Student am Laptop mit Unterlagen
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Digitales Semester
Was beim digitalen Prüfen rechtlich zu beachten ist

Im digitalen Semester sind Hochschulen nicht nur organisatorisch gefragt. Professor Rolf Schwartmann erklärt die rechtlichen Spielräume.

Von Katrin Schmermund 11.05.2020

Forschung & Lehre: Herr Professor Schwartmann, aufgrund der Corona-Pandemie müssen Hochschulen nicht nur die Lehre ins Digitale verlegen. Auch Prüfungen müssen weitestgehend neu organisiert werden. Sehen Sie die Hochschulen dafür gerüstet?

Rolf Schwartmann: Die Hochschulen wurden von den Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie überrollt. Eine Präsenzhochschule ist nicht darauf ausgerichtet, von jetzt auf gleich ins Digitale zu wechseln. Sie kann dafür also allenfalls bedingt gerüstet sein. Den Betrieb dienstrechtlich, prüfungsrechtlich und datenschutzrechtlich belastbar aufrechtzuerhalten, verlangt neben Rechtskenntnissen viel Einsatz mit Augenmaß, Umsicht, Weitsicht und Demut mit Blick auf das Machbare.

F&L: Was ist rechtlich zu beachten?

Rolf Schwartmann: Digitale Angebote gehen immer mit einer Verarbeitung von Daten einher. Die unterliegt an deutschen Hochschulen den Regeln der europäischen Datenschutzgrundverordnung und des Datenschutzrechts der Bundesländer. Grundsätzlich darf eine Hochschule demnach solche Daten verarbeiten, die für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Ist eine Datenverarbeitung nicht erforderlich, müssen Beteiligte die Hochschule per Einwilligung dazu legitimiert haben. Diese Einwilligung können sie nachträglich jederzeit widerrufen.

Portraitfoto von Prof. Dr. Rolf Schwartmann
Rolf Schwartmann ist Professor an der TH Köln und Sachverständiger des Deutschen Hochschulverbands (DHV) für IT- und Datenrecht. Schmülgen/TH-Köln

F&L: Was bedeutet das zum Beispiel für Videokonferenzen?

Rolf Schwartmann: Videokonferenzen sind als Ersatz der Live-Veranstaltung oder Prüfung vor Ort zu sehen. Ohne Mitschnitt halte ich diese in der Pandemie ohne Einwilligung grundsätzlich für zulässig, weil es in dieser Situation im Massenbetrieb nicht anders geht, wenn man ein "Nullsemester" für viele vermeiden will. Anders sieht es beim Mitschnitt aus: Dieser mag "nett" sein, aber er ist nicht erforderlich. Deshalb darf ein Mitschnitt nur mit Einwilligung aller Beteiligten erfolgen. Faktisch ist die jedoch unbrauchbar, wenn man sicher planen möchte. Was nutzt es, wenn alle Studierenden sich zu Beginn des Semesters mit dem Mitschnitt einer Veranstaltung unter mündlicher Beteiligung oder einer Prüfung einverstanden erklärt haben und später ein Betroffener die Einwilligung widerruft? Dann muss alles gelöscht werden, wenn man die Beiträge der Person nicht aus dem Mitschnitt entfernen kann. Hinzu kommt, dass bei Prüfungen ohnehin ein Protokoll zur Dokumentation erstellt werden muss.

F&L: Um digital lehren und prüfen zu können, muss erst einmal eine passende Software her – was muss dafür geklärt werden?

Rolf Schwartmann: Datenschutzrechtlich müssen Hochschulen mit Software-Anbietern eine Vereinbarung zur Auftragsverarbeitung abschließen. Darüber hinaus haben sie die Aufgabe, Betroffenenrechte zu wahren und Organisationspflichten zu erfüllen. Dazu gehört, dass sie darüber informieren müssen, dass, warum und wie Daten verarbeitet werden. Die Daten dürfen nur so lange gespeichert werden wie nötig und deren Sicherheit muss gewährleistet sein.

