Blick auf einen Waldboden, aus dem nur noch abgesägte Stümpfe ragen, Symbolbild für "Waldsterben".
picture alliance / ZB | Matthias Tödt

Klimabericht "Climate Change 2022"
Weltklimarat warnt: Auch Anpassungen haben Grenzen

Die Folgen des Klimawandels sind bereits sichtbar. Die Zeit drängt und verlangt tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen.

28.02.2022

Der Klimawandel bedroht das Wohl der Menschheit und die Gesundheit des Planeten. Jegliche Verzögerung eines gemeinsamem, globalen Handelns könnte dafür sorgen, dass das Zeitfenster, innerhalb dessen eine lebenswerte Zukunft bewahrt werden kann, sich schließt. Dies berichteten die Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, die den neuen Bericht des Weltklimarats der Vereinten Nationen – dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) verfasst hat, bei seiner Präsentation am Montag in Genf.

Es komme bereits zu gefährlichen Veränderungen der Natur und Milliarden Menschen litten immer stärker darunter. "Die Auswirkungen, die wir heute sehen, treten viel schneller auf und sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet", berichtete die IPCC-Arbeitsgruppe zu den Folgen des Klimawandels. Der Hunger nehme zu und das Wasser werde knapp. Das erhöhe Armut und Ungleichheit und werde mehr Menschen, die in ihrer Heimat kein Auskommen mehr haben, zur Migration zwingen. Selbst wenn es gelingt, die Erwärmung auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, muss die Menschheit demnach schon in den nächsten 20 Jahren erhebliche Auswirkungen verkraften. Die Regierungen täten noch lange nicht genug, um die schlimmsten Gefahren für Leib und Leben abzuwenden.

Kriegerische Konflikte werfen Klimaschutzbemühungen zurück

"Wir haben ein schrumpfendes Zeitfenster", warnte der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Professor Hans-Otto Pörtner. Der Bundesregierung gibt er für ihre Klimapolitik teils schlechte Noten: "Für die Ambitionen kriegt sie eine Drei und für die Umsetzung eine Vier minus bisher", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Folgen sind schon jetzt in allen Teilen der Welt sichtbar: Es gibt verheerende Waldbrände wie im Mittelmeerraum und im Westen der USA, klimabedingtes Waldsterben auch in Deutschland, Überschwemmungen wie in der Region Ahr und Erft im Juli 2021, Hitzewellen wie in Sibirien.

30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche müsse für Naturräume zur Verfügung gehalten werden. Diese Räume könnten durchaus genutzt werden, aber nur in einem nachhaltigen Miteinander von Mensch und Natur. "Dieses Denken ist in der Politik noch nicht so richtig angekommen", sagte Pörtner vor Journalisten.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine werfe die Klimaschutzbemühungen zurück. "Dieser Konflikt fühlt sich an wie aus der Zeit gefallen, wenn man sich überlegt, welche existenziellen Nöte die Menschheit eigentlich hat im Kontext der Auswirkungen des Klimawandels und des Biodiversitätsverlustes." Die Kosten zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels und für Anpassungsmaßnahmen seien unterschätzt worden.

Noch nähmen Ökosysteme mehr Treibhausgase auf als sie selbst verursachten, heißt es in den IPCC-Dokumenten. Das ändere sich aber, wenn Urwald abgeholzt oder Torfmoorgebiete trockengelegt werden oder der arktische Permafrost schmilzt. "Dieser und andere Trends können noch umgekehrt werden, wenn Ökosysteme instandgesetzt, wieder aufgebaut und gestärkt und nachhaltig bewirtschaftet werden", schreiben die Wissenschaftler. "Gesunde Ökosysteme und eine reiche Artenvielfalt sind die Grundlage für das Überleben der Menschheit."

Anpassungen an den Klimawandel

Der Bericht blickt verstärkt auf die Anpassungen, mit denen Natur und Menschheit Klimaänderungen antworten. Hitze und Extremwetter trieben Pflanzen und Tiere an Land und in den Ozeanen Richtung Pole, in tiefere Gewässer oder höhere Lagen. Meerespflanzen und -tiere bewegten sich wegen der steigenden Wassertemperaturen im Durchschnitt um 59 Kilometer pro Jahrzehnt Richtung Nord- und Südpol. Viele Arten erreichten bei der Anpassung an den Klimawandel Grenzen und seien vom Aussterben bedroht. Bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau seien 18 Prozent der heutigen an Land befindlichen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, bei vier Grad 50 Prozent. Viele natürliche Anpassungen gelingen laut IPCC-Arbeitsgruppe bei einer Erwärmung von mehr als 1,5 Grad nicht mehr.

