Protestplakat bei Demonstration in Ungarn
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Wissenschaftsfreiheit
Ungarische Regierung will Kontrolle über Forschungs-Finanzierung

Die Akademie der Wissenschaften in Ungarn hat zwei Optionen: Gibt sie ihre Unabhängigkeit oder Personal und Projekte auf? Gut ist keine.

11.02.2019

In einem offenen Schreiben haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ungarischen Akademie der Wissenschaften ihren Ärger über einen weiteren massiven Einschnitt in die Wissenschaftsfreiheit deutlich gemacht. Sie bedauern, weder in den Verhandlungen mit der Regierung noch in der Öffentlichkeit ausreichend gehört worden zu sein. Am Dienstag steht die "Hungarian Academy of Sciences" (HAS) nun vor einer der schwersten Entscheidungen in ihrer Geschichte.

Die Regierung von Premierminister Victor Orban hat einen Beschluss gefasst, durch den sie die volle Kontrolle über die Finanzierung und damit die Arbeit der HAS hat. Die Akademie muss sich die Frage stellen, ob sie den Einfluss des Ministeriums auf den Haushalt akzeptiert und damit ihre Autonomie aufgibt oder sich dagegen wehrt und Forschungsprojekte und Stellen gefährdet.

"Wenn die Regierung das Forschungsnetzwerk der Akademie gewaltsam demontieren darf – was ihre Absicht zu sein scheint – wird Ungarn der erste Mitgliedstaat der Europäischen Union sein, der das grundlegende Prinzip der Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung ausdrücklich und unmissverständlich ablehnt aus politischem Interesse", schreibt die HAS.

Ungarische Regierung kontrolliert alle Förderanträge

"Gerade die geistes- und sozialwissenschaftlichen Institute der Akademie, die hohen internationalen Ruf genießen und exzellente Forschung betreiben, sind der Regierung ein Dorn im Auge, wagen sie es ja, sich der patriotischen Indienstnahme durch die Regierung zu entziehen", schreibt Professor Ulf Brunnbauer, Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in einer Stellungnahme.

"Die EU und die Bundesregierung müssen reagieren, denn die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die autoritäre Politik Orbans Nachahmer in der Region findet." Ulf Brunnbauer, Leibniz-Institut IOS

Der Wissenschaftler ruft zur internationalen Unterstützung auf. "In der von Orban gepredigten illiberalen Demokratie, die keine Demokratie sein kann, ist offensichtlich kein Platz für den europäischen Grundwert der Wissenschaftsfreiheit", sagt er. "Die EU und die Bundesregierung müssen reagieren, denn die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die autoritäre Politik Orbans Nachahmer in der Region findet. Es ist eine traurige Ironie, dass eine rechtskonservative Regierung zu dem Wissenschaftsmodell des Stalinismus zurückkehren will." 

Ende Januar startete das Nationale Büro für Forschung, Entwicklung und Innovation in Ungarn, das dem Ministerium für Innovation und Technologie unterliegt, das "program of excellence". Die Förderanträge von Forschungseinrichtungen würden künftig von der Regierung nach unklaren Bewertungsgrundsätzen bewertet. Dies ermögliche "willkürliche, politisch motivierte Entscheidungen", schreibt die HAS.

Das Netzwerk der jetzt anvisierten HAS ist laut Leibniz-Mitteilung das größte seiner Art in Ungarn und umfasst Forschungseinrichtungen mit rund 5.000 Mitarbeitern. Im vergangenen Jahr hatte ein CEU-Mitarbeiter in einem Gastbeitrag über das Ausmaß der Einschnitte in die Wissenschaftsfreiheit auf die Entwicklungen an der HAS hingewiesen.

Es ist erst wenige Wochen her, dass die Central European University (CEU) im Streit mit der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban ihren Wegzug aus Budapest bekannt gab.

kas