Flugzeug vor dem Start
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Umweltschutz
"Unter 1.000 mach' ich's nicht"

Immer mehr Wissenschaftler wollen auf Kurzstreckenflüge verzichten. Welchen Effekt hat das und was sagen diejenigen, die sich nicht anschließen?

Von Katrin Schmermund 06.12.2019

Treffen mit Kooperationspartnern im Ausland, internationale Konferenzen: Der ökologische Fußabdruck kann sich im Laufe eines Wissenschaftsjahres schnell verschlechtern. Damit sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht alleine und doch ist es ein Dilemma: Auf der einen Seite pocht man darauf, dass die eigenen Erkenntnisse stärker gehört werden – und die zeigen, dass Flüge dem Klima schaden. Auf der anderen Seite kann man auf den weltweiten Austausch nicht verzichten. Schließlich gehört er zum Kern der Wissenschaft.

Mit einer Selbstverpflichtung zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge wollen immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Klimabilanz verbessern und sich für Alternativen zum Fliegen starkmachen. Die Initiative geht auf Professorin Martina Schäfer von der TU Berlin zurück. Im Herbst hatte sie Forschende dazu aufgerufen, Dienstreisen bis zu einer Entfernung von 1.000 Kilometern und einer Reisezeit von zwölf Stunden nicht mit dem Flugzeug zurückzulegen. Nicht dazu zählen Zubringerflüge zu einem Langstreckenflug. Professor Gisbert Fanselow von der Universität Potsdam und Professor Stefan Müller von der HU Berlin schlossen sich an, um die Idee weiter voranzutreiben.

An verschiedenen Forschungseinrichtungen wurde für den Verzicht mobil gemacht. Rund 2.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben die Initiative unterstützt. Die Beteiligung reicht von 0,9 Prozent an der Universität Leipzig bis 23,2 Prozent an der HU Berlin. Zum weltweiten Klimaprotest am vergangenen Freitag startete gemeinsam mit der Organisation "Scientists for Future" jetzt der bundesweite Aufruf "Unter 1.000 mach' ich’s nicht". Auch Österreich und die Schweiz will man mit an Bord holen. Eine Woche später haben den Aufruf gut 1.200 Personen unterzeichnet.

Langstreckenflüge: Videokonferenzen sollen aushelfen

Flüge sorgen an Hochschulen für den mit Abstand größten Ausstoß an CO2 unter allen dienstlich unternommenen Fahrten. Davon machen Kurzstreckenflüge laut Angaben der Organisatoren einen Anteil zwischen fünf und zehn Prozent aus. Deutlich stärker ins Gewicht fallen an den Hochschulen die Langstreckenflüge. Eine genaue Berechnung und der Vergleich von Angaben einzelner Hochschulen sind dabei problematisch: Nicht nur werden mal der CO2-Ausstoß und mal der von CO2-Äquivalenten berechnet – Treibhausgase wie zum Beispiel Wasserstoff, Ozon, Methan oder Lachgas –, auch in die Gesamtbilanz der Hochschulen fließen unterschiedliche Faktoren ein. 

Auf die genauen Werte komme es ihnen jedoch auch nicht an, sagt Organisatorin Schäfer. "Auch wenn Kurzstreckenflüge nicht den Großteil der Dienstreisen ausmachen, ist der Verzicht auf solche Flüge ein guter erster Schritt", sagt die Wissenschaftlerin. "Mit den Selbstverpflichtungen wollen wir zeigen, dass es uns mit dem Thema Klimaschutz ernst ist."

Langstreckenflüge sind nicht so leicht wie Kurzstreckenflüge durch andere Verkehrsmittel zu ersetzen. Aushelfen kann in einigen Fällen die Videokonferenz. Viele Hochschulen sind laut Anfrage aktuell damit beschäftigt, ihre Videokonferenzräume auszubauen. Die FU Berlin will etwa von zwölf auf 16 Räume aufstocken. Ergänzend können sich Beschäftigte an vielen Hochschulen über das Hochschulnetz in Videokonferenzen einwählen. Zahlreiche Hochschulen nutzen dafür die Videoplattform des Deutschen Forschungsnetzes "DFNconf".

Auch Kompensationen spielen eine immer größere Rolle. Teils sind es die Hochschulen, die diese im Hintergrund zahlen, teils zahlen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler privat. Das Hamburger Reisekostengesetz verpflichtet  bei Flugreisen, die über die Hochschule finanziert wurden, beispielsweise bereits zu Kompensationen. "Wünschenswert wäre, dass die – deutlich reduzierten – Flugreisen flächendeckend von den Hochschulen kompensiert werden, gegebenenfalls über einen internen Fonds, mit dem weitere Klimaschutzmaßnahmen an den Einrichtungen finanziert werden können", meint Organisatorin Schäfer.

