Professorin Antje Boetius
Alfred-Wegener-Institut/Kerstin Rolfes

Klimaforschung
"Noch können wir uns und diesem Planeten helfen"

Die Demonstrationen zum Klimawandel halten an. Expertin Antje Boetius erklärt, wie sie die Situation für Mensch und Welt bewertet.

Von Claudia Krapp 22.11.2019

Forschung & Lehre: Frau Professorin Boetius, die wissenschaftlichen Prognosen für den Klimawandel und seine Bedeutung für uns und das Leben auf der Erde sind düster. Die Auswirkungen sind allerdings noch nicht sehr spürbar…

Antje Boetius: Doch, ich denke schon. Die heißen Sommer mit Dürren, die vielen Waldbrände, die Parasiten, die nun die milden Winter überleben und in den Wäldern massive Schäden anrichten, die zunehmenden Wetterextreme: all das sind klare Warnsignale auch in Deutschland, die wir schon heute deutlich sehen können. Der Klimawandel ist nicht so abstrakt, wie viele meinen.

F&L: Dennoch wird oft argumentiert, dass die Menschheit zu träge auf die Bedrohung durch den Klimawandel reagiert, weil die Schmerzgrenze noch nicht erreicht ist. Wäre es einfacher, Politiker zum Handeln zu bewegen, wenn der Klimawandel deutlicher im Alltag der Menschen bemerkbar wäre?

Antje Boetius: Bestimmt, aber in einer Wissens- und High Tech Gesellschaft  sollte es darum gehen, aus dem steigenden Wissen und den technischen Möglichkeiten Gutes für den Menschen zu gewinnen. Ich habe gerade die Serie zur Tschernobyl-Katastrophe gesehen, da ist mir wieder aufgefallen wie sehr dieser Unfall ein Beispiel dafür ist, wohin es führen kann, wenn wir die Prognosen und Warnungen von Wissenschaftlern ignorieren. Ich denke wirklich, wir sollten besser nicht auf Katastrophen warten.

"Die Aufgabe von Wissenschaftlern ist eben auch, Risiken einzuschätzen und vor möglichen Gefahren zu warnen."

F&L: Wie beurteilen Sie die IPCC-Berichte und die zunehmenden Hinweise von Wissenschaftlern an die Politik? Sind deren Ton und Dramatik dem Ernst der Lage angemessen?

Antje Boetius: Der Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC gibt eine nüchterne Einschätzung der Veränderungen wieder einschließlich der Unsicherheiten des wissenschaftlichen Wissens. Er appelliert und fordert nicht, das ist nicht seine Aufgabe. Daher haben verschiedene wissenschaftliche Gruppen angefangen auch Warnungen und Appelle zu veröffentlichen. Die Aufgabe von Wissenschaftlern ist eben auch, Risiken einzuschätzen und vor möglichen Gefahren zu warnen. Ich habe mein Wissen aus Polar- und Meeresforschung eingebracht in die Forderungen der Klimainitiative der Nationalakademie Leopoldina, aber auch der "Scientist for Future"-Bewegung, und die "Klima-Notstand"-Warnung tausender Wissenschaftler unterzeichnet. Darüber hinaus braucht es viel mehr Anstrengung, Lösungswege aufzuzeigen, aber auch die Lücken zu den selbstgesteckten Zielen. Der "United in Science"-Bericht der UNO und der "G20 Brown to Green Report", haben beispielsweise klar aufgezeigt, welche Staaten wieviel Emissionen verursachen und welche Maßnahmen die Länder geplant haben.

F&L: Auf der Falling-Walls-Konferenz in Berlin haben Spitzenforscher aus verschiedenen Disziplinen Durchbrüche der Wissenschaft für die Zukunft der Gesellschaft präsentiert. Sie waren eine der 20 Vortragenden in diesem Jahr. Welche Relevanz ordnen Sie ihrem Fach, der Klimaforschung zu?

Antje Boetius: Der Kampf gegen die Erderwärmung und Umweltverschmutzung ist eines der wichtigsten Themen der Gegenwart und hat meines Erachtens eine sehr hohe Priorität. Parallel dürfen Fragen der sozialen Entwicklung der Menschheit aber nicht vernachlässigt werden. Viele Vorträge und Projekte der Falling Walls kreisten diesmal um Nachhaltigkeit, Gesundheit, Energie oder Produktionswege; Themen, die häufig eng mit dem Klimawandel verknüpft sind. Ein weiterer Themenkomplex betraf die Herausforderungen zu sozialer Teilhabe. Ich denke, das gehört zusammen.

F&L: Eine Referentin und ein Referent der Konferenz haben über den Zusammenhang zwischen Ernährung und Klima gesprochen. Würden Sie für Ihren ökologischen Fußabdruck Insekten essen oder Fleisch aus dem Labor?

Antje Boetius: Ich habe beides schon probiert, aber bin der Meinung, dass es auch andere Lösungen für eine klimafreundliche Landwirtschaft gibt. Es ist auch wichtig zu verstehen, dass die Ernährung nur einen geringen Teil der gesamten Emissionen ausmacht. Die Landwirtschaft und die Ernährung klimafreundlich umzustellen reicht daher alleine nicht aus, um klimaneutral zu leben.

