Menschen betreten ein Gebäude
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Gefährdete Wissenschaftler
Früh über Job-Perspektiven sprechen

Eines der bekanntesten Stipendienprogramme für gefährdete Wissenschaftler startet in die siebte Förderrunde. Wie ist die Lage an den Hochschulen?

Von Katrin Schmermund 10.03.2020

Asylrecht und VHS-Katalog stehen neben einem Schwung Bewerbungen. Auf dem Computerbildschirm flackert ein Immobilienportal. Im internationalen Büro der Universität zu Köln sind Dr. Johannes Müller und seine Kollegin Dr. Heike Berner ein Stück weit Jobvermittler, Asylrechtler und Wohnungsmakler in einem. Parallel haben sie die Sprach- und Kulturangebote der Stadt im Blick. "Gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen ungewollt und oftmals unvorbereitet nach Deutschland", sagt Abteilungsleiter Müller. "Sie müssen viel enger betreut werden als andere internationale Forscherinnen und Forscher."

Darauf hätten sich die Hochschulen mit der Zeit immer besser eingestellt, sagt Dr. Barbara Sheldon, Geschäftsführerin der Philipp-Schwarz-Initiative (PSI). Das Programm der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) startet demnächst in die mittlerweile siebte Förderrunde. Bislang seien über die Initiative mehr als 200 geflüchtete Wissenschaftler unterstützt worden, die prozentual meisten von ihnen an der Universität zu Köln.

"Um die Geförderten zu betreuen, nutzen Hochschulen geschickt bestehende Strukturen in Welcome Centers und International Offices", sagt Sheldon. Eigene Stellen für die Betreuung von Geflüchteten haben von Forschung & Lehre angefragte Hochschulen nicht, zu gering sei deren Anzahl. Wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Fluchthintergrund insgesamt bei ihnen arbeiteten, könnten sie nicht sagen. Abgesehen von speziellen Programmen wie der PSI würden sie als internationale Beschäftigte gezählt.

Besser werden wollen einzelne Hochschulen noch in der Vernetzung mit Kooperationspartnern. Bei anderen sind es die Kursangebote, die sie weiter ausbauen wollen. Viele schließen sich dafür mit anderen Hochschulen zusammen oder vernetzen sich über das europäische Netzwerk "Euraxess". Mit der Beratung der Geflüchteten zeigten sie sich zufrieden.

Zur Weiterqualifikation von Beschäftigten nutzen die Hochschulen laut eigenen Angaben auch die Angebote der "Internationalen DAAD-Akademie". Seit 2006 oragnisiert der DAAD darüber Fortbildungen zur Internationalisierung. Rund 2.000 Hochschulangehörige nahmen 2019 laut der Organisation an den rund 125 Seminaren teil. Die Kurse zur Arbeit mit geflüchteten Studierenden und Forschenden seien stark nachgefragt.

Wissenschaftsfreiheit weltweit

In Deutschland finden viele gefährdete Forscherinnen und Forscher über die Philipp-Schwartz-Initiative (PSI) einen Einstieg in die Wissenschaft. Die Bewerbungsunterlagen inklusive eines Konzepts über die geplante Gestaltung der Zusammenarbeit soll die Universität in Absprache mit den potenziellen Geförderten erstellen. Die gastgebende Hochschule erhält für den Stipendiaten nach aktuellem Stand 3.500 Euro monatlich und eine Förderpauschale von derzeit insgesamt 20.000 Euro. Das Geld kommt vom Auswärtigen Amt und verschiedenen Stiftungen.

Am 9. und 10. März haben sich Geförderte der PSI sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Internationalen Büros der Hochschulen beim "Forum Philipp Schwartz-Initiative 2020" in Berlin getroffen. Bald startet die mittlerweile siebte Förderrunde des Programms.

Erwartungen an Wissenschaftler klar kommunizieren

AvH-Mitarbeiterin Sheldon sieht aktuell noch Probleme im "Erwartungsmanagement", wie sie es nennt.  "Aus wichtigen, mitunter privilegierten wissenschaftlichen Stellungen im Heimatland herausgedrängt zu werden und sich plötzlich im Kontext eines Rettungsprogramms in Deutschland zu finden, ist ein tiefer Einschnitt in das Selbstverständnis einer Forscherin oder eines Forschers", erklärt sie. "Es ist wichtig, frühzeitig und offen über Erwartungen und mögliche Perspektiven zu sprechen."

