Eine Frau mit schwarzem Anzug, Brille und dunkelbraunem Kurzhaarschnitt spricht im Freien in mehrere Presse-Mikrofone.
BMBF/Hans-Joachim Rickel

Jahresgutachten 2024
EFI empfiehlt Dual-Use & KI-Forschung zu stärken

Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat ihr Jahresgutachten vorgestellt. Die Innovationspolitik bekommt durchwachsene Noten.

06.03.2024

Kürzlich hat die die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) ihren diesjährigen Jahresbericht veröffentlicht. Erstmals wurde er 2008 verfasst. Am Mittwochnachmittag hat Uwe Cantner, der Vorsitzende der EFI-Kommission, das Jahresgutachten an Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger übergeben. 

Im Fokus auf den knapp 200 Seiten Einschätzungen und Empfehlungen der sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stehen Künstliche Intelligenz, soziale Innovationen als wesentliches Element zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen, internationale Mobilität im Wissenschafts-und Innovationssystems, neue Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft. Außerdem die Kausalanalyse von Maßnahmeneffekten sowie die Kommentierung der aktuellen Forschungs- und Innovationspolitik (F&I-Politik) der Bundesregierung.

Forschungs- und Innovationspolitik geht in die richtige Richtung 

Die F&I-Politik der Bundesregierung geht laut EFI-Gutachten in die richtige Richtung. Es sei auch eine Folge der stetigen jahrelangen Erhöhungen des Forschungsbudgets unter der vorherigen Regierung von Angela Merkel. Stark-Watzinger schreibt es sich auf die Fahne und sagt bei der Überreichung des EFI-Berichts: "Es freut mich sehr, dass die EFI viele unserer Maßnahmen positiv bewertet". Ihr sei aber auch bewusst, dass "die Herausforderungen um uns herum nicht kleiner werden." 

Auch die EFI-Kommission zeigt dafür Verständnis: "Die amtierende Koalitionsregierung hat von ihrer Vorgängerin ein Projekt der Superlative übernommen: die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft." Es ist die Rede von einer "Herkules-Aufgabe", die den Umfang und die Reichweite bisheriger Wirtschafts-und Innovationspolitik sprenge. 

Vor diesem Hintergrund zeigt die EFI-Kommission Verständnis für die schleppende Umsetzung transformativer Forschungs-und-Innovationspolitik. Sie bewertet das Einsetzen von Missionsteams für die Zukunftsstrategie und das in Kraft getretene Freiheitsgesetz der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) als positiv. Aber laut EFI sollten Gestaltung und Geschwindigkeit der Maßnahmen dringend verbessert werden. 

EFI fordert Verbindung von militärischer und ziviler Forschung 

Deswegen gibt die EFI-Kommission auch Empfehlungen. So sei es wichtig, "langfristigen Zielen auch in kurzfristig angelegten Maßnahmen Rechnung zu tragen." Sie befürchtet ansonsten, dass diese aufgrund der geopolitischen Lage (Ukraine und Nah-Ost) kurzfristig ausgerichter Krisenbewältigungspolitik weichen könnten. Auch die soziale Kompensation und die Gesellschaft sollten bei der Suche nach innovativen Lösungen mitgedacht werden. 

Ein besonderes Augenmerk legt das Gutachten auf die Sicherung des Humankapitals. Diesbezüglich seien Veränderungen der Hochschulen nötig. Sie bräuchten “modernere Studienangebote, ein Mehr an interdisziplinärer Verzahnung von Inhalten und einen breit angelegten Interaktionsraum mit der Gesellschaft und der Wirtschaft“. Dies sollte "mit einer auskömmlichen Grundfinanzierung und hochqualifiziertem wissenschaftlichen Personal" einhergehen. 

Zudem fordert die EFI wie schon im vergangenen Jahr, die strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung und Entwicklung (FuE) aufzulösen. Damit könnten sogenannte Spillover-Effekte ausgelöst und ein Dual Use gefördert werden, heißt es im Gutachten. "Sonst vergibt Deutschland ökonomische Chancen", sagt der EFI-Vorsitzende Cantner. Er forderte zudem, einen Teil des Sondervermögens der Bundeswehr auch für FuE-Vorhaben auszugeben. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat die Empfehlung unterstützt und dem Handelsblatt erklärt, dass militärbezogene Innovation und Forschung mehr Unterstützung benötigen. "Diese Diskussion möchte ich ausdrücklich führen", so Stark-Watzinger bei der Präsentation des Jahresberichts. 

Gutachten legt nah, Prozesse zu erleichtern

Die EFI empfiehlt auch die neugegründete Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) möglichst offen zu gestalten, die Forschungszulage KMU-freundlich weiterzuentwickeln und zeitnah Reallabor-Gesetze einzuführen. Die Idee dahinter besteht darin, die normalen Regeln für das Testen neuer Innovationen einzuschränken und so die Kommerzialisierung zu erleichtern, des Weiteren Potenziale von Daten endlich nutzbar zu machen sowie den Transfer geistigen Eigentums (Intellectual Property, IP-Transfer) für Ausgründungen und die Nutzung standardessenzieller Patente zu vereinfachen. Denn laut dem Bericht falle es deutschen Wissenschaftseinrichtungen immer noch schwer, geistiges Eigentum nahtlos auf neue Unternehmen zu übertragen – oft gebe es "langwierige und möglicherweise erfolglose Verhandlungen" zwischen beiden Seiten. 