F&L: An welchen Stellen müssen wir ansetzen, um etwas zu bewirken?

Antje Boetius: Meines Erachtens sollten wir uns vor allem auf die Bereiche konzentrieren, in denen schnell und effektiv viel CO2 eingespart werden kann. Die Nutzung fossiler Brennstoffe im Energiesystem liegt global noch bei 80 Prozent, vor allem die Kohle macht einen Großteil davon aus. Wenn wir es schaffen würden, die weltweit im Bau befindlichen und geplanten Kohlekraftwerke entweder nicht zu bauen oder mit CO2-Abscheidern zu versehen wäre dies der wichtigste Schritt. Und wenn wir zum Beispiel die Subventionen, die in fossile Energiequellen fließen, stattdessen in die Weiterentwicklung von erneuerbaren Energien stecken würden, wäre auch schon sehr viel gewonnen. Insgesamt ist es wichtig, dass wir Probleme gemeinschaftlich angehen, in einer internationalen Anstrengung.

F&L: Worin sehen Sie mehr Potenzial, um die Emissionen zu senken: in neuen Ideen und innovativen Technologien oder in Verboten und Verzichtsmaßnahmen?

Antje Boetius: Die Befassung mit dem eigenen Energieverbrauch ist wichtig – allein für das Verständnis –, der individuelle Verzicht bewirkt aber nicht genug. Damit alleine erreichen wir die Klimaneutralität nicht. Ohne neue Ideen, andere Infrastrukturen und Technologien, ist der Klimawandel nicht zu bewältigen. Wir brauchen dringend neue Verfahren und alternative Konzepte, um unseren derzeitigen Lebensstil klimaneutral umstellen zu können. Das geht nicht ohne die entsprechenden Rahmenbedingungen, die nur die Politik setzen kann.

F&L: Ihr Fokus liegt auf der Polar- und Meeresforschung. Was ist so besonders an diesen Lebensräumen?

Antje Boetius: Mich fasziniert die Vielfalt des Lebens dort, wovon wir so wenig wissen; von den kleinen Bakterien bis zu den großen Säugetieren. Ich finde es spannend, wie sich so viele Organismen an die extremen Bedingungen in den Polarregionen und in der Tiefsee anpassen konnten. Das Leben dort ist noch weitestgehend unberührt vom Menschen – auch wenn wir uns um zunehmende Vermüllung und Klimawandel-Wirkungen sorgen müssen – und relativ wenig erforscht. Es gibt noch viel zu entdecken.

F&L: Auf der Falling-Walls-Konferenz haben Sie die "Mosaic"-Expedition des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) als eines der derzeit bekanntesten Forschungsprojekte der Welt vorgestellt. Wie oft sind Sie selbst auf dem Forschungsschiff "Polarstern" in der Arktis?

Antje Boetius: Ich habe schon viele Polarexpeditionen hinter mir – bei "Mosaic" kann ich aber leider nicht mitfahren. Die Teams bleiben drei Monate an Bord des Schiffes, bevor sie ausgetauscht werden, sie mussten ein Jahr vorher anfangen zu üben, ihre Methoden zu standardisieren und Sicherheitstrainings zu absolvieren. Als Direktorin des AWI unterstütze ich die Expedition nun von zuhause aus, zum Beispiel auch durch Vorträge. Ich versuche immer auf dem Laufenden zu bleiben, was an Bord der "Polarstern" passiert und freue mich jeden Tag auf die Fotos und Nachrichten per E-Mail oder Whatsapp und unserer Webseite.

F&L: Das rasante Schmelzen der Polkappen ist eine der bekanntesten Folgen der Erderwärmung. Leben in den Polarregionen die größten Verlierer des Klimawandels?

Antje Boetius: Nein, die Verlierer leben überall auf der Erde, wir Menschen gehören auch dazu. Langfristig sind alle Lebewesen vom Klimawandel betroffen, nicht nur dort, wo die Erderwärmung am deutlichsten zu beobachten ist. Massiv bedroht sind derzeit beispielsweise die Korallenriffe und viele Tier und Pflanzenarten. Der Bericht des Weltbiodiversitätsrates hat gezeigt, Übernutzung, Umweltgifte und Klimawandel gefährden mittlerweile jede achte Art. Es macht mich sehr traurig, wenn ich über diese Zahlen nachdenke.

F&L: Sind Sie trotz der voranschreitenden Erderwärmung und der weiterhin zunehmenden Emissionen optimistisch, dass wir das 1,5 Grad-Ziel noch erreichen werden?

Antje Boetius: Das wäre wundervoll, aber daran glaube ich nicht wirklich, das sage ich ehrlich. Die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, wie es das Pariser Klimaabkommen vorsieht, würde bedeuten, dass alle Länder jetzt sofort den Umbau ausführen, um ihre Klimaziele zu schaffen – aber das kriegen wir ja leider selbst in Deutschland nicht hin. Aber ich bin dennoch grundlegend optimistisch und zuversichtlich, dass wir viel tun können, um für die Menschheit und das Leben auf diesem Planeten einen Unterschied zu machen. Optimismus ist ohnehin hilfreicher als an der Größe der Aufgabe zu verzweifeln.


Professor Markus Rex erklärt die Polarstern-Expedition "Mosaic"