So sieht es auch Johannes Müller aus Köln. "Es muss einfach für beide Seiten passen", sagt er. "Mit einer Beschäftigung aus rein humanitären Gründen ist keinem geholfen." Der Lehrstuhlinhaber müsse einen Gewinn durch die Mitarbeit des Wissenschaftlers haben und auch der Wissenschaftler habe nichts davon, wenn man ihm nur helfen möchte, ohne dass eine sinnvolle wissenschaftliche Kooperation möglich sei. "Dann ist es spätestens vorbei, wenn ein Stipendium ausläuft und der Wissenschaftler keine Chance auf eine Folgeanstellung hat", sagt Müller.

Diese Erfahrung habe auch er schon gemacht. Ein Stipendiat habe sich nicht in einzelne – für ihn neue – Themen eingearbeitet. So sei eine nachfolgende Anstellung über das Institut mit Mitteln der Hochschule nicht möglich gewesen. "Eine unangenehme Situation", sagt Müller. "Für den Wissenschaftler bedeutete das den Rückfall in eine existentielle Unsicherheit. Für den Gastgeber ist es eine enorme Belastung, diese bittere Entscheidung treffen zu müssen." Der Wissenschaftler wollte sich laut Angaben der Kölner Universität nicht für diesen Artikel äußern.

Situationen wie diese sind weniger bekannt und doch Alltag an den Universitäten. Beschäftigte aus den internationalen Büros versuchen Probleme dadurch zu vermeiden, dass sie im Vorfeld einer Einstellung möglichst ausführliche Gespräche mit den betreuenden Professorinnen und Professoren führen und sich viele Informationen über die Forschenden einholen. Belege über ihre Ausbildung hätten diese in der Regel dabei. Trotzdem sei es teils schwierig, zu beurteilen, ob ein Kandidat die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Forschungsaufenthalt an einem bestimmten Lehrstuhl oder Institut mitbringe.

"Oft sind die Standards in Ausbildung und Forschung in anderen Weltregionen nicht mit denen in Deutschland vergleichbar", sagt Müller. "Außerdem sind die wissenschaftlichen Publikationen des Kandidaten meist schwer zugänglich und womöglich in wenig gebräuchlichen Landessprachen verfasst und die Referenzen von Kollegen kaum nachprüfbar. Da ist ein gerüttelt Maß an Intuition gefragt, die eben auch trügen kann." Die Entscheidung, ob eine Zusammenarbeit passen könne, liege letztlich im Ermessen der betreuenden Professorinnen und Professoren. Wenn diese Zweifel hätten oder skeptisch seien, mache eine Förderung meistens keinen Sinn. "Es geht ja schließlich um den Wiedereinstieg in eine dauerhafte akademische Karriere, nicht um eine Notunterkunft. Aus der wollen die Betroffenen ja heraus."

"Dass ich Anan in mein Team geholt habe, war für mich ein Gewinn." Claus Kreß, Professor, Uni Köln

Als einer der ersten Professoren in Köln hat sich Professor Claus Kreß entschieden, eine gefährdete Wissenschaftlerin über die PSI in sein Team zu holen: Dr. Anan Haidar aus Syrien. Vorab habe er sich mehrere Stunden mit ihr zusammengesetzt. "Mir war wichtig, nicht nur mehr über ihren fachlichen Hintergrund zu erfahren, sondern Anan auch als Person kennenzulernen und ein Gefühl dafür zu bekommen, ob sie ins Team passt", sagt der Inhaber des Lehrstuhls für deutsches und internationales Strafrecht. "Mir ist bei jeder Einstellung wichtig, dass die Chemie im Team stimmt und eine vertraute Atmosphäre herrscht." Auch habe ihn interessiert, warum Haidar in ihrem Heimatland in Bedrängnis geraten sei und fliehen musste.  

"Dass ich Anan in mein Team geholt habe, war für mich ein Gewinn", sagt Kreß rückblickend. "Den Syrienkonflikt hatten wir am Lehrstuhl schon lange im Blick und haben mit Anan jetzt eine Forscherin an Bord, die einen direkten Einblick in die Geschehnisse hat." Mittlerweile sei die Strafrechtlerin fester Teil seiner "wissenschaftlichen Familie".

