Öffentlichkeit
Was gute Wissenschafts-Kommunikation ausmacht
Forschung & Lehre: Herr Professor Meier, das Internet hat den gesellschaftlichen Austausch grundlegend verändert. Wir alle können uns nun vergleichsweise leicht Gehör für die eigenen Positionen verschaffen. Das ist ein Gewinn, steigert aber auch die Zahl an vermeintlichen "Fakten" in der Welt. Was bedeutet das für Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation?
Klaus Meier: In der Masse an Informationen wird es immer wichtiger, aufzuklären und einzuordnen. Gerade in den sozialen Netzwerken tummeln sich viele Wissenschaftsskeptiker und erklärte Feinde der Wissenschaft. Es ist für eine demokratische Gesellschaft wichtig, ihnen nicht das Feld zu überlassen. Wissenschaft und Journalismus sind Pfeiler einer offenen Gesellschaft. Es kommt nicht von ungefähr, dass beide Bereiche in Deutschland durch den gleichen Grundgesetzartikel geschützt werden. Wenn wir keine freien Medien mehr hätten, träfe es die Gesellschaft ähnlich wie wenn wir keine Wissenschaftsfreiheit mehr hätten. Eine freie Meinungsbildung wäre nicht mehr möglich. Wissenschaft und Journalismus müssen daher immer wieder Glaubwürdigkeit und Vertrauen für ihre Arbeit gewinnen.
F&L: Wie gelingt das?
Klaus Meier: Ein zentrales Stichwort ist "Transparenz". Es wird wichtiger, dass Wissenschaft und Journalismus erklären, wie sie arbeiten. Immer häufiger berichten Redaktionen in ihren Beiträgen und darüber hinaus, wie sie arbeiten und wie ein Beitrag zustande gekommen ist. Damit hat sich der Journalismus gewissermaßen etwas von der Offenlegung der Methode in wissenschaftlichen Artikeln abgeschaut. Auch die Menschen selbst gewinnen über die Institution hinaus an Bedeutung: Wenn Bürgerinnen und Bürger wissen, welche Forscherin oder welcher Journalist hinter einer wissenschaftlichen Studie oder einem journalistischen Artikel steckt, was sie antreibt und wie sie arbeiten, stärkt das die Glaubwürdigkeit.
F&L: Worin unterscheidet sich die Kommunikation von Wissenschaft und Journalismus?
Klaus Meier: Der Wissenschaftsjournalismus hat als Sparte des Journalismus eine wichtige demokratische Funktion. Er muss interessenunabhängig informieren, einordnen, kritisieren und kontrollieren. Journalismus muss Missstände aufdecken und, wann immer notwendig, den Finger in die Wunde legen. Seine Auswahl von Themen unterliegt der Aktualität, also der augenblicklichen Interessenlage von Publikum und Gesellschaft – auch als "Frühwarnsystem". Wissenschaftskommunikation dagegen ist das Sprachrohr der Wissenschaft. Zwar beruht sie in der Regel auf Forschungserkenntnissen und damit auf Evidenz, doch auch sie ist letztlich davon geleitet, die jeweilige Institution auf der Bühne der Öffentlichkeit positiv zu präsentieren. Die alleinige Kommunikation von Teilinteressen ohne vermittelnden und recherchierenden Journalismus würde bedeuten, dass gesellschaftliche Herausforderungen und Missstände vernachlässigt werden und die gesellschaftliche Orientierung darüber verloren geht, was für uns alle wichtig ist. Die Wissenschaft, die das Klimasystem der Erde erforscht, kommuniziert etwa seit vielen Jahren, dass es längst fünf für zwölf ist. Tiefergehende politische Entscheidungen scheinen aber erst jetzt angeschoben, als die Medien weltweit über die Proteste junger Menschen intensiv berichten. Und die Proteste alleine hätten ohne mediale Aufmerksamkeit vermutlich wenig bewirkt.
F&L: Wie steht es aktuell um den Wissenschaftsjournalismus?
Klaus Meier: Die Finanzierung des Journalismus ist schwieriger als noch vor 20 Jahren. Auch in den Wissens-Ressorts werden Stellen gekürzt. Parallel stehen Journalistinnen und Journalisten stärker unter Zeitdruck; die Taktung von Nachrichten nimmt weiter zu. Dabei stehen Wissenschaftsjournalisten unter strenger Beobachtung: Wissenschaftler reagieren als Fachexperten verständlicherweise allergisch auf Fehler in journalistischen Artikeln. Ich habe sehr großen Respekt vor Wissenschaftsjournalisten, die sich in eine Materie einarbeiten, ohne eine Studie selbst durchgeführt zu haben. Dabei ist es unumgänglich, dass Wissenschaftsjournalisten eine gewisse Distanz zum Wissenschaftssystem bewahren, um unbefangen berichten zu können. Wir stecken immer mehr öffentliche Mittel in die Wissenschaftskommunikation; Forschende in DFG-Projekten sind inzwischen angehalten, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und dafür Geld einzuplanen. Dabei sollten wir vielmehr darüber diskutieren, wie ein unabhängiger Wissenschaftsjournalismus erhalten und gestärkt werden kann – auch und gerade mit öffentlichen Mitteln. In der Schweiz gibt es bei der Nachrichtenagentur SDA beispielsweise eine Wissenschaftsredakteurin, die von Schweizer Hochschulen und dem Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird. Die Universitäten Genf, Lausanne und Neuenburg beteiligen sich an den redaktionellen Kosten des öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsenders RTS. Wenn aber die Forschung selbst eine Redaktion bezahlt, ist die Distanz in Gefahr. Ein Stiftungsmodell, eine Art Nationalfonds für Wissenschaftsjournalismus, könnte die Unabhängigkeit bei öffentlicher Finanzierung sichern.