CO2-Emissionen an Hochschulen

Die ETH Zürich hat in einer Studie ermittelt, dass mehr als die Hälfte ihrer CO2-Emissionen auf Dienstreisen zurückzuführen seien. Meist verursachen an den Hochschulen laut Anfrage jedoch nicht die Reisen, sondern die Gebäude einen besonders hohen CO2-Ausstoß, weil sie oft schlecht isoliert sind. Die Universität Marburg schreibt zum Beispiel, dass rund 90 Prozent ihres CO2-Ausstoßes auf den Gebäudebereich zurückgingen. Auch ein ineffizienter Stromverbrauch sorgt häufig für einen unnötig hohen CO2-Ausstoß.

Um sich insgesamt besser aufzustellen haben die Hochschulen Klimaschutzkonzepte entwickelt. Oft werden sie dabei über die 2008 gestartete "Nationale Klimaschutzinitiative" des Bundesumweltministeriums unterstützt.

Einzelne Beispiele:

Flugverzicht: Probleme bei Reisekostenabrechnung

Verzichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Flüge, können sie Probleme bei der Reisekostenabrechnung bekommen. Teils würden Fahrtkosten mit der Bahn oder mit dem Auto nur bis zum Preis des Flugtickets erstattet, berichten sie. "Eigentlich sollte es keine Probleme geben", argumentiert Mitinitiator Fanselow mit Blick auf das Bundesreisekostengesetz. "Die Vorschrift verweist lediglich darauf, dass die niedrigste Beförderungsklasse eines Verkehrsmittels gewählt werden muss." Von dem günstigsten Verkehrsmittel sei nicht die Rede. "Das wäre in der Regel der Flixbus oder Ryanair; beide dürften die wenigsten nutzen."

Das gilt so pauschal nicht, erklärt ein Sprecher des Deutschen Hochschulverbandes. "Das Bundesreisekostengesetz legt die Nutzung eines Flugzeugs nahe, wenn es dafür 'dienstliche oder wirtschaftliche Gründe' gibt. Wenn das Flugzeug günstiger ist als die Reise mit einem anderen Verkehrsmittel, ist das ein wirtschaftlicher Grund." Das Bundesreisekostengesetz sehe zurzeit noch vor, dass das Flugzeug dann auch genutzt werden müsse. Die Vorschriften in den einzelnen Bundesländern orientierten sich meist an dieser Regel oder legten ähnliches fest. Hochschulangehörige sollten sicherheitshalber vor ihrer Dienstreise klären, welche Vorgaben für sie gelten.

In die Rechnung fließt grundsätzlich nicht nur der reine Fahrtpreis ein. Der Flugpreis kann etwa auch dadurch günstiger sein, dass eine Übernachtung und damit verbundene Tagesgelder eingespart werden, die bei der Reise mit der Bahn möglicherweise anfallen würden. Entsprechend werden in Bundesländern mit einer Verpflichtung zur Kompensation wiederum diese Kosten in den Flugpreis miteinkalkuliert.

"Zwölf Stunden Reisezeit mit dem Zug inklusive der Verspätungen würden mich dazu veranlassen, [...] noch viel weniger in der wissenschaftlichen Gemeinschaft meines Faches sichtbar zu sein, als derzeit." Anonyme Zuschrift an Forschung & Lehre

Doch nicht nur die finanzielle Unsicherheit bezeichnen einige ein Problem. Mit einem Verzicht auf Kurzstreckenflüge könne sie ihr aktuelles Arbeitspensum nicht mehr halten, schreibt zum Beispiel eine Wissenschaftlerin an Forschung & Lehre. Als Forscherin zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz und Mutter dreier Kinder würde sie die Initiative zwar grundsätzlich gerne unterstützen, fürchtet jedoch einen negativen Effekt auf die Chancengleichheit.

"Zwölf Stunden Reisezeit mit dem Zug inklusive der Verspätungen würden mich dazu veranlassen, deutlich weniger eingeladene Vorträge anzunehmen, an noch weniger Konferenzen und Veranstaltungen teilzunehmen und somit noch viel weniger in der wissenschaftlichen Gemeinschaft meines Faches sichtbar zu sein, als derzeit", schreibt die Wissenschaftlerin, die aufgrund laufender Bewerbungen anonym bleiben will. "Komme ich bei einem Termin zu spät, kann ich mir Sprüche anhören, ob ich nicht besser Teilzeit arbeiten möchte, um den Belangen meiner Kinder gerecht zu werden, oder mir wird unterstellt, dass ich mit der Doppelbelastung überfordert bin."

Ein häufiges Argument, sagt Mitorganisator Fanselow. Ein weiteres sei die Pflege von Angehörigen. Grundsätzlich habe er dafür Verständnis. "Was man nicht kann, dazu kann man auch nicht verpflichtet sein", sagt er. Ein Flugverbot lehnt er daher ab, plädiert jedoch für Anreize. Das könne etwa dadurch erreicht werden, dass auf dem Reisekostenantrag für jede Reise die CO2-Menge erkennbar sei oder Flugreisen explizit begründet werden müssten. Natürlich ergebe sich daraus ein gewisser Druck, aber anders sei es nur schwer zu erreichen, dass jeder, der kann, auf das Flugzeug verzichtet, meint Fanselow.

