Serie: 25 Jahre Forschung & Lehre
"Zeit bedeutet Freiheit"
Wissenschaftler sind Möglichkeitsmacher: Zukunfts-Garanten einer Offenheit im Denken. In aktuell wieder repolitisierten Zeiten haben wir zudem die Chance, die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen zu markieren. Eine Beratungs-Demokratie braucht und nutzt verantwortliche Kommunikation, die von Universitäten aus geführt werden könnte. Unser immer vorläufig generiertes wissenschaftliches Wissen überzeugt dabei sicher keine Snapchat-Wähler, die auf die Legitimation des Augenblicks am Wahltag setzen. Doch die Mehrzahl der Wähler honoriert kluge Angebote, die eine sichere Zukunft im Blick behalten. Und genau die ist ohne Wissenschaftsfreiheit unrealistisch.
Formal sichert das Grundgesetz diese Freiheit. Informell wachsen die Fragezeichen, wie frei sich die Wissensorganisation der Universitäten oder Hochschulen noch entwickeln. Denn der Wettbewerbsdruck ruiniert das Freiheitsstreben. Das Geldeinwerben korrumpiert im Zeitverlauf. Der Quantifizierungs- und Optimierungskult fördert das "metrische Wir" (Mau). Dahinter verbergen sich Ranking-Skalen und politische Rangbildungen, die für Reputationsmanagement optimal sind. Sie steuern aber längst unsere Beurteilungen, was wissenschaftlich sein sollte. Und sie verfestigen auch Ungleichheit in Systemen.
Zeit ist eine kraftvolle Ressource für Erkenntnisse
Wir haben uns das selber eingebrockt. Verklärte Rückblicke nutzen dabei wenig. Es bedarf der Sensibilität der Leitungsverantwortlichen, der Freiheit wieder Vorfahrt zu geben. Die Einsicht in die Kraft der Ressource Zeit wäre dabei ein wichtiger erster Schritt. Wie sichern wir selbstbestimmte Eigen-Zeit für Forschung und Lehre? Zeit ist ein Codewort für Freiheit. Wer Zeit hat, kennt Optionen, hat Dispositionsmöglichkeiten. Wir sollten als Wissenschaftler keine Manager des Moments sein, sondern Akteure mit Zeit und Muße – Premium-Abwarter mit geduldiger Reflexion über Optionen. Ohne Auswahl keine wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Wer nur Kurzstreckenläufer fördert mit Journal-Denken und kumulativen Ergebnissen, verdrängt, wie sich jahrhundertelang wissenschaftlicher Fortschritt vollzogen hat: durch Bücherlesen und Bücherschreiben. Langstreckenläufer markieren einen wissenschaftlich gerechten Zeithorizont. Wo sind die Förderer und die Möglichkeitsstrukturen, die so ein Umdenken erzwingen könnten? Nicht die Nostalgie ist dabei der Maßstab. Vielmehr die Sicherung der Freiheit des Denkens. Zielwahrende Entschleunigung kann neue Kräfte mobilisieren. Universitäten als Entschleunigungs-Oasen? Warum nicht, wenn das wildes und riskantes Denken inspiriert – gerade in einer Generation der engagiert Verzweifelten.
Führungsverantwortung ist angesagt, um Phasen von kontrafaktischer Stabilität zu überwinden. Denn längst blenden die Wissensorganisationen scheinbar unpassende Erfahrungen aus, sie lernen nicht mehr angemessen und verharren in scheinbarer Stabilität. Dabei würde bereits die Aussicht auf Veränderungen Euphorie freisetzen. Sie erzeugt in Deutschland politisch-kulturell oft mehr Begeisterung als eine tatsächliche Änderung des Status quo. Aber immerhin!