Eine Frau schreibt am Laptop
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Datenschutz
"Hochschulen bewegen sich auf Glatteis"

Hochschulen haben während der Corona-Pandemie ihre digitalen Prüfungsangebote ausgebaut. Einiges davon hält Rolf Schwartmann für kritisch.

Von Katrin Schmermund 21.01.2021

Forschung & Lehre: Herr Professor Schwartmann, Sie halten viele der aktuell eingesetzten digitalen Prüfungsformate für datenrechtlich problematisch. Was kritisieren Sie?

Rolf Schwartmann: Viele Hochschulen erheben bei Online-Prüfungen zahlreiche Daten von Studierenden. In vielen Fällen fehlt ihnen dazu nach meiner Einschätzung die Rechtsgrundlage. Ein Beispiel sind Aufzeichnungen von Klausuren, die per Videocall durchgeführt werden. Die Hochschulen begründen das damit, dass sie die Prüfung nicht ausreichend beaufsichtigen können und daher den Mitschnitt brauchen. Das halte ich aus Datenschutzsicht für äußerst fraglich. Viele scheinen zu vergessen, dass beim Datenschutz europäisch einheitliche Vorgaben gelten, die anders als das Prüfungsrecht nicht auf Landesebene modifiziert werden können. Probleme bestehen bei der Freiwilligkeit und der Erforderlichkeit.

F&L: Was meinen Sie damit?

Rolf Schwartmann:
Die Freiwilligkeit soll insbesondere dadurch gewahrt werden, dass Hochschulen zu einer Online-Prüfung immer auch eine parallele Präsenzprüfung anbieten müssen. Bayern, Hessen und Baden-Württemberg haben dazu Regelungen getroffen. Während des Lockdowns ist das nicht umsetzbar und die Online-Prüfung damit strenggenommen auch nicht. Außerhalb einer Lockdown-Situation ist bei Risikopatienten ebenso fraglich, ob die Online-Teilnahme für sie als freiwillig gelten kann. Trotz Sicherheitsvorkehrungen könnten sie Angst haben, sich bei einer Teilnahme in Präsenz mit dem Coronavirus anzustecken.

Eine Hochschule darf nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) außerdem nur solche Daten verarbeiten, die für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Ein Mitschnitt ist, wie ich schon zu Beginn der Pandemie betont habe, in der Regel nicht erforderlich, auch wenn Bayern und Hessen die Fernaufsicht – und bei Personalmangel auch den Mitschnitt – zulassen, und der Gesetzgeber in Baden-Württemberg zumindest die Fernaufsicht. Hinzu kommen technische Aspekte: Was ist, wenn mehrere Personen im Haushalt das Internet nutzen und die Verbindung zu schwach für einen Call mit eingeschalteter Kamera ist? Welche Konsequenzen hat es, wenn die Verbindung abbricht oder „abgebrochen wird“? Der Umgang mit solchen Situationen wirft Fragen der Chancengleichheit in Prüfungen auf.

F&L: Der Grund für Online-Prüfungen dürfte die Suche nach pragmatischen Lösungen sein, damit Studierende mit ihrem Studium vorankommen…

Rolf Schwartmann:
In vielen Fällen ist das nicht notwendig, weil alternativ Open-Book-Ausarbeitungen möglich sind. Die kommen ohne Fernaufsicht aus. Die Aufgaben können entweder als Hausarbeit oder "klausurartig" gestellt werden, was prüfungsrechtlich ebenfalls als eine Hausarbeit gilt. Die Prüfungsform zielt auf anwendungsbezogenes Wissen anstatt reiner Wissensabfrage. Bei einer solchen "klausurartigen Prüfung" können sich Studierende die Aufgaben von Lernplattformen wie "Ilias" runterladen, in einer vorgegebenen Zeit handschriftlich bearbeiten, ein Foto von den Unterlagen machen und sie auf die Plattform hochladen. Von dort wird sie ausgedruckt und an die Prüfer zur Korrektur geschickt. 

Rolf Schwartmann ist Professor an der TH Köln und Sachverständiger des Deutschen Hochschulverbands (DHV) für IT- und Datenrecht. Schmülgen/TH-Köln

F&L: Wie wollen Sie bei Open-Book-Ausarbeitungen sicherstellen, dass nicht gepfuscht wird?