Zudem können die von Universitäten und Forschungsinstitute verlangten Zahlungen den Erfolg von Start-Ups mit neuem geistigen Eigentum beeinträchtigen. Als Reaktion darauf haben einige Hochschulen "IP-Transfer" ins Leben gerufen, das auf das Stimmrecht von IP-Spendern verzichtet und so Start-ups für Investoren attraktiver macht.

EFI empfiehlt Investition in KI und Gentechnologie 

Auch bei den vier Kernthemen gibt das EFI-Jahresgutachten Empfehlungen. Eine davon bezieht sich auf die Förderung von Forschung und Innovation im Bereich Künstlicher Intelligenz. Dabei gebe es für Deutschland und auch die gesamte EU massiven Aufholbedarf gegenüber China und den USA, wo ganz anders als in Deutschland eine riesige Geldschwemme in den Sektor geflossen ist. Bis 2022 haben die USA mehr als die Hälfte der bestehenden großen Sprach- und multimodalen KI-Modelle produziert. Fast 22 Prozent stammten aus Großbritannien, acht Prozent aus China und nur etwa drei Prozent aus Deutschland. 

Dabei gebe es massiven Aufholbedarf gegenüber China und den USA und dafür sollte KI-Grundlagenforschung unterstützt, Rechenkapazitäten geschaffen und Datengrundlagen verbessert werden sowie die Verbreitung von Open-Source-KI gefördert werden. In Schulen und akademischen Bildungseinrichtungen sollten KI-Ökosysteme bereitgestellt werden. 

Die EFI kritisiert, dass der KI-Aktionsplan nur in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung fällt und somit dem breiten KI-Anwendungsbereich nicht gerecht werden kann. Deshalb plädiert die EFI-Kommission für eine ressortübergreifende Fortschreibung oder Neukonzeption. 

Ein weiteres Kernthema des EFI-Gutachtens sind neue Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft. Die Experten-Kommission empfiehlt der Bundesregierung dafür "dem Vorschlag der EU-Kommission zur differenzierten Regulierung von genomeditierten Pflanzen bei der Abstimmung im Europäischen Rat zuzustimmen" und sich "bei der EU für eine vom gentechnischen Verfahren unabhängige Regulierung der Grünen Gentechnik einzusetzen." Denn hier sei die wissenschaftliche Basis der EU einigermaßen stark, so der Bericht: Sie erstellt so viele Veröffentlichungen über den Einsatz von CRISPR-Gen-Editierung bei landwirtschaftlichen Nutzpflanzen wie die USA, obwohl China immer noch führend ist. 

Bei der Anmeldung von Patentfamilien in diesem Bereich dominiert China, die USA liegen an zweiter Stelle und Deutschland und die EU "hinken weit hinterher", warnt der Bericht. Darüber hinaus hält es die EFI für sinnvoll, eine "koordinierte Kommunikationsstrategie" für Grüne Gentechnik zu entwickeln sowie die digitale Infrastruktur im ländlichen Raum mit einheitlichem Datenraum auszubauen und dafür entsprechende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu finanzieren. 

Mit sozialen Innovationen gesellschaftliche Herausforderungen bewältigen 

Soziale Innovationen sind laut dem EFI-Bericht noch nicht im forschungspolitischen Bewusstsein angekommen. Deswegen schlägt die EFI für dieses Kernthema eine Definition vor als "neue individuelle Verhaltensweisen, sowie Organisationsformen, die zur Lösung gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Probleme beitragen und damit einen gesellschaftlichen Mehrwehrt schaffen." Zudem empfehlen die EFI-Expertinnen und -Experten: Förderprogramme für soziale Innovationen zu öffnen und ergänzen sowie eine Messe und international einheitliche Evaluationsdatenbasis ins Leben zu rufen, um die Wirkungsanalyse zu verbessern. 

"Viele publikationsstarke Autorinnen und Autoren kehren nach einem Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurück."
EFI-Jahresgutachten 2024

Mit internationale Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem greift das EFI ein Thema auf, das vor zehn Jahren für Aufsehen gesorgt hatte. Zwischen 1996 und 2011 hatten mehr Forschende Deutschland verlassen, als neu zugezogen waren. Das hat sich laut aktuellem EFI-Bericht stark verändert. Darin heißt es: "Deutschland ist zum Nettoempfängerland für publizierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geworden. Viele publikationsstarke Autorinnen und Autoren kehren nach einem Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurück." 

Deutschland verliert immer noch viel mehr Forschende, als es gewinnt, an die USA, die Schweiz und Groß-Britannien. Der Nettozufluss wird durch die Einwanderung von Akademikerinnen und Akademikern aus Italien, Spanien, China, Russland und Indien vorangetrieben. Auch hinsichtlich derjenigen, die Patente anmelden sieht es in Deutschland nicht so gut aus. Obwohl es im Jahr 2020 erstmals gelungen ist, mehr Erfinderinnen und Erfinder anzuziehen als zu verlieren, bleibt die BRD durchweg Nettoverlierer. 

Um Verluste durch demografische Alterung in Zukunft abzufedern, empfiehlt die Expertenkommission internationale Verwaltungsprozesse zu digitalisieren, Visaverwaltung zu verbessern, Sozialversicherungsregeln und Programme zur Exzellenzförderung auszubauen. Mitarbeitende des DHV konnten im Rahmen eines Hintergrundgesprächs zur "Internationalen Mobilität von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen" Input liefern speziell über die versorgungsrechtlichen Implikationen.

Dieser Artikel wurde am 6.3. um 15:00 Uhr aktualisiert. Erstmals erschienen ist er am 1.3.

kfi