Fassade der Berliner Alice Salomon Hochschule
ASH Berlin

Sexismus-Debatte
Neues Gedicht für Fassade der Alice Salomon Hochschule

Ein Gedicht von Eugen Gomringer an einer Berliner Hochschule hatte für öffentliche Diskussionen gesorgt. Jetzt steht die Neugestaltung an.

30.08.2018

Die Neugestaltung einer Fassade der Alice Salomon Hochschule (ASH) ist beschlossene Sache. Künftig soll dort ein Gedicht von der Lyrikerin Barbara Köhler abgebildet werden. Es löst ein umstrittenes Gedicht von Eugen Gomringer ab. Im September soll die Fassade mit Gedicht erneuert werden, teilte die Hochschule mit.

Sie beginnt mit den Zeilen "SIE BEWUNDERN SIE BEZWEIFELN SIE ENTSCHEIDEN" und endet mit den Wünschen "BON DIA" und "GOOD LUCK". "Ich habe den Vorschlag gemacht, [...] um eine Debatte, die nach meinem Dafürhalten gründlich schieflief, womöglich in eine andere Richtung zu bewegen, sie vielleicht ein bisschen ad absurdum zu führen", sagte die Lyrikerin gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit".

Das achtzeilige Gedicht habe Köhler extra für die ASH geschrieben. Auf einer Fotomontage der ASH schimmern hinter ihren Worten einzelne Buchstaben von Gomringers Gedicht hindurch. "Das neue Gedicht ist ein Teil dieser Geschichte, es macht nicht Schluss damit, nur eine weitere Schicht: Aus dem Gedicht davor ist ein Gedicht dahinter geworden", sagte Köhler. "Durch die Schrift lässt sich in die Zeit sehen: Das Aktuelle erinnert das Vorherige, nimmt es auf, löscht es nicht aus."

Nach einer langen Debatte über Sexismus und Kunstfreiheit hatte sich die ASH entschieden, die Fassade künftig alle fünf Jahre neu zu gestalten – und Gedichte von Trägern des Alice Salomon Poetik Preises zu präsentieren.

Das Gedicht "avenidas" von Eugen Gomringer werde weiterhin auf einer Tafel am Sockel der Wand zu sehen sein. Ergänzt wird es durch einen Kommentar des Schriftstellers und einen Hinweis auf eine Auswahl von Beiträgen zur Debatte.

kas

1 Kommentar

  • Ulrich Burkhardt Das Gedicht von Barbara Köhler ist ein großartiger Wurf, mit allen nötigen Komponenten, die Vorgeschichte einzubringen: den Wandel der Sichtweisen, das Änderungsverlangen und das Resultat. Allein die ersten beiden Zeilen arbeiten erfreulich mehrdeutig den Ablauf dieses Umwandlungsprozesses auf. Aus Bewunderung kann Zweifel werden, aus Zweifel Umdenken, aus Umdenken im Idealfall ein Gespräch im Sinne Hans-Georg Gadamers, und am Ende kann vielleicht ein Kompromiss entstehen, mit dem alle leben können. Stattdessen bekommen wir zu häufig die Entscheidung nur einer Seite.
    Ebenso beeindruckend, dass nicht die beliebte damnatio memoriae durchgesetzt wurde, sondern eine Über-Schreibung in Form eines Palimpsests. Der weitere Text hält die Verwirrung und Mehrdeutigkeit im Gleichgewicht mit Aussagen, die durch bewusste Auslassungen mit jedem erneuten Lesen anders interpretiert werden können, was dem Lesenden allerdings abverlangt, mitzudenken.
    Die Sicht auf öffentliche Dinge wandelt sich, ein Bismarck- oder Marx-Denkmal wird heute anders angesehen als um 1900, und eine Lüderitzstraße erst recht. Das Aktuelle erinnert [an] das Vorherige, nimmt es auf, [aber] löscht es nicht aus, da stimme ich Köhler absolut zu. Wenn sich jetzt noch beide Seiten unter der Gedichtfassade einfinden und miteinander ins Gespräch kommen könnten, wäre auch das ferne Ziel erreicht. Leider gibt es mittlerweile drei Seiten; die auf den Außenpositionen haben jeweils ihre Wahrheit gepachtet und reden überhaupt nicht mehr miteinander, und die in der Mitte haben niemand mehr zum Reden. Und damit sind wir beim Schlussteil des Gedichtes: Viel Glück werden wir in Zukunft brauchen.
    Als einzige Ergänzung läse ich gerne auf der erläuternden Tafel nicht nur Kommentar und Namen von Eugen Gomringer, sondern auch die Namen und Antragstexte jener AStA-Aktivisten, die mit allen Mitteln die Änderung durchdrücken wollten. Denn auch die sind Teil der Geschichte und sollten sich nicht hinter ihren Taten verbergen dürfen.