Reform des WissZeitVG
Wissenschaft wartet auf Klarheit zu Befristungs-Vorgaben
Die Universitäten sind in das Wintersemester 2023/2024 gestartet. Die Bundesregierung hatte angekündigt, einen Vorschlag zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vorzulegen. Seitdem wartet die wissenschaftliche Community auf Ergebnisse. Laut dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Jens Brandenburg (FDP), befindet sich der Entwurf derzeit in der Ressortabstimmung, wie es im Newsletter "Research Table" vom 17. Oktober heißt. Auf Nachfrage von "Forschung & Lehre" teilte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit, dass derzeit nichts zum zeitlichen Ablauf der Reform gesagt werden könne – weder mit Blick auf anstehende Diskussionen noch zu erwartende Termine für Entscheidungen.
Es bleibt also weiterhin unklar, wie es mit der Befristungsdauer von Anstellungsverträgen weitergeht. Getragen wird der Entwurf derzeit nur von der FDP, unter deren Leitung das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) steht. Grüne und SPD haben sich vom Gesetzesentwurf des BMBF distanziert. "Forschung & Lehre" hat nachgefragt, mit welchen Positionen die Mitglieder des Bildungsausschusses in die Abstimmungen gehen.
SPD
Oliver Kaczmarek (SPD) sagte gegenüber "Forschung & Lehre": "Mit der Reform des WissZeitVG wollen wir dafür sorgen, dass Beschäftigte unter fairen Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft arbeiten können. Wir haben in den Verhandlungen bereits wichtige Punkte erreicht. Unter anderem wollen wir erstmals Mindestvertragslaufzeiten einführen." Das WissZeitVG sehe bisher keine solche Regelung vor. Die SPD breche außerdem die Tarifsperre auf und wolle dadurch mehr Gestaltungsraum für die Tarifparteien ermöglichen. Die Regelung der Post-Doc-Phase sei der SPD-Bundestagsfraktion ein "besonderes Anliegen". Die vom BMBF vorgeschlagene Mindestvertragslaufzeiten für Postdocs von zwei Jahren will die Partei im Gesetzgebungsverfahren erneut zur Diskussion stellen. Konkreter wurde ein Sprecher der SPD auf Nachfrage von "Forschung & Lehre" nicht.
Kaczmarek unterstützt einen kürzlichen Beschluss des Haushaltsausschusses. Darin wird das BMBF aufgefordert, ein Konzept für ein befristetes Bund-Länder-Programm zum Ausbau wissenschaftlicher Dauerstellen neben der Professur bis September 2024 vorzulegen. "Wir brauchen Entfristungen und Verlässlichkeit für wissenschaftliche Karrieren", so Kaczmarek. Ziel der SPD beim WissZeitVG sei es, die langfristige Entscheidung über den Verbleib im Wissenschaftssystem vorzuziehen und früher Anschlüsse in eine entfristete Weiterbeschäftigung zu schaffen.
CDU/CSU
Der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek, betont: "Es braucht jetzt von der Regierungskoalition endlich Klarheit darüber, ob und wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novelliert werden soll. Die durch den öffentlichen Streit in der Koalition verursachte Planungsunsicherheit in Wissenschaft und Forschung sollte schnellstmöglich beendet werden."
Die CDU/CSU wolle über das WissZeitVG hinaus eine "Mittelbaustrategie" formen, die zu "mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit führt und gleichzeitig Anreize für eine Modernisierung und Professionalisierung von Strukturen setzt." Damit müsse auch "die Verankerung klarer Standards der Personalentwicklung und -begleitung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen" einhergehen.
Grüne
Nina Stahr, Sprecherin für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung der Grünen, plädiert für "mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit" in wissenschaftlichen Berufen. Um dieses Ziel zu erreichen, habe sich die Ampel im Koalitionsvertrag auf ein Maßnahmenpaket verständigt, von dem beispielsweise die Fortsetzung des Professorinnenprogramms bereits umgesetzt worden sei. Die Reform des WissZeitVG und die Schaffung eines Bund-Länder-Programms für mehr Dauerstellen neben der Professur stehe noch aus. Diese solle man "nicht getrennt voneinander sehen".
Stahr zeigt sich "zuversichtlich, dass bald ein Kabinettsbeschluss erfolgt und die Beratungen in Bundesrat und Bundestag beginnen können. Damit wir am Ende ein stimmiges Ergebnis haben, müssen wir insbesondere noch über die Postdoc-Phase, den Gestaltungsspielraum der Tarifpartner und die Mindestvertragslaufzeiten sprechen". Konkrete Angaben zu ihren Forderungen machten die Grünen mit Verweis auf die laufenden Verhandlungen nicht.