Rolf Schwartmann: Was ich als Hochschullehrer machen kann und muss: Ich lasse mir wie bei Hausarbeiten von den Studierenden versichern, dass sie die Prüfungsleistung selbst angefertigt haben, und ich stelle die Aufgaben so, dass Pfuschen schwierig ist. Dazu gehört, dass ich Aufgabenstellungen wähle, die nicht mal eben zu googlen sind, kurze Bearbeitungszeiten wähle und die Arbeit handschriftlich schreiben lasse, damit Studierende nicht so leicht Passagen aus anderen Texten kopieren können. Hundertprozentig kann ich Pfusch-Versuche nicht ausschließen, aber auch bei Hausarbeiten kann ich nicht verhindern, dass eine andere Person die Arbeit geschrieben hat. Genauso wenig kann ich bei Video-Klausuren sicherstellen, dass ein Student oder eine Studentin nicht während des Toilettengangs in Unterlagen schaut oder die Klausur an jemanden anderen übergibt, der sie bis zum zweiten Gang bearbeitet. Technisch versierte Studierende haben außerdem schnell einen Remote-Zugang auf ihrem Notebook eingerichtet, über den eine andere Person auf ihre Arbeit zugreift und sie bearbeiten kann.

F&L: Eine Täuschung über einen externen Remote-Zugriff könnten Hochschulen nachvollziehen.

Rolf Schwartmann: Setzt die Hochschule ihrerseits einen "Lockdown-Browser" mit Zugriff auf private Rechner ein, wird es verfassungsrechtlich heikel. Das Bundesverfassungsgericht hat 2008 das oft vergessene Grundrecht auf "Integrität informationstechnischer Systeme" entwickelt. Es verbietet dem Staat heimliche Zugriffe. Nichts anderes geschieht, wenn Hochschulen ähnlich vorgehen; auch, wenn es nicht heimlich wäre. Da niemand genau sagen kann, was die staatliche Software auf dem Rechner der Studierenden alles macht, wäre ich da vorsichtig.

F&L: Welche Alternativen sehen Sie für Prüfungen, bei denen das Open-Book-Format nicht in Frage kommt, wie in Sport oder Medizin, wo praktische Prüfungen beziehungsweise Multiple-Choice-Prüfungen typisch sind?

Rolf Schwartmann: Prüfungen, die nicht über Open-Book-Formate laufen können, sind in Ausnahmefällen möglicherweise erforderlich und deshalb datenschutzrechtlich zulässig. Werden solche Prüfungen verschoben, kann es sein, dass sich Gerichte auf den Standpunkt stellen, dass Hochschulen ihre Pflichten nicht erfüllt haben, obwohl sie es datenschutz- und prüfungsrechtlich gedurft und technisch gekonnt hätten. Das muss im Einzelfall entschieden werden, betrifft aber sehr wenige Prüfungen. Bei mündlichen Prüfungen halte ich einen Videocall zum Beispiel für gerechtfertigt – ohne Videoaufzeichnung. Bei solchen Prüfungen ist der unmittelbare Austausch mit Mimik und Gestik für den Gesprächsverlauf entscheidend. Auch wer etwas vorturnen oder praktisch ausführen soll, den muss ich sehen, aber nicht aufzeichnen. Das darf ich in dieser Sondersituation auch. Sobald das nach dem Lockdown wieder möglich ist, müssten solche Prüfungen aber wieder in Präsenz stattfinden.

F&L: Welches Risiko gehen Hochschulen beim Datenschutz ein?

Rolf Schwartmann: Die Videoüberwachung steht nicht ohne Grund im Fokus der Datenschutzaufsicht. Es muss nur ein Student oder eine Studentin im Nachhinein gegen eine Hochschule klagen und schon hat diese ein Problem. In Niedersachsen wurde zum Beispiel kürzlich ein Bußgeld von 10 Millionen gegenüber einem Unternehmen wegen einer unzulässigen Videoüberwachung verhangen. Auch kann es sein, dass ich Familienangehörige mit aufzeichne, die kurz durchs Bild laufen. Für Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer ergeben sich allerlei mögliche Verletzungen ihrer Aufsichtspflicht, wenn sie in der Aufzeichnung etwa kurz zur Seite oder nach unten schauen und den Bildschirm zur Aufsicht der Prüfung nicht im Blick halten. Viele Hochschulen bewegen sich derzeit datenschutzrechtlich auf gefährlichem Glatteis. Öffentliche Hochschulen bekommen zwar keine Bußgelder. Es ist aber nach der DSGVO möglich, dass Studienende die Hochschule wegen der datenschutzwidrigen häuslichen Überwachung auf Schadensersatz in Form eines Schmerzensgeldes verklagen.