"Hauptanliegen der gesamten Kampagne sei, damit zu beginnen, teilweise selbstverständliche gewordene klimaschädliche Alltagsroutinen zu hinterfragen und – wann immer möglich – zu vermeiden", sagt der Wissenschaftler.  Es gehe darum "absurde Auswüchse der Internationalisierung zu stoppen, zum Beispiel für einen Drei-Stunden-Workshop quer durch Europa zu fliegen, oder den Automatismus, das Flugzeug zu nehmen, wenn andere Verkehrsmittel ebenso möglich wären", sagt Schäfer.

Die Zahl der Selbstverpflichtungen wollen sie weiterhin veröffentlichen. "Denjenigen, die sich anschlössen, wollen wir zeigen: 'Deine Verhaltensänderung verpufft nicht, weil viele andere denselben Weg gehen'", sagt Fanselow.

Hochschulleitungen: Kein Zugzwang für Hochschulangehörige

An der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde gilt das Fliegen unter 1.000 Kilometern bereits für alle als Tabu. Der Präsidiumsbeschluss fiel in diesem Herbst. Man sehe sich als Hochschule für nachhaltige Entwicklung nicht nur in einer Rolle als "Vorreiterin", sondern auch "Wegbereiterin", so die Begründung. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin ist (HTW) ist gefolgt: Ab 2020 wird auch dort für Ziele, die in sechs Stunden mit der Bahn erreicht werden können, nicht mehr geflogen. Ausnahmen seien jedoch weiterhin möglich – etwa aus familiären Verpflichtungen. Dann müssten Beschäftigte dies allerdings begründen und gesondert beantragen.

Um den Grundsatz der "Wirtschaftlichkeit" zu erfüllen, setze man auf eine "optimierte Reiseplanung und Fahrpreisermäßgigungen, beispielsweise über die Bahncard", teilte Hochschulkanzler Claas Cordes aus Berlin mit. Dazu gehöre auch, Fahrten möglichst frühzeitig und gegebenenfalls zu günstigeren Zeiten zu buchen. Flüge seien so nur in Ausnahmefällen günstiger als die Bahn. Parallel versuche man Dienstreisen vermehrt durch Telefon- und Videokonferenzen zu ersetzen. 

Ein flächendeckendes Flugverbot ist an den Hochschulen vorerst nicht zu erwarten. Viele Hochschulleitungen begrüßten den Einsatz laut Rückmeldung aus den Hochschulen, Beschäftigte sollten jedoch nicht unter Zugzwang gestellt werden. Meist stehen die Informationen über die Selbstverpflichtungen daher auf Unterseiten der Hochschule zum Thema Nachhaltigkeit. "Es ist eine zentrale dezentrale Lösung", wie es eine Koordinatorin der Selbstverpflichtungen an ihrer Hochschule beschreibt.

Verkehrsbedingte Umweltbelastung

Weltweit macht die Luftfahrt einen Anteil von knapp drei Prozent des Ausstoßes von CO2 aus. Das schreibt die Deutsche Luftfahrt auf ihrem Klimaschutz-Portal mit Verweis auf Statistiken der Internationalen Energieagentur (IEA). Für den mit Abstand größten CO2-Ausstoß sorgt demnach die Energiewirtschaft.

Die Umweltbelastung verstärkt sich jedoch durch den Ausstoß von Stickoxiden und Wasserdampf in Flughöhe, die zu einer veränderten Wolkenbildung beitragen. Das wiederum verhindert die Wärmeabstrahlung von der Erde und beschleunigt dadurch die Klimaerwärmung. Der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass der Gesamteffekt auf die Veränderung des Klimas bei rund fünf Prozent liegt.

Schaut man nur auf die Umweltbelastung unter den Verkehrsmitteln, verursacht die Luftfahrt pro Personenkilometer laut Umweltbundesamt die meisten Treibhausemissionen. Für ihre Berechnungen hat die Behörde neben dem Fahrbetrieb auch die Umweltbelastung durch den Betrieb der dafür notwendigen Infrastruktur sowie den Bau und den Unterhalt dieser Infrastrukur sowie der Fahrzeuge selbst einberechnet. Verglichen wurden Flugzeug, Pkw (Benzin und Diesel), Bahn im Fernverkehr und Reisebus. Die Umweltbelastung des E-Autos liegt laut einer Studie des Heidelberger Ifeu-Instituts über den gesamten Lebenszyklus hinweg unter der des Pkw – je umweltschonender die Produktion der erforderlichen Elektroauto-Batterien desto deutlicher.

Der Umweltschaden durch das Fliegen kann neben einer schlichten Reduktion minimiert werden durch effizientere Flugzeuge und Routen sowie nachhaltigere Treibstoffe. Eine Klimaschutzstrategie hat die internationale Luftfahrt 2009 beschlossen. Derweil steigt der Druck auf die Bahn, wie geplant ihre Kapazitäten aufzustocken, um mehr Passagiere auf der Schiene transportieren zu können.