"Ich habe viel über den arabischen Raum dazugelernt." Lars Berster, Habilitand, Uni Köln

Auch das Institutsteam zeigt sich von der Zusammenarbeit begeistert. Durch die Arabisch-Kenntnisse von Haidar könnten sie jetzt mit Quellen arbeiten, die sie vorher nicht hätten auswerten können, sagt zum Beispiel Dr. Lars Berster. Auch mache ihm der Austausch bewusst, in welchen Punkten er doch einen "westlichen Blick" auf die Dinge gehabt habe. "Ich habe viel über den arabischen Raum dazugelernt, über die differenzierte Art, wie Religion gelebt wird, die Grenzen des Völkerrechts und unabhängig vom Fachlichen auch über den Sinn für Glück", sagt er. "Es fasziniert mich wie Anan, die Fürchterliches erlebt hat, so viel Freude in das Team bringt."

Über ein Seminar, in dem Haidar ein Schlusswort gehalten habe, sagt Lehrstuhlinhaber Kreß: "Ich kann mich noch erinnern, dass es ganz still im Raum wurde. Die Studierenden waren gespannt, ihre persönlichen Erfahrungen zu hören. Was sie vorher in der Theorie gelernt hatten, wurde jetzt greifbar."

Bedenken habe er vor ihrer Einstellung nicht gehabt, auch weil er Johannes Müller vom Internationalen Büro gut kenne. "Ich habe darauf vertraut, dass er ein gutes Gespür dafür hat, ob eine Zusammenarbeit passen könnte und war mir sicher, dass ich bei administrativen Fragen immer auf ihn zugehen kann und Unterstützung erhalte." Kreß spricht von Teamarbeit. "Ich bin für Anan Mentor und wissenschaftliche Ansprechperson. Johannes Müller und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des internationalen Büros kümmern sich um alle weiteren Fragen."

Wie mit seinen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, gehe Kreß auch mit Haidar immer wieder einmal Mittagessen. "Dabei kann ich mich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern intensiver austauschen, als das am Institut zwischendurch möglich ist", sagt er. "Ich habe zum Beispiel ein besseres Gefühl dafür gewonnen, wie stark Anan der Gedanke beschäftigt, dass sie in einer vergleichsweise privilegierten Situation ist, während Teile ihrer Familie und Bekannte noch in Syrien sind, und sie viel darüber nachdenkt, ob ihre Fortschritte ausreichten", sagt er.

Gefährdete Forscher: Folgeanstellung ungewiss

Nach einem Stipendium müssen die geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit allen anderen konkurrieren. Haidar hat inzwischen eine halbe Stelle an der Universität zu Köln. Wie vielen dieser Sprung nach dem Stipendium gelingt, ist unklar. Darüber hinaus ist ohne Kontakte für viele bereits eine Förderung über die PSI schwierig. Die Humboldt-Stiftung hat nach eigenen Angaben zu Anstellungen nach der Förderung über die PSI noch keine aussagekräftigen Zahlen. Die meisten Förderungen liefen noch. Erste Rückmeldungen deuteten auf einen Anteil von rund 50 Prozent hin.

"Natürlich versuchen wir möglichst vielen gefährdeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine berufliche Perspektive an unserer Universität zu bieten, aber wir dürfen auch die übrigen Wissenschaftler nicht aus dem Blick verlieren", argumentiert Müller. "Wir haben so viele Nachwuchswissenschaftler, die unsere Universität ohne eine Stelle verlassen und etwa in die freie Wirtschaft gehen. Natürlich haben diese es in der Regel nicht so schwer, wie geflüchtete Personen, aber es darf nicht zu Neid untereinander kommen", sagt Müller.

Durch eine möglichst gute Vernetzung mit Arbeitgebern in der Region wollten er und sein Team den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch Alternativen zur Arbeit an der Universität zeigen. Auch am Mentoring-Programm der Universität könnten sie teilnehmen. Darin engagierten sich nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch Hochschulabsolventen, die außerhalb der Universität tätig seien.

Auch die AvH will sich in der langfristigen Beschäftigung ehemaliger Geförderter einbringen. "Sobald die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit ihrer Forschungsarbeit losgelegt haben, müssen sie sich eigentlich schon damit beschäftigten, wie es nach dem Stipendium weitergeht", sagt Sheldon. Auf der Jahresveranstaltung der Stiftung wurde daher zum Beispiel nicht nur in Kleingruppen geprobt, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Forschungsantrag stellten, sondern auch, wie sie sich auf Stellen außerhalb der Wissenschaft bewerben könnten, innerhalb und außerhalb Deutschlands.