Titelbilder der Wahlprogramme zur Europawahl
Collage: Forschung & Lehre

Wahlprogramme
Was die Parteien zur Europawahl versprechen

Am 26. Mai steht in Deutschland die Wahl zum Europäischen Parlament an. Was wollen die Parteien in der Wissenschaft bewegen?

Von Katrin Schmermund 21.05.2019

In wenigen Tagen entscheiden die Wählerinnen und Wähler der EU-Staaten über die Zusammensetzung des künftigen Parlaments. In Deutschland entscheidet sich am 26. Mai, mit wie vielen Sitzen die verschiedenen Parteien in Brüssel künftig vertreten sein werden. 41 Parteien stehen in Deutschland zur Wahl.

Die Parteien haben derweil die heiße Phase ihres Wahlkampfs eingeläutet, um für ihre Positionen zu werben. Die politischen Ziele in der Wissenschaft stehen bei den öffentlichen Auftritten meist im Hintergrund. Ausnahmen sind Verweise auf die Spitzenforschung oder zuletzt Debatten über die Sicherung der Wissenschaftsfreiheit, insbesondere in Ungarn.

In den Wahlprogrammen findet die Wissenschaft jedoch zumindest punktuell ihren Platz. Neben Aussagen über Forschung zu parteipolitischen Themenschwerpunkten nehmen die Parteien vereinzelt Bezug auf übergeordnete Themen, die für die Arbeit in der Wissenschaft relevant sind. Die Ausführungen reichen von allgemeinen Parteilinien bis zu Informationen über einzelne Förderprogramme.

Die Unterschiede lassen sich bereits an der Gesamtlänge der Parteiprogramme ableiten, die von 26 Seiten beim gemeinsamen Programm von CDU und CSU bis zu 197 Seiten bei den Grünen reicht. Die Positionen von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP, Linken und AfD zu ausgewählten Themen:

  • Wissenschaftsfreiheit

Die Wissenschaftsfreiheit, auch akademische Freiheit, ist eine wichtige Grundlage des wissenschaftlichen Arbeitens. In Deutschland ist sie ein Grundrecht. In ihren Wahlprogrammen betonen FDP, Grüne, Linke und SPD, sich auch auf europäischer Ebene für dieses Recht starkmachen zu wollen. "Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung muss garantiert sein", schreiben etwa die Grünen. Sie wollen etwa einen europäischen Fonds für bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einrichten, um diesen einen Forschungsaufenthalt in einem anderen EU-Staat zu ermöglichen.

Die Linke will spezielle Förderprogramme für bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einrichten. Die SPD plädiert für eine europäische Hochschulrektorenkonferenz, die sich für Wissenschaftsfreiheit einsetzen soll.

  • Forschungsförderung

Einer Förderung von Forschung stehen grundsätzlich alle Parteien positiv gegenüber. Die FDP scheint ihr laut Formulierung im Parteiprogramm eine besonders große Bedeutung beizumessen: "Der Schwerpunkt europäischer Investitionsoffensiven muss in den nächsten Jahren im Bereich der Bildung und Forschung liegen", heißt es im Parteiprogramm.

CDU/CSU, Grüne und AfD sprechen dabei auch von "Spitzenforschung" oder "Exzellenz". SPD und Linke wählen diese Begriffe nicht. Die Linke lehnt eine europäische Exzellenz-Initiative "zugunsten von Prestige-Universitäten" explizit ab. Sie will Forschung in der Breite fördern.

Die AfD fordert mehr nationalen Einfluss in die Vergabe von EU-Fördergeldern. Dass die EU-Institutionen die Projekte, die sie fördern, auch auswählen, lehnt die Partei ab. Stattdessen sollten die Mitgliedstaaten die Budgetverantwortung haben, da sie besser wüssten, welche Forschungserkenntnisse in den jeweiligen Ländern gefragt seien.

Die Grünen dagegen setzen auf EU-Ebene an. Sie kritisieren einen "Flickenteppich nationaler Forschungsprogramme, ineffizienter Doppelungen und einer massiven Spaltung zwischen forschungsstarken und forschungsschwachen Mitgliedstaaten". In einer Zeit, "in der angesichts der zahlreichen globalen Herausforderungen sowie des Drucks populistischer Kräfte auf die Wissenschaftsfreiheit mehr internationale und europäische Zusammenarbeit dringend notwendig ist", sei das zu vermeiden.

