Tenure Track in den USA
Abbau aus Kostengründen
Forschung & Lehre: Herr Tiede, Sie sind 1994 in die USA ausgewandert, um dort Ihre Doktorarbeit zu schreiben und anschließend eine Tenure-Track-Stelle anzunehmen – was war Ihre Motivation?
Hans-Jörg Tiede: Mit einer Tenure-Track-Stelle hat man die Chance, eine wissenschaftliche Karriere mit Zukunft zu haben und einen Marathon von befristeten Stellen zu umgehen. Die Voraussetzung ist natürlich, dass man ordentliche Arbeit leistet, schließlich muss man sich in der Regel in einer circa sechsjährigen Probephase als "Assistant Professor" (Tenure Track) beweisen und wird regelmäßig evaluiert, bevor man seine Stelle sicher hat, zunächst als "Associate" und schließlich als "Full Professor" (Tenured). In Deutschland haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oft bis zu ihrem 40. Lebensjahr keine klare Karriereperspektive. Danach ist es sehr mühselig, noch einen anderen Berufsweg einzuschlagen. Mit Tenure Track hat man mit Anfang/Mitte 30 berufliche Sicherheit. In den USA ist Tenure Track außerdem wichtig, um eine größere Lehrfreiheit zu haben. Bevor vor rund 30 bis 40 Jahren die Überlegungen zu Tenure Track begannen, konnte Professorinnen und Professoren leicht gekündigt werden, wenn ihre Meinung jener der Hochschulleitung widersprach. Mit Tenure Track kam der Kündigungsschutz, der für US-amerikanische Wissenschaftler wichtig ist, weil es in den USA anders als in Deutschland tausende private Universitäten gibt, an denen Wissenschaftler nicht verbeamtet sind, sondern Angestellte wie die einer Firma.
F&L: Wie hat sich das US-amerikanische Modell in den vergangenen Jahren verändert?
Hans-Jörg Tiede: An sich ist es gleich geblieben, aber die Anzahl der Stellen ist gesunken (s. Abbildung). Das hat allerdings – anders als einige Politikerinnen und Politiker behaupten – nichts mit den Schwächen von Tenure Track zu tun, sondern hat alleine ökonomische Gründe. Tenure Track bedeutet, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Fakultät jahrelang Geld kosten – je mehr, desto höher sie befördert werden. Befristet Beschäftigte dagegen sind günstiger und leichter zu entlassen. Für die Politik ist das ein Anreiz dafür, Tenure-Track-Stellen zu reduzieren. Dieser Trend wird sich mit der zunehmend unsicheren ökonomischen Lage US-amerikanischer Hochschulen verschärfen.
F&L: Worauf ist diese unsichere Lage zurückzuführen?
Hans-Jörg Tiede: Die amerikanischen Bundesstaaten haben in den letzten zehn Jahren die öffentlichen Universitäten immer weniger finanziell unterstützt. Öffentliche Universitäten in den USA sind mehr und mehr auf Studiengebühren und Förderung durch die Wirtschaft und private Personen sowie Stiftungen angewiesen. Da ist der Abbau von Tenure-Track-Stellen eine der Strategien, Geld zu sparen.
F&L: Wird sich der Trend hin zu weniger Tenure-Track-Stellen unter dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump verschärfen?
Hans-Jörg Tiede: Ich glaube nicht, dass Donald Trump etwas über Tenure Track weiß und sich damit beschäftigt – was auch daran liegt, dass die einzelnen Bundesländer über die Gestaltung der Hochschullaufbahnen entscheiden. Grundsätzlich wird Trump einen Abbau von Tenure-Track-Stellen als konservativer Politiker bestimmt begrüßen. Republikaner werfen dem Modell nämlich oft vor, dass es faule Professorinnen und Professoren fördere, die keine gute Arbeit leisteten. Dass die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA politisch links orientiert sind, fördert einen konstruktiven Dialog nicht gerade. Konservative Politiker wollen verhindern, dass sie politische Botschaften an den Universitäten verbreiten, die ihren eigenen widersprechen. Mit inhaltlicher Kritik hat das nichts zu tun. Schließlich müssen sich in keinem anderen Beruf Angestellte für sechs Jahre Evaluationen unterziehen, bis sie ihre Stelle sicher haben.
F&L: Besteht auch ein eigenes Interesse der Hochschulen, Geld durch befristete Stellen zu sparen?
Hans-Jörg Tiede: Das ist sehr kontrovers. Hochschulen müssen Geld sparen. Dafür sind befristete Stellen eine mögliche Strategie. Trotzdem stellt sich die Frage, ob der Abbau in ihrem Interesse ist. Die American Association of University Professors (AAUP), für die ich derzeit arbeite, ist der Auffassung, dass Lehr- und Forschungsfreiheit für Universitäten notwendig sind. Ohne Tenure gibt es diese nicht. Daher ist die AAUP der Meinung, dass es nicht in ihrem Interesse ist.
F&L: In Deutschland wird Tenure Track dafür kritisiert, dass er den Wettbewerb zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verzerrt, weil es keine Ausschreibung für die sich anschließende Professur gibt – was halten Sie von dieser Kritik?
Hans-Jörg Tiede: Ich halte sie für unberechtigt. Es gibt kein Problem, wenn Hochschulen ihre Tenure-Track-Stellen an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fächer und Universitäten vergeben und nicht nur an jene der eigenen Hochschule.
F&L: Trotz der genannten Kritik steigt die Zahl von Tenure-Track-Stellen in Deutschland – wie sollte das Modell gestaltet sein?
Hans-Jörg Tiede: Am besten sollte es so gestaltet sein, wie es in den USA ursprünglich vorgesehen war: Alle Stellen sind als Tenure Track angelegt. Leider entwickeln wir uns in den USA wie gesagt wieder zurück. Es werden parallel zu Tenures mehr "non-tenure-Stellen" geschaffen, befristet und zur Teilzeit, um Geld zu sparen. Die AAUP setzte sich dafür ein, dass sich dies wieder ändert, denn nur mit beruflicher Sicherheit halten wir die Besten in der Wissenschaft. Dabei macht Tenure Track das Hochschulsystem flexibler: Zurzeit sind Positionen und deren Anzahl an einem Lehrstuhl in Deutschland noch genau definiert. In den USA kann es dagegen sein, dass es an einem Lehrstuhl auf einmal zum Beispiel vier "Associate Professors" und keine "Full Professors" gibt.