Open Science
So weit ist die Open-Access-Transformation
Open Access (OA) sind Forschungsveröffentlichungen dann, wenn jede und jeder kostenlos auf sie zugreifen kann. Nach wie vor befinden sich aber viele Journals hinter sogenannten Bezahlschranken und müssen von Bibliotheken, Instituten oder Individuen abonniert werden. Auch Fachliteratur muss erworben werden, entweder per elektronischem Zugang oder als gedrucktes Buch, das in einem Regal der Forschungsbibliotheken steht.
Dieses Veröffentlichungsmodell benachteiligt Forschende aus ärmeren Ländern und an weniger gut ausgestatteten Institutionen. Auch für eine interessierte Öffentlichkeit sind Forschungsergebnisse so nicht zugänglich – obwohl sie die Forschung mitfinanziert.
Das soll sich durch OA ändern. "Die Open-Access-Bewegung ist durch idealistische Motive angetrieben", erläutert Professor Dr. Sascha Friesike von der Universität der Freien Künste in Berlin. Sie soll allen den freien Zugriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse ermöglichen.
Vor 20 Jahren wurde die "Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen" veröffentlicht, die OA für alle Wissenschaftsfelder forderte. Inzwischen wird diese Forderung auf höchster wissenschaftspolitischer Ebene mitgetragen. Im Mai dieses Jahres beschloss der Rat der Europäischen Union, dass die Mitgliedstaaten OA vorantreiben sollen – und zwar nicht nur in Zusammenarbeit mit kommerziellen Verlagen, sondern vor allen Dingen auf öffentlich-finanzierten Plattformen.
"Nun heißt es nicht mehr Open Access, egal wie", so Dr. Sarah Dellmann von der Technische Informationsbibliothek (TIB) der Leibniz-Gemeinschaft, die entscheidend an der Schaffung von OA-Strukturen in Deutschland beteiligt ist. "Die EU regt stattdessen an, nicht-kommerzielle Plattformen für OA-Publikationen zu schaffen und zu unterstützen."
Gleichzeitig verhandeln Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit den großen Wissenschaftsverlagen OA-Vereinbarungen aus, um es Forschenden zu ermöglichen, Artikel in wichtigen kommerziellen Journals frei zugänglich zu veröffentlichen.
Erst kürzlich schloss das sogenannte DEAL-Konsortium, das alle wichtigen deutschsprachigen Forschungseinrichtungen unter einem Dach vereint, eine solche Vereinbarung mit dem globalen Publisher Elsevier ab. Gegen Gebühren zwischen rund 2.500 und 6.450 Euro können Forschende nun in den Journals von Elsevier OA veröffentlichen. 2.500 kostet es in den sogenannten "Core Hybrid Journals", 6.500 in reputationsstarken Zeitschriften wie "The Lancet".
"In den drei großen globalen Wissenschaftsverlagen – Wiley, Springer Nature und Elsevier – erscheint ein Großteil des deutschen Forschungsoutputs", erläutert Dr. Lisa Kressin von der Leibniz-Gemeinschaft. Etablierte Wissenschaftsverlage bringen außerdem eine große Expertise im Bereich Marketing und Vertrieb mit.
Kommerzielle Angebote einerseits, nicht-kommerzielle Plattformen andererseits – unkompliziert ist der Weg zu OA nicht, da eine Vielzahl von wissenschaftspolitischen Ebenen an der Transformation beteiligt ist. Friesike nennt als entscheidende Ebenen erstens politische Akteurinnen und Akteure auf europäischer und nationaler Ebene, zweitens die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie drittens die einzelnen Forschenden und ihre Fachcommunities.
Entscheidende Akteurinnen und Akteure bei Open Access
Wofür und wie Forschungsförderung vergeben wird, ist eine politische Entscheidung. Die Institutionen, die in Deutschland und Europa maßgeblich Forschungsprojekte finanzieren, zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder die Europäische Union (EU), geben durch ihre Förderrichtlinien häufig vor, dass Publikationen frei zugänglich veröffentlicht werden müssen. So sollen die Ergebnisse dieser mit öffentlichem Geld geförderten Forschung auch der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Auch die Schweiz und die US-Regierung machen OA inzwischen zu einer Bedingung für Forschungsförderung. So erzeugen sie politische Anreize, frei zugänglich zu veröffentlichen.
Auf einer weiteren Ebene bewegen sich die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die häufig zuständig sind für die tatsächliche Umsetzung von OA-Strategien. Sie haben an ihren Institutionen Stellen für die Förderung von OA-Publikationen geschaffen und beraten Forschende und Mitarbeitende. Hier treten auch die Bibliotheken auf, die OA vorantreiben können, indem sie sich zum Beispiel aus ihrem Budget an der dauerhaften Finanzierung von öffentlichen OA-Plattformen beteiligen, die kommerziellen Verlagen Konkurrenz machen können, erläutert Dellmann.