Einzelne Parteien nehmen explizit Bezug auf "Horizont Europa", das Nachfolgeprogramm von "Horizont 2020". Ab 2021 wird es den Förderrahmen in der EU stellen. CDU und CSU wollen das Programm zu einem Innovationsbudget mit dem Label "Future made in Europe" ausbauen. "Im europäischen Forschungsraum vernetzen wir unsere exzellenten Forschungseinrichtungen", schreiben sie.

Europawahl 2014: Die Wahlergebnisse aus Deutschland

Die meisten Stimmen in Deutschland holte bei der Europawahl 2014 die CDU mit 30 Prozent. Das waren 0,6 Prozent weniger als 2009. Die CSU kam auf 5,3 Prozent der Stimmen (minus 1,9 Prozent). Die SPD legte um 6,5 Prozent zu und kam auf 27,3 Prozent. Die Grünen verloren 1,4 Prozent auf 10,7 Prozent und die Linke erhielt 7,4 Prozent (minus 0,1 Prozent). Die FDP verlor drastisch und kam nur noch auf 3,4 Prozent (minus 7,6 Prozent). Die AfD kam aus dem Nichts auf 7,1 Prozent

Die Freien Wähler, die Piraten, die rechtsextremistische NPD, die ÖDP, die Familien-Partei, die Tierschutzpartei und die PARTEI schafften 2014 nach der Abschaffung der Dreiprozenthürde erstmals den Einzug in das Europaparlament. Bis zur Europawahl 2024 soll die Dreiprozenthürde voraussichtlich wieder eingeführt werden.

Quelle: Der Bundeswahlleiter

  • Angewandte und Grundlagenforschung

Mit Blick auf die Forschungsförderung fordern SPD, Grüne und FDP mehr Geld für Grundlagenforschung. Dabei heben SPD und Linke die geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung hervor. "Sie ist unabdingbar für die Reflektion eines gemeinsamen europäischen gesellschaftlichen Raumes", schreibt die SPD im Wahlprogramm. Die Linke strebt nach einer stärkeren "sozialen Dimension" in der Forschung.

Forschungserkenntnisse müssten zudem schneller umgesetzt werden, schreiben die Grünen. "Viele gute Ideen aus der Spitzenforschung bleiben auf der Strecke oder werden in anderen Regionen zu Geld gemacht, weil sie nicht in den Markt überführt werden", heißt es im Wahlprogramm. Um das zu ändern, müsse man grenzübergreifend noch besser zusammenarbeiten und bürokratische Hürden abbauen.

  • Grundfinanzierung

Auch die Grundfinanzierung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist Thema in einzelnen Parteiprogrammen. Grüne, Linke und AfD plädieren für eine "umfangreiche", "bedarfsgerechte" beziehungsweise "höhere" Grundfinanzierung. Die SPD schreibt: "Europa muss in der Forschung und Wissenschaft unabhängig sein von Drittländern und Großunternehmen mit forschungspolitisch relevanter Monopolstellung. Das gelte besonders für die Herausforderung der Digitalisierung. Die FDP zeigt sich gemäß der Parteilinie offener für wirtschaftliche Kooperationen, hebt jedoch eine mögliche negative politische Einflussnahme von Geldgebern hervor. Die Linken sehen Kooperationen mit Unternehmen grundsätzlich kritisch.

  • Wissenschaftlicher Nachwuchs

Alle Parteien bis auf die AfD haben sich in ihrem Parteiprogramm die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf die Fahne geschrieben. Die Beschäftigungsverhältnisse müssten sich bessern. Die Grünen fordern "faire statt prekäre Karrierewege". Auch wollen sie für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen. Dazu gehöre unter anderem der Ausbau der Kinderbetreuung. Die SPD will eine paritätische Besetzung von Führungspositionen voranbringen. Sie will Frauen durch EU-weite Programme fördern, insbesondere im MINT-Bereich. Die AfD lehnt so etwas ab.

  • Mobilität und Hochschulkooperationen

Den wissenschaftlichen Austausch wollen alle Parteien stärken. Ihre Positionen unterscheiden sich aber darin, ob dies allgemein oder nur für bestimmte Themen gelten soll. Auch wollen nicht alle Parteien eine Zusammenarbeit institutionell verankern.

