Prof. Beatrix Busse
privat

Corona-Pandemie
"Stellen uns darauf ein, das komplette Semester digital durchzuführen"

Kommende Woche starten die Hochschulen digital in das Sommersemester. Eine Prorektorin für Lehre erklärt, was das organisatorisch bedeutet.

Von Katrin Schmermund 14.04.2020

Beatrix Busse erreiche ich zwischen zwei Videokonferenzen. Eine Woche vor dem verschobenen Semesterstart am 20. April koordiniert die Kölner Prorektorin für Lehre und Studium mit Fachvertretern, IT und Asta, wie das kommende Semester digital gelingen kann. Auf das Ergebnis schauen mit mehr als 50.000 Studierenden und rund 10.000 Beschäftigten in Wissenschaft und Verwaltung die meisten Augen einer Volluniversität in Deutschland. Ein "Pausensemester", das nicht offiziell zähle, sei in Köln nie ein Thema gewesen, sagt Busse.

Forschung & Lehre: Frau Professorin Busse, Sie haben Ihr Amt als Prorektorin im Herbst 2019 mit dem Ziel angetreten, Studium und Lehre "nach den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts zu modernisieren" – jetzt dürften Ihnen alle zuhören….

Beatrix Busse: Natürlich haben wir uns auch schon vor der Corona-Pandemie in zahlreiche Strategieprozesse begeben, aber jetzt herrschen natürlich ein großer solidarischer Spirit und Wille an der Universität, diese herausfordernde Situation zum Schutze und im Sinne aller zu bewältigen. Wir entwickeln digitale Lösungen, die Studium und Lehre im kommenden Semester ermöglichen und Studierende und Lehrende gleichzeitig nicht überfordern. Beschäftigte müssen so gut es geht für die Arbeit im Homeoffice ausgestattet sein, die technische Infrastruktur muss angepasst werden, und wir suchen nach Lösungen für Laborkurse, die kaum digital durchführbar sind. Mit den "Erfordernissen des 21. Jahrhunderts" meine ich aber mehr: zum Beispiel eine noch stärkere Internationalisierung und Vernetzung der Universität, ein "entreprenneurial mindset" unter den Studierenden. Daran werden wir weiter arbeiten – auch wenn die Planung des kommenden Semesters gerade die meiste Zeit in Anspruch nimmt.

F&L: Wo stehen Sie mit Blick auf das Semester – was ist bereits geregelt, was noch ungeklärt?

Beatrix Busse: In den vergangenen Wochen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rechenzentrums unsere Serverkapazitäten für den erhöhten Datenverkehr aufgestockt, und wir haben neue Lizenzen für Software zur digitalen Lehre gekauft. Technisch sind wir damit gut gerüstet. Parallel haben wir die Informationen auf der Website der Universität zum digitalen Studium und Arbