March for Science 2019
Hunderte demonstrieren für Freiheit der Wissenschaft

Beim "March for Science" haben erneut zahlreiche Menschen für die Wissenschaftsfreiheit demonstriert. Eine der größten Aktionen fand in Köln statt.

Von Katrin Schmermund 06.05.2019

"Ist das nicht Yogeshwar?", fragte eine Kölner Passantin als der Demonstrationszug des "March for Science" am Samstag an ihr vorbeizog. "Was heißt denn noch gleich 'Science'", murmelte ein Anderer mit Blick auf das Banner, das der Physiker und Wissenschaftsjournalist vor sich hertrug. Neben ihm das Organisationsteam sowie Vertreterinnen und Vertretern von "Scientists for Future" und "Fridays for Future".

Dahinter bahnten sich rund 400 Menschen ihren Weg durch die Kölner Innenstadt. In den Händen hielten viele Plakate: "Mehr Bildung. Weniger Populismus" oder "Time to react" prangte in bunten Lettern darauf. Zum dritten Mal demonstrierten sie damit für die Freiheit der Wissenschaft, und gegen die Verbreitung von "Fake News".

Auf der Kölner Domplatte sammelten sich die Demonstranten des "March for Science" für das Rheinland. Katrin Schmermund/Forschung & Lehre
Viele hatten selbstgebastelte Plakate dabei. Katrin Schmermund/Forschung & Lehre

Vorbei an den Wahlplakaten für die anstehende Europawahl ging es von der Domplatte aus in Richtung Rudolfplatz. "Hallo Köln. Hier kommt der March for Science 2019. Wir treten heute für die Freiheit der Wissenschaft ein", rief Organisationsmitglied Christian Sauder an menschengefüllten Plätzen durch das Megafon. Dann der Sprechchor: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Fakten klaut".

Teils zog die Menge jedoch auch stumm durch die Straßen, begleitet von den neugierigen und fragenden Blicken der Wochenendbummler. Darunter auch Daniel Mittmann, der vor einem Ladeneingang stand und auf einen Flyer des "March for Science" blickte. Von der Protestaktion hatte der Kölner Chirurg bislang noch nichts gehört.

"Natürlich finde ich es wichtig, für die Freiheit der Wissenschaft einzutreten", sagte er auf Nachfrage. "Mir war nur nicht bewusst, dass wir dafür in Deutschland auf die Straße gehen müssen." In seinem Beruf arbeite er täglich an der direkten Schnittschnelle zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischer Anwendung. "Ohne freie Forschung wäre der Fortschritt in der Medizin undenkbar", erklärte er.

Die eigene Message klarer kommunizieren

"Wir müssen uns noch viel besser vermarkten", glaubt Teilnehmerin Ana Maria Nunez de Arzt, die am Rande des Protestzugs möglichst vielen Leuten eine kurze Info über den "March for Science" in die Hand drückte. "Ich habe den Eindruck, dass viele nicht verstehen, was wir machen. Erkläre ich es ihnen, sind die meisten sofort aufgeschlossen und interessiert."

De Arzt war in diesem Jahr zum ersten Mal bei der Protestaktion dabei. "Es stehen wichtige Themen unserer Zukunft auf dem Spiel – das ist keine Science-Fiction", sagte sie. "Wenn zum Beispiel Krankheiten, die schon einmal verschwunden waren, nochmals zur Bedrohung werden, weil falsche Daten und Informationen über Impfungen die Runde machen, ohne dass die, die es besser wissen, dagegen mit robusten Beweisen und Argumenten angehen, haben wir als Wissenschaftler versagt."

Wissenschaftler Christian Sauder begleitete den Protestzug mit dem Megafon. Katrin Schmermund/Forschung & Lehre
Ana Maria Nunez de Arzt verteilte an die umstehenden Passanten Flyer des "March for Science". Katrin Schmermund/Forschung & Lehre

Über Wissenschaftskommunikation sprach bei der anschließenden Kundgebung auf dem Rudolfplatz auch Professorin Astrid Kiendler-Scharr vom Forschungszentrum Jülich. Die Klimaforscherin ist am Klimabericht des "Intergovernmental Panel on Climate Change” (IPCC) beteiligt und forderte gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern von "Scientists for Future" und "Fridays for Future", dass die Klimapolitik eine sachlich fundierte Diskussion brauche.

In der Gesellschaft nehme sie ein steigendes Interesse an Fragen zu Klima- und Luftqualität wahr, sagte sie. Das zentrale Problem liege oftmals in den unterschiedlichen Erwartungen an Informationen. "Zukünftige Klimaänderungen kommuniziert die Wissenschaft immer in Wahrscheinlichkeiten. Medien und Politik sind dagegen an konkreten Zahlen interessiert", erklärte Kiendler-Scharr. "Es ist uns noch nicht ausreichend gelungen, deutlich zu machen, dass eine Wahrscheinlichkeit nicht heißt, dass wir beliebige Aussagen machen, sondern alles andere wissenschaftlich einfach nicht vertretbar ist."

