen laut BMBF in regelmäßigem Austausch mit der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen.

Pieke findet es wichtig, dass Universitäten und Behörden das Thema gemeinsam angehen. Die Verantwortung für das Forschungswissen aus deutsch-chinesischen Kooperationen dürfe keine Seite alleine tragen. "Das System würde entweder sehr undicht oder sehr autoritär, wenn allein die Universitäten beziehungsweise Sicherheitsbehörden verantwortlich wären", so Pieke. Es sei zudem nicht die Aufgabe der Universitäten, die nationalen Interessen zu schützen. In vielen westlichen Ländern nähmen die Sicherheitsbehörden, zum Beispiel der Verfassungsschutz, das Vorgehen Chinas inzwischen sehr ernst. Mittlerweile warnten sie die Politik intensiv vor bekannten Fällen des Wissensmissbrauchs oder Datendiebstahls durch chinesische Forscherinnen und Forscher. Die Politik gebe diesen Druck an die Hochschulen weiter und dränge diese auf verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. "Wir müssen die Universitäten verpflichten, den Behörden über potenzielle Risiken zu berichten", meint auch Pieke. Eine noch zu definierende übergeordnete Institution müsse die Verdachtsfälle dann im Detail untersuchen.

Potenziell gefährliche Kooperationen zu identifizieren ist aber keine einfache Aufgabe, weiß Pieke. "Hochschulen dürfen damit weder alleine gelassen noch bei der Auswahl der Gastwissenschaftler bevormundet werden." Seit etwa einem Jahr entwickeln die EU-Länder ihm zufolge unter der Koordination der EU-Kommission nationale Pläne für verlässliche Ausschlusskriterien für ausländische Forschende. Dabei griffen die Länder auf bestehende Gesetze zurück. "Das gilt in den letzten Jahren verstärkt, aber nicht ausschließlich für China, sondern auch für Russland, den Iran, Pakistan und Nordkorea; also Länder, die in der Vergangenheit Forschungswissen missbraucht haben." Diese unterliegen bereits Sanktionen und Exportkontrollen. Nun sollen die Regeln verschärft werden.

Verträge statt Rahmenvereinbarungen

Andere Länder – etwa die USA, Australien oder Japan – hätten bereits seit längerem sehr strenge, teils aggressive Regularien für chinesische Forschungskooperationen, berichtet Pieke. Auch Strafen gebe es dort, etwa bei Fehlangaben in Anträgen oder bei Wissensmissbrauch. "In Deutschland und Europa gibt es bislang keinerlei Konsequenzen für Vergehen von Gastwissenschaftlern", warnt Pieke. Bisher arbeiten Partner in deutsch-chinesischen Projekten auf der Basis von Rahmenvereinbarungen. "Die darin beschriebenen Kooperationsbedingungen sind in der Regel sehr vage formuliert. Das Ziel und die angestrebte Anwendung werden häufig sehr kurz oder gar nicht genannt", erklärt Pieke. Diese seien oft auch nicht absehbar. Eine militärische Anwendung der Erkenntnisse erfolge oft um Jahre verzögert, wenn der Ursprung des Wissens nicht mehr exakt nachvollziehbar sei. Verträge würden daher nur begrenzt Klarheit bringen. Dennoch hält Pieke klar formulierte Verträge über die Rechte an den Forschungsdaten für sinnvoll und notwendig.

Wie deutsche Kooperations-Strategien aussehen könnten, zeigen Vorstöße aus den Niederlanden. Das "Leiden Asia Centre" (LAC) hat beispielsweise eine Checkliste erstellt, nach der Forschende prüfen können, ob sie bei ihrer geplanten Kooperation mit China alle Aspekte bedacht haben. In einem Bericht klärt die Organisation zudem intensiv über bedenkliche Aspekte auf. Gleichzeitig rät das LAC dazu, weiter mit China zusammen zu arbeiten, "while being mindful of the dangers of both naivety as well as paranoia".

In der deutschen Wissenschaft sei ein klares systematisches Vorgehen im Umgang mit China noch nicht in Sicht, meint Pieke. "Als ich im Mai 2019 bei einem Workshop der HRK vor rund 70 deutschen Hochschulvertretern und Wissenschaftlern gesprochen habe, war ich verblüfft, wie wenig diese über chinesische Gastwissenschaftler wussten. Sie waren sich des Ausmaßes der chinesischen Einflussnahme und der möglichen Folgen nicht bewusst." Laut HRK diente der Workshop der Sensibilisierung und dem Erfahrungsaustausch zwischen Hochschulen, die Kooperationen mit chinesischen Partnern unterhalten. Seither habe es viele weitere Diskussionen gegeben – nicht nur bei der HRK, sondern auch beim DAAD und in den Ministerien, weiß Pieke. Die "European Association for Chinese Studies" hat laut Pieke inzwischen neue Richtlinien für Forschungskooperationen mit China herausgegeben. Für 2020 erwartet er einen starken Anstieg an Regulatorien, Exportkontrollen und Auswahlmechanismen für Gastwissenschaftler.

"Wir brauchen ein System, das so viel Kooperation wie möglich erlaubt, aber die negativen Faktoren selektiert." Frank Pieke

Europäische Universitäten werden Pieke zufolge auch deutlich häufiger freiwillig mit den Regierungsbehörden zusammenarbeiten. So könnten sie pro-aktiver vorgehen, um möglichst keine Kooperationspartner abzuschrecken. Schließlich profitierten Deutschland und andere westliche Länder ebenfalls massiv vom wissenschaftlichen Austausch mit China. "Wir brauchen ein System, das so viel Kooperation wie möglich erlaubt, aber die negativen Faktoren selektiert. Ein gewisses Maß an Schwund sollte man jedoch immer einplanen", fasst Pieke zusammen.

"Die deutschen Hochschulen arbeiten in Forschung und Lehre seit Jahren eng mit chinesischen Hochschulen zusammen", sagte der HRK-Präsident gegenüber Forschung & Lehre. Diese intensive Kooperation mit China sei für die deutsche Wissenschaft essenziell, müsse jedoch auf Grundlage der eigenen Regeln, Leitlinien und Werte erfolgen, so Alt. "Insofern ist sicherlich festzuhalten, dass die Grenzen für die Kooperation in den vergangenen Jahren enger geworden sind."