"Für die Konsequenzen von Alleingängen sind die Lehrenden und Prüfenden datenschutzrechtlich allein verantwortlich."

F&L: Welche Verantwortung tragen die einzelnen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer?

Rolf Schwartmann: Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer sollten sich schon aus dienstrechtlichen Gründen an das halten, was die Hochschule als rechtmäßig vorgibt. Zwar gestatten die Lehrfreiheit und die Weisungsfreiheit an Hochschulen im Zweifelsfall Alleingänge. Für die Konsequenzen sind die Lehrenden und Prüfenden datenschutzrechtlich dann aber allein verantwortlich.

F&L: Unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz vor Ansteckungen mit Covid-19 können Hochschulen einzelne Prüfungen vor Ort durchführen. Welche sollten dafür ausgewählt werden?

Rolf Schwartmann: An Hochschulen abgelegte Bestandteile von staatlichen Prüfungen, etwa beim Wirtschaftsprüferexamen oder beim juristischen Staatsexamen, können wegen der Aufsichtspflicht vermutlich rechtssicher nur per Präsenzprüfung abgenommen werden. Sie sollten auf jeden Fall dazugehören. In den verbleibenden Fällen muss man nach sachgerechten Kriterien wegen der knappen Kapazität differenzieren. Präsenzprüfungen sind derzeit mit einem erheblichen Aufwand verbunden: Jeder Prüfling, der das Gebäude betritt, muss dem Präsidium gemeldet und dokumentiert werden, insbesondere um bei Verdacht auf Kontakt mit einem Infektionsfall informiert werden zu können. Prüfungszeiträume müssen gegebenenfalls verlängert werden. Räume müssen desinfiziert und im Zweifel neu bestuhlt werden. Auch für die Belüftung der Räume gelten verschärfte Regeln. Zudem müssen gegebenenfalls Sonderregelungen für Personen getroffen werden, denen der Aufenthalt in der Hochschule aufgrund von Vorerkrankungen nicht zugemutet werden kann. Hochschulpersonal mit eigenen Gesundheitsrisiken oder solchen im persönlichen Umfeld steht für die Aufsicht nicht zur Verfügung.

"Digital sollten schriftliche Prüfungen nur als Hausarbeiten abgenommen werden, die man eben nicht beaufsichtigen muss."


F&L: Welches Prüfungsformat empfehlen Sie für Vorlesungen, an denen mehrere hundert Studierende teilgenommen haben?

Rolf Schwartmann: Große Kurse werden in der Regel über Klausuren geprüft. Ich halte es aber grundsätzlich für ausgeschlossen, Aufsichtsarbeiten per Videokonferenz anzubieten. Man kann eine dezentral geschriebene Arbeit online nicht wirksam beaufsichtigen.  Den Prüflingen die technische und räumliche Hoheit über ihre eigene Beaufsichtigung zu verantworten und das auch noch per Videokamera überwachen zu wollen, ist datenschutzrechtlich sehr fraglich und prüfungsrechtlich Harakiri. Probleme bereitet bei kurzen Bearbeitungszeiträumen im Netz schon die Performanz der Angebote, also dass die Software über das Netz überall stabil arbeitet. Außerdem müssen alle Beteiligten Geräte mit Kameras oder Mikrofonen haben. Die Einbindung privater Geräte von Studierenden verschärft die Chancengleichheit ohnehin schon, bei Prüfungen ist das besonders problematisch. Digital sollten schriftliche Prüfungen nur als Hausarbeiten abgenommen werden, die man eben nicht beaufsichtigen muss. Zur Wahrung des Prüfungsrechts ist es sehr wichtig, diese Zuordnung korrekt vorzunehmen.

F&L: Was bedeutet das?