Die FDP plädiert am stärksten für eine Harmonisierung der akademischen Bildung. Studienabschlüsse müssten länderübergreifend anerkannt und Semesterzeiten aufeinander abgestimmt werden. Für die EU-weite Anerkennung von Abschlüssen sprechen sich auch CDU und CSU, Grüne und SPD aus. Die AfD lehnt das ab. Es sei nationale Aufgabe zu entscheiden, ob Abschlüsse anerkannt würden oder nicht.

Die FDP plädiert zudem für die Gründung neuer Universitäten in EU-Trägerschaft. Digitale Lehrformate wie "Massive Open Online Courses" (MOOCs) und "European Digital Universities" (EDU) könnten dabei helfen, den Austausch deutlich voranzubringen. "Wissenschaftliche Erkenntnisse haben keine Staatsbürgerschaft", so die Partei. Nur gemeinsam könne man wirtschaftlich in der Spitze mitspielen.

Auch die SPD will "Europäische Hochschulen" fördern. Ebenso die Grünen. Die Aufgabe solcher Hochschulen müsse es sein, "eine ganz Europa umfassende wissenschaftliche Bildung zu verankern und die Verknüpfung bislang national geprägter Wissenschaftsdisziplinen zu fördern", schreibt die Partei.

Vorhandene Kompetenzen müssten gebündelt werden, um zu "den besten Hochschulen der Welt zu gehören". Beispielhaft nennt die Partei das Europäische Hochschulinstitut in Florenz, die Europa-Universität Viadrina, die Europa-Universität Flensburg sowie bestehende Kooperationen, wie den Hochschulverbund "Eucor".

Auch die AfD will laut Parteiprogramm an der Freizügigkeit und dem wissenschaftlichen Austausch von Erkenntnissen festhalten. Ihr geht es dabei aber insbesondere um die gemeinsame Erforschung ausgewählter "Schlüsseltechnologien". Exemplarisch genannt werden Hardware und Software. Die AfD setzt außerdem auf ausgewählte bi- oder multilaterale Großprojekte wie das CERN oder ITER für Kernforschung ohne, dass Mitgliedstaaten dabei Kompetenzen an die EU abgeben.

  • Hochschulzugang und Studium

Auf die Gestaltung des Studiums gehen die Parteien nur punktuell ein. Während sich die AfD etwa für Aufnahmeprüfungen ausspricht und gegen eine "künstliche Erhöhung der Akademikerquote" ist, will die Linke Zugangs- und Zulassungsbeschränkungen grundsätzlich abschaffen, auch im Master. Auch will die Linke die Vorschriften für ein Studium ohne Abitur lockern.

Die AfD betont, die EU dürfe den "wissenschaftlichen Charakter des Studiums nicht aushöhlen" oder Einfluss auf die Curricula nehmen. Sie fordert, dass Diplom- und Magister-Abschlüsse, Abschlüsse "auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau", wieder eingeführt werden sollten.

Die FDP plädiert für ein gemeinsames Bewerberportal. Zudem sollten die Angebote für Stipendien ausgebaut werden. Dabei solle es ähnlich des Deutschlandstipendiums auch ein Europastipendium geben. Die SPD und die Linke lehnen Studiengebühren explizit ab.

Die AfD ist die einzige Partei, die sich explizit gegen die Förderung für ein bestimmtes Fach ausspricht. Die Genderwissenschaften dürften laut Ansicht der Partei keinerlei Förderung mehr erhalten. Bestehende Förderzusagen müssten gestrichen werden.

  • Open Data

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können leichter grenzübergreifend zusammenarbeiten, wenn sie digital Zugriff auf Daten haben. Bis auf die AfD plädieren daher alle für eine Stärkung von Open Data. Die FDP sieht darin die Chance, rein digital zusammenzuarbeiten oder eine Doktorarbeit zu schreiben. Bei Publikationen müsse Open Access nach Ansicht der Partei zum Standard werden.

Die Grünen unterstützen explizit die Initiative "Coalition S", die einen europäischen Ansatz bei Open Access verfolgt und die Macht großer Verlage auf dem Publikationsmarkt reduzieren will. Die SPD begrüßt den Aufbau einer Europäischen Wissenschafts-Cloud. Und auch die Linken wollen im Sinne einer "Kultur des Teilens" den freien Zugang zu und Umgang mit Wissen fördern und plädieren in ihrem Wahlprogramm für eine europäische Open-Access-Initiative, die sich unter anderem für eine staatlich finanzierte Plattform für Open Access einsetze.