FDP
Der Sprecher für Forschung, Technologie und Innovation der FDP-Fraktion, Professor Stephan Seiter, bemängelt, dass die bisherige Befristungspraxis im aktuellen System, zu "schwer planbaren Karrierewegen" führe. Ziel der Koalition sei "ein arbeitnehmerfreundlicheres Verhältnis zwischen Leistungsanreizen, Qualifizierungsmöglichkeit und Planbarkeit". Durch die Einführung von Mindestvertragslaufzeiten in der Promotion und Post-Doc-Phase und durch verbindliche Beschäftigungsperspektiven würde die Planbarkeit für angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deutlich verbessert.
Die Chance auf eine Qualifizierung nach der Promotion für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müsse bei einer Novellierung des WissZeitVG gleichbleiben. Es wäre fatal, die Chance auf eine Qualifizierung direkt an eine Dauerstelle zu knüpfen, "weil wir dann mit einem erheblichen Rückgang von Post-Doc-Stellen rechnen müssten". Das deutsche Wissenschaftssystem biete auch "für Karriereziele jenseits des akademischen Betriebs den notwendigen Raum für Qualifikation in der Forschung". Diese Offenheit sieht Seiter als "klaren Wettbewerbsvorteil für unser Wissenschaftssystem", der die Zuwanderung "exzellenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler" begünstige.
Linke
Nicole Gohlke, Sprecherin für Bildung und Wissenschaft sowie stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke, bezeichnet die Zustände im Wissenschaftsbetrieb als "unhaltbar". Es müsse sich "grundlegend etwas ändern". "Wir wissen, dass eine Promotion durchschnittlich 5,7 Jahre braucht, ermöglichen aber Befristungen für wenige Monate", so Gohlke. Postdoktorandinnen und -doktoranden schulterten zwar "den Löwenanteil in Lehre und Forschung", ihre wissenschaftliche Selbstständigkeit werde aber weiterhin in Abrede gestellt.
Es brauche "einen klaren Qualifizierungsbegriff", der auf die Promotion zu beschränken sei. Die Linke fordert daher Mindestvertragslaufzeiten statt Höchstbefristungen. "Genauso fordern wir, dass mindestens zwei Drittel der Arbeitszeit für die Promotion zur Verfügung steht." Für den akademischen Mittelbau müssten Dauerstellen geschaffen werden - ohne sie sei insbesondere die Hochschullehre unmöglich.
Um dauerhaft bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, müsse zusätzlich auch die Mitbestimmung der Beschäftigten gestärkt werden. "Bei der Debatte dürfen die weiteren Beschäftigen nicht vergessen werden. Die Übernahme von grundständigen und auch verwaltungsorganisatorischen Aufgaben verlängert sich schrittweise in die Drittmittelbeschäftigung und die studentische Arbeit. Drittmittelbeschäftigte und studentisch Beschäftigte seien "wichtige Eckpfeiler des Wissenschaftssystems". Sie müssen im Mindesten bei den familien-, gleichstellungs- und inklusionspolitischen Regelungen mit den haushaltsfinanzierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gleichgestellt werden", so Gohlke. In Sachen Reform sei "kein Einigungspotenzial bei der Koalition zu erkennen".
Die geplante Reform des WissZeitVG geht auf das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel zurück, die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern und in diesem Zusammenhang auch die Befristungsregelungen zu reformieren. Das WissZeitVG regelt seit dem Jahr 2007, wie Arbeitsverträge für das wissenschaftliche und künstlerische Personal an staatlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zeitlich befristet werden können, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und wo die Grenzen der Befristung liegen.
Bereits Ende Juni 2022 hatte das BMBF mit einer Konferenz unter dem Titel "Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft – Auf dem Weg zu einer Reform des WissZeitVG" einen Stakeholderprozess mit den Akteuren der Wissenschaftsszene (darunter auch der Deutsche Hochschulverband) initiirt, "um deren Expertise und Perspektiven in die Weiterentwicklung des WissZeitVG einfließen zu lassen", wie es seitens des BMBF hieß. Ein erster Entwurf stieß auf heftige Kritik und wurde zurückgezogen. Im Juni stellte das Ministerium einen überarbeiteten Entwurf vor, der ebenfalls kontrovers diskutiert wurde. Die Wissenschaft wartet seitdem auf Klarheit.
Die AfD hat bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels nicht auf eine Anfrage reagiert.
pj/kas