Nicht vergessen werden dürfen über die institutionellen Erwägungen die einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, betont Friesike. Deren individueller Forschungs- und Karriereerfolg ist häufig von ihrem Publikationserfolg in Journals und Verlagen mit hohem Reputationsgewinn abhängig.
Seit letztem Jahr verständigt sich ein Zusammenschluss zahlreicher wichtiger Forschungseinrichtungen und Forschungsförderer aus Europa – und einzelner weiterer Partner aus der ganzen Welt – unter anderem zu neuen Kriterien für die Bewertung von Forschungsleistungen auch über Zeitschriftenartikel hinaus. Die "Coalition for Advancing Research Assessment" (COARA) denkt dabei zum Beispiel an exzellente Lehre, umfassende Betreuungsleistungen oder die Entwicklung und Bereitstellung von Forschungsinfrastrukturen. Kressin sieht in diesem Prozess großes Potenzial für Veränderung. Noch ist der Reputationsgewinn durch Veröffentlichungen in kommerziellen Journals oder Verlagen aber häufig entscheidend für das eigene wissenschaftliche Fortkommen.
Woran hakt es bei Open Access?
Friesike betont, dass viele individuelle Forschende gerne OA veröffentlichen würden, um zu einer Verbesserung des gesamten wissenschaftlichen Systems beizutragen und gerechtere Bedingungen für Forschende weltweit zu schaffen. Allerdings stehen diesen Idealvorstellungen die realen Karriereinteressen von Forschenden gegenüber.
Wenn zum Beispiel die wichtigsten Journals eines Feldes nicht OA veröffentlichen oder dafür teure Gebühren verlangen, muss eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler sich entscheiden: Veröffentliche ich OA und erleichtere so den weltweiten Zugang zu meinen Erkenntnissen oder entscheide ich mich für das wichtigste Journal in meinem Feld, das mir am meisten Reputation in meiner Forschungscommunity verschafft – und den größeren Vorteil bei späteren Bewerbungsgesprächen und Berufungsverhandlungen?
Friesike betrachtet die große Bedeutung von Reputation in der Wissenschaft inzwischen als zentrales Hindernis für OA. "Es wurde immer angenommen, dass die Schaffung vernünftiger OA-Journals ausreicht, um die wissenschaftlichen Gemeinschaften zu überzeugen, lieber dort zu veröffentlichen." Wenn also die technische Infrastruktur erst einmal da sei, so das Argument, würden die Forschenden schon kommen. "Tatsächlich halten sich jedoch gerade Journale mit einer großen Reputation recht hartnäckig. Nur wenige von ihnen wurden zu reinen Open Access Journalen umgewandelt."
Die Wissenschaftsverlage hätten erkannt, dass Forschende im Grunde gezwungen sind, in "wichtigen" Zeitschriften zu publizieren, um Anerkennung und Wertschätzung zu erhalten. Deshalb können Verlage dort sowohl teure Abo-Kosten als auch teure Gebühren für OA-Publikationen verlangen.
"Durch diese Entwicklungen entsteht ein System von Zwängen, das insbesondere für Institutionen mit begrenzten Ressourcen äußerst problematisch ist", warnt Friesike. "Besser finanzierte Institutionen haben die Möglichkeit, ihre Sichtbarkeit weiter zu erhöhen, indem sie in den wichtigsten Journals auch noch Open Access veröffentlichen, während weniger gut ausgestattete Institutionen oder Forschende Gefahr laufen noch unsichtbarer zu werden."
Wie geht es besser?
In manchen naturwissenschaftlichen Disziplinen hat sich ein Modell etabliert, bei dem Forschende Preprints veröffentlichen, also ihre Ergebnisse auf frei zugänglichen Plattformen zur Verfügung stellen, bevor sie bei einem Journal ein Peer Review durchlaufen. Die Veröffentlichung mit Reputationsgewinn in wichtigen Journals folgt in einem zweiten Schritt. Solche Preprints könnten eine erste Lösung sein, bringen jedoch auch Probleme mit sich, da sie kein Peer-Review durchlaufen haben und so keine Qualitätsicherung stattgefunden hat, bevor sie veröffentlicht wurden.
Außerdem gibt Friesike zu bedenken, dass die Veröffentlichung von Preprints in den Geistes- und Sozialwissenschaften oft keine sinnvolle Lösung ist, da sich Text und Ergebnisse während des Peer-Reviews deutlich mehr verändern als das beispielsweise in den Naturwissenschaft der Fall ist. Deshalb verlangen die verschiedenen Fächerkulturen nach verschiedenen OA-Strategien.