Rolf Schwartmann: Die Umstellung auf Hausarbeiten in einem bestimmten Kurs muss explizit festgelegt werden. Sie ist prüfungsrechtlich zulässig, weil die Hochschulen während der Corona-Pandemie Freiräume in der Umstellung der Prüfungsformen haben. "Hausarbeit" ist dabei für mich ein Sammelbegriff für dezentral zu erstellende Open-Book-Ausarbeitungen. Dazu können auch Lernportfolios oder verschriftliche Projektarbeiten zählen. Die Anforderungen sind unterschiedlich. Juristen beantworten Fragen und lösen Fälle, Ökonomen spielen Konstellationen durch, Chemiker beschreiben Versuchsabläufe, Mathematiker erklären Berechnungswege….

F&L: Ein anderer Vorschlag lautet, die seit Jahrzehnten durchgeführten Multiple-Choice-Verfahren aus der Medizin auf andere Fächer auszuweiten. Viele Hochschulen haben E-Prüfungscenter,  sodass eine gewisse Zahl an Studierenden keine eigenen Geräte bräuchte. Eine sinnvolle Ergänzung?

Rolf Schwartmann: Datenschutzrechtlich wirft das keine besonderen Probleme im Vergleich zu anderen Prüfungen ohne Präsenz auf. Allerdings müssen  Hochschulen die erforderlichen technischen und organisatorischen Voraussetzungen im Blick haben. Ich denke an die Authentifizierung der Nutzer, die Klärung der Zugriffsberechtigungen auf die Eingaben von Studierenden und Prüfenden und besondere Speicher- und Löschkonzepte, die auf das Prüfungsrecht abgestimmt werden müssen. Hier muss man sich fragen, wie man dem Verwaltungsgericht im Streitfall eine saubere Prüfungsakte unterbreitet.

F&L: Sie nannten diese bereits: die Freiräume für Hochschulen in Regelwerken wie der "Corona-Epidemie-Hochschulverordnung" von NRW. Was halten Sie davon?

Rolf Schwartmann: Für die rechtssichere und flexible Bewältigung der Pandemie in prüfungsrechtlicher Sicht sind diese Freiräume ein wichtiges Instrument: Die technischen, räumlichen und rechtlichen Gegebenheiten sind überall verschieden.

"Bei Prüfungen bin ich sehr skeptisch, dass wir sie technisch und rechtlich in absehbarer Zeit rechtssicher und flächendeckend digital abnehmen können."

F&L: Gleichzeitig erhöht diese Freiheit die Möglichkeit, gegen datenschutzrechtliche Vorschriften zu verstoßen…

Rolf Schwartmann: Datenschutzrechtlich haben die Länder keinen Spielraum für nennenswerte Abweichungen vom europäischen Datenschutzrecht der DSGVO und die Hochschulen auch nicht. Die Verpflichtung auf Datenschutz und Datensicherheit ist in Zeiten explodierender Datenverarbeitung von besonderer Bedeutung – das galt auch schon vor Corona.

F&L: Das digitale Lehren kann den ortsunabhängigen und globalen Zugang zu deutschen Universitäten stärken – sind die rechtlichen Einschränkungen nicht eine verpasste Chance?

Rolf Schwartmann: Die technischen Gegebenheiten und das didaktische Gesamtkonzept spielen eine wichtige Rolle. Man kann digitale Lehre nur sehr begrenzt zur allgemeinen Dienstpflicht erheben. Persönlich würde ich künftig gern hier und da auf digitale Lehrangebote zurückgreifen. Aber grundsätzlich leben meine Veranstaltungen in der humboldtschen Tradition vom Diskurs zwischen den Studierenden und mir. Das ist der Nährboden für meine Forschung. Dazu brauche jedenfalls ich räumliche Nähe. Bei Prüfungen bin ich sehr skeptisch, dass wir sie technisch und rechtlich in absehbarer Zeit rechtssicher und flächendeckend digital abnehmen können.