F&L: Die Wissenschaftskommunikation ist verglichen mit dem Wissenschaftsjournalismus eine junge Profession. Was kann sie sich vom Journalismus abgucken?
Klaus Meier: Es ist wichtig, bei der Kommunikation von Wissenschaft die jeweilige Zielgruppe im Blick zu halten und nicht nur faktisch zu berichten, sondern auch emotional zu berühren. Es gibt in der Wissenschaft viele Publikationen, die den Anspruch haben, jeden zu erreichen – etwa Universitätszeitschriften – aber das funktioniert kaum mehr. Wissenschaftler sollten sich auf die Regeln der Öffentlichkeit einlassen und ihren Kommunikationsabteilungen vertrauen, die richtigen Formate für die jeweilige Zielgruppe zu finden. Immer wichtiger wird es zu zeigen, dass Forschungsergebnisse nicht von anonymen Institutionen produziert werden ("Eine Studie der Universität XY hat ergeben, dass..."), sondern von Menschen aus Fleisch und Blut. Formate, die die Persönlichkeit der Forscherinnen und Forscher lebendig darstellen, sind wirkmächtig. Dazu gehören auch nicht medial vermittelte persönliche Treffen wie bei einem Tag der offenen Labortür oder einem Science Slam. Aber auch kurze Videos auf Social Media Plattformen, wie sie zum Beispiel beim Webvideo-Wettbewerb "Fast Forward Science" prämiert werden.
F&L: Was bedeutet das für die Kommunikation von Forschungserkenntnissen, die nicht so anschaulich verpackt werden können?
Klaus Meier: Es gibt definitiv Gebiete, die sich schwer veranschaulichen lassen. Dennoch finden sich in der Regel zumindest Teilaspekte, die sich auf den Alltag von Menschen beziehen lassen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten auch offener werden, indem sie sich zu Fragen aus ihrem Fachgebiet äußern, die die Gesellschaft gerade bewegen, obwohl sie dazu gerade nicht unmittelbar forschen. Ich war vor kurzem zum Beispiel auf einer Tagung der Klassischen Philologie eingeladen. Wir haben herausgearbeitet, dass diese Wissenschaft den Menschen eigentlich viel zu sagen hätte, was alltägliche Fragen (Was ist die Welt? Wer bin ich? Welche Werte zählen heute noch? Oder: Was wir von den alten Griechen lernen können) und was aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen betrifft (Was ist Europa? Brauchen wir Europa? Woher kommt das "Abendland"? Was ist "Heimat"?).
F&L: Sie forschen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Journalismus. Wie hat die Diskussion über "Fake News" Ihre Arbeit verändert?
Klaus Meier: Wir sind mit unseren Schlussfolgerungen differenzierter geworden. Kritik am Journalismus gehört schon lange zur Journalismusforschung dazu; neu ist, dass diese Kritik jetzt von Populisten einseitig ausgeschlachtet wird, um deren absurde Thesen zu einer so genannten "Mainstream-Presse" zu belegen. Wir erklären genauer, in welchem Zusammenhang wir zu unseren Ergebnissen gekommen sind und kommunizieren ausführlicher, was wir früher als bekannt angenommen haben: dass Journalismus grundsätzlich eine gute und für die Demokratie zentrale Arbeit macht, auch wenn Fehler passieren. Auch versuchen wir den Austausch mit Schulen weiter zu stärken. Wir zeigen, was "Fake News" sind, oder wie Schülerinnen und Schüler Informationsqualität einschätzen können. Ich halte die Vernetzung von Wissenschaft und Schulen in allen Disziplinen für ganz entscheidend, um die aufgeklärte Gesellschaft zu stärken.
F&L: Sie sind in den sozialen Netzwerken auch mit Kritik an von Ihnen geteilten Studien konfrontiert. Was haben Sie aus den Diskussionen für sich mitgenommen?
Klaus Meier: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es wahnsinnig hilfreich ist, meine Argumente mit Quellen zu belegen und den Link auf wissenschaftliche Artikel setzen zu können. "Open Access" halte ich daher vor dem Hintergrund der "Fake News" und "Fake Science" für eine sehr wichtige Entwicklung. Menschen lesen die Studien vermutlich in aller Regel nicht, aber sie könnten es tun und das vermittelt Glaubwürdigkeit. Ist mein Artikel dagegen hinter einer Bezahlschranke versteckt, bestärkt das Verschwörungstheorien und diejenigen, die uns vorwerfen, dass die Wissenschaft ein geschlossenes und elitäres System sei.