Was kommt als Nächstes?
Durch den Ratsbeschluss im Mai hat die EU nun vorgelegt. Sie strebt OA auf öffentlich-finanzierten Plattformen an. In diesem Zusammenhang weist Dellmann auf eine bedeutsame Entwicklung auf europäischer Ebene hin: Die EU hat eine Plattform namens Open Research Europe geschaffen, auf der alle von ihr geförderten Forschungsergebnisse OA veröffentlicht werden. Zurzeit laufen laut Dellmann Gespräche zwischen der EU und wichtigen wissenschaftlichen Akteurinnen und Akteuren in den Mitgliedstaaten mit dem Ziel, diese Plattform möglicherweise zu öffnen. Dann könnte dort auch Forschung veröffentlicht werden, die keine EU-Gelder erhalten hat. Solch eine Plattform müsste breit aufgestellt und gut finanziert werden, so Dellmann und Kressin, um verschiedenen Fächerkulturen gerecht zu werden und mit den Verlagen auch im Bereich Marketing und Vertrieb gleichzuziehen. Aber: "Die EU hat mit der Publikationsplattform Open Research Europe (ORE) bereits etwas in der Pipeline", so Kressin.
Auch auf nationaler, institutioneller und individueller Ebene kann OA weiter vorangebracht werden. Friesike wünscht sich, dass Forschungsförderungsorganisationen weiterhin an OA-Publikationen als Anforderung für die Vergabe von Forschungsgeldern festhalten.
Institutionen wie Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssten dabei aber sicherstellen, dass ihre Open-Access-Strategien die Bedürfnisse und Kulturen einzelner Fachbereiche berücksichtigen. Stehen an Hochschulen genügend Mittel zur Verfügung, um Gebühren für OA-Veröffentlichungen in bedeutenden Journals zu decken, und zwar auch für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler? Gleichzeitig müssen sie mit kommerziellen Verlagen die besten Konditionen aushandeln, um sicherzustellen, dass diese Gebühren so niedrig wie möglich sind.
Auf individueller Ebene sollten Forschende verstehen, wie OA ihnen persönlich nutzen kann, schlägt Friesike vor. Manche Forschungsergebnisse können als OA-Publikationen ein viel breiteres Publikum erreichen als dies hinter einer Bezahlschranke je der Fall sein könnte. Friesike verweist auf ein Buch, das er mitherausgegeben hat – frei zugänglich. In zehn Jahren wurde der Titel über eine Million Mal heruntergeladen. Hätte das Buch hunderte Dollar gekostet, hätte es kaum jemand gelesen.
Außerdem können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Möglichkeit des "Self-Archiving" noch besser nutzen. Dabei archivieren sie ihre eigenen Artikel und Bücher und stellen sie anderen Forschenden zur Verfügung, zum Beispiel auf Anfrage. Somit stellen sie auf ganz individueller Ebene sicher, dass Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt an ihrer Forschung teilhaben können und ihre Forschung bestmöglich rezipiert wird.
Schlüsselbegriffe rund um Open Access
Coalition for Advancing Research Assessment (COARA): Zusammenschluss von europäischen und internationalen Forschungsinstitutionen und Hochschulen, die neue Kriterien für die Bewertung von Forschungserfolg entwickeln und umsetzen möchten, die über Publikationserfolg hinausgehen.
DEAL-Konsortium: Eine Initiative der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen. Im Auftrag aller deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen – einschließlich Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen, Landes- und Regionalbibliotheken – verhandelt DEAL unter der Federführung der Hochschulrektorenkonferenz bundesweite Open-Access-Vereinbarungen mit den großen kommerziellen Verlagen für wissenschaftliche Journals.
Open Research Europe: Auf dieser Plattform der Europäischen Union werden Forschungsergebnisse frei zugänglich veröffentlicht, die von der EU finanziert worden sind, zum Beispiel durch die Programme „Horizon Europe“ und von der europäischen Atombehörde EURATOM.
Preprints: Vorabveröffentlichungen von wissenschaftlichen Studien und Papers auf frei zugänglichen Plattformen. Dort kann dann ein sogenanntes offenes Peer Review stattfinden, wenn Kolleginnen und Kollegen die Ergebnisse auf der Plattform diskutieren und evaluieren. Preprints sind vor allen Dingen in den Naturwissenschaften eine etablierte Praxis. In einem zweiten Schritt werden die Ergebnisse in kommerziellen Journals veröffentlicht.
"Self-Archiving": Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler archivieren ihre Publikationen selbst, zum Beispiel in Form von PDF-Dateien. Auf Anfrage können sie diese Publikationen an Kolleginnen und Kollegen aus allen Weltregionen und verschiedenen Karrierestufen weitergeben.