"Der Zeitpunkt wichtiger biologischer Ereignisse wie Fortpflanzung oder Blüte verändert sich", berichten die Wissenschaftler. Beispiel sei die Verfügbarkeit von Insekten zur Zeit der Vogelbrut. Bis Ende des Jahrzehnts könnten Fischer in den tropischen Regionen Afrikas bis zu 41 Prozent weniger fangen. In Afrika sei Fisch für ein Drittel der Menschen die Hauptproteinquelle. Wenn die Erwärmung 2,1 Grad erreiche, dürften in Afrika bis 2050 zusätzlich 1,4 Millionen Kinder wegen Unterernährung in ihrer Entwicklung für immer zurückbleiben.

Im menschlichen Umgang mit Klimaveränderungen stellt der IPCC-Bericht über alle Sektoren und Regionen hinweg einen Fortschritt bei der Planung und Umsetzung von Anpassungen fest. Als Beispiele werden etwa die Agroforstwirtschaft genannt oder das Wassermanagement. Es seien allerdings weitere, fundamentale gesellschaftliche Veränderungen nötig. Die Energie müsse sauber, die Wegwerfmentalität beseitigt werden. Städte und Landwirtschaft müssten nachhaltig und die Mobilität verändert werden: mehr Rad- statt Autofahren, mehr Zugfahren statt Fliegen. Wichtig sei, die gesamte Bevölkerung mitzunehmen, mahnte die Klimaforscherin und Mitautorin Professorin Daniela Schmidt: "Wenn wir wunderbare grüne Städte haben, können sich Leute, die da jetzt leben, das vielleicht dann nicht mehr leisten", sagte sie. Schon jetzt sei der Fortschritt, seien Maßnahmen gegen den Klimawandel und für Anpassung global nicht gleichmäßig verteilt: Besonders einkommensschwache Gesellschaften blieben zurück.

Die globale Erwärmung wirke mit anderen Herausforderungen zusammen, die die Menschheit und ihr Wohlergehen sowie die Ökosysteme und ihre Biodiversität beeinflussen, so der Weltklimarat. Er zählt die Zerstörung von Lebensräumen auf, wachsende Weltbevölkerung, die Migration der Menschen in Städte, zu hohen Konsum, wachsende Armut und Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Überfischung und jüngst die Coronavirus-Pandemie. Krankheitsrisiken nähmen weiter zu, aber auch die Möglichkeiten der Natur und der Menschen sich an den Klimawandel anzupassen werde durch das Zusammenwirken der Faktoren reduziert.

Der Kontext des aktuellen Berichts

Der aktuelle Bericht "Climate Change 2022" ist der zweite von insgesamt drei Teilen des Sechsten IPCC-Sachstandsberichts (AR6) des Weltklimarats. Die Arbeitsgruppe II hat darin den aktuellen Wissensstand der internationalen Klimaforschung zu den Folgen des Klimawandels, Anpassung und Verwundbarkeit erarbeitet. 270 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der 67 Ländern, darunter 15 aus Deutschland, haben an dem Bericht mitgearbeitet und über 34.000 klimawissenschaftliche Publikationen ausgewertet. Die Regierungen der 195 Mitgliedsstaaten des IPCC haben die im Bericht enthaltenen Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger nun zwei Wochen lang mit den Forschenden diskutiert und darum gerungen, wie sie was darstellen, bevor der Bericht am Montag veröffentlicht werden konnte.

Der dritte Teilbericht soll Anfang April 2022 verabschiedet werden und sich auf Möglichkeiten der Minderung des Klimawandels konzentrieren. Der erste, im August 2021 veröffentlichte Teilbericht hatte sich mit naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels beschäftigt und kam zu dem Schluss, dass der Wert von 1,5 Grad – auf den die Erwärmung nach internationaler Vereinbarung möglichst beschränkt werden soll – schon in den nächsten 20 Jahren erreicht oder überschritten werden dürfte.

Seit dem letzten IPCC-Bericht 2014 und dem daraus resultierenden Pariser Klimaabkommen (2015) sind vom Klimarat bereits drei Zwischenberichte zu Klimafolgen der 1,5 Grad-Erwärmung (2018) für Land und Wasser (je 2019) erschienen. Der erste IPCC-Bericht erschien 1990 und diente als Basis für die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen. Seither warnt der Klimarat vor den verheerenden Folgen der Erderwärmung, seine Beurteilungen dienen weltweit als wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungen zum Klimaschutz, ohne selbst politische Handlungsempfehlungen zu geben.

dpa/cpy