Wissenschaftsfreiheit als Pfeiler der Demokratie

Die Vizepräsidentin der TH Köln, Professorin Dr. Sylvia Heuchemer, verwies auf die Bedeutung der Wissenschaft für eine demokratische Gesellschaft. "Nur auf der Basis von wissenschaftlichen Fakten können wir demokratisch streiten und demokratische Entscheidungen treffen", sagte sie. Wissenschaft gebe keine einfachen Antworten. Das sei auch nicht ihre Aufgabe. Aber: "Wissenschaft zeigt uns jeden Tag, wie komplex und widersprüchlich und wunderschön unsere Welt ist", so Heuchemer.

"Aufklärung gibt es nicht zum Nulltarif." Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar

Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar plädierte für mehr Lobbyismus für die Wissenschaft. "Sagt euren Kolleginnen und Kollegen, dass sie mehr machen müssen – auch außerhalb des Labors", rief er dem Publikum zu, die meisten Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Es könne nicht sein, dass eine Feinstaubdebatte geführt werde, ohne dass sich Forschende lautstark einmischten und auf die wissenschaftlich fundierten Fakten hinwiesen.

Von der Politik forderte er Anreize für die Wissenschaftskommunikation, damit diejenigen, die sich dafür einsetzten keinen Nachteil gegenüber jenen hätten, die sich alleine auf Forschung und Lehre konzentrierten. "Aufklärung gibt es nicht zum Nulltarif", mahnte er. Die Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Isabel Pfeiffer-Poensgen, hatte dem Organisationsteam in diesem Jahr abgesagt.

Bevölkerung an 'Fake News' gewöhnt

Insgesamt beteiligen sich 13 Standorte in Deutschland am "March for Science 2019", deutlich weniger als 2017. Damals waren es noch 22. Auch die Teilnehmerzahlen sind tendenziell zurückgegangen.

"Ich habe den Eindruck, dass sich die Menschen mittlerweile schon an Meldungen über 'Fake News' gewöhnt haben", sagte Organisator Sauder gegenüber Forschung & Lehre. Darüber hinaus sei es schwierig, Leute zum Demonstrieren zu mobilisieren, ohne dass sie sich direkt betroffen fühlen – und in Deutschland gehe es der Wissenschaft vergleichsweise gut.

"Natürlich sehen einige auch die zunehmende Förderung über Drittmittel kritisch", sagte Sauder. Es gebe dabei ein 'Geschmäckle', weil Geldgeber direkt oder indirekt Einfluss auf die Forschung nehmen könnten. Mit Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit wie in Ungarn oder der Türkei sei das aber nicht zu vergleichen.

Die Gründung des "March for Science"

Der "March for Science" hat seinen Ursprung in den USA. 2017 protestierten damit Zahlreiche gegen die Politik des neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump. Er hatte Berichte über die auch menschengemachte Erderwärmung schlicht als Schwindel bezeichnet.

Deutlich machen, wie Wissenschaft funktioniert

Neben Protestmärschen und Kundgebungen wie in Köln, Frankfurt oder Bremen fanden und finden in den kommenden Tagen auch Podiumsdiskussionen in Kultureinrichtungen, Cafés oder Bars statt. An einer nahm auch die Initiatorin des "March for Science Germany", Dr. Tanja Gabriele Baudson, teil.

Am Samstagabend diskutierte die Hochbegabungsforscherin in Berlin mit dem Pädagogen, Religionskritiker und Autor Philipp Möller darüber, wie rational Politik sei. Rund 170 Menschen seien in das Berliner Demokratielabor Urania gekommen. "Es ist klar geworden, dass Evidenzbasierung ein großes Thema ist", sagte Baudson im Anschluss an die Veranstaltung.

Publikumsteilnehmer hätten beklagt, dass sie sich in öffentlichen Debatten oftmals keine Meinung darüber verschaffen könnten, welche Informationen richtig seien, sagte sie. Das verunsichere. "Wir müssen klarer machen, wie Wissenschaft funktioniert und warum sie geeignet ist, Ansätze für die Lösung der großen Probleme unserer Zeit zu liefern", glaubt Baudson. So könne das Vertrauen in die Wissenschaft weiter gestärkt werden. Voraussetzung sei aber, dass sich die Wissenschaft in ihrem Erkenntnisstreben nicht vorführen ließe, in dem sie wissenschaftlich nicht fundierte Meinungen im Raum stehen lasse.

Es müsse mehr dafür getan werden, dass die Politik auf das Urteil der jeweils am besten geeigneten Expertinnen und Experten zurückgreife. Diese müssten zahlenmäßig den aktuellen Forschungsstand repräsentieren. "Es liegt im Wesen der wissenschaftlichen Methode, Argumente gegeneinander abzuwägen", erklärte Baudson. "Wenn randständige Einzelbefunde zu stark gewichtet werden, dürfte das nicht zu den besten politischen Entscheidungen führen."

In den kommenden Wochen will sie sich mit dem Organisationsteam des "March for Science" in den USA über die zukünftige Planung austauschen. "Es gibt so viele – insbesondere junge – Forscherinnen und Forscher, die gerne etwas machen würden, ihre Arbeit in die Gesellschaft tragen und mitreden wollen", sagte sie. "Dafür müssen wir gemeinsam die notwendigen Voraussetzungen schaffen."


Eindrücke vom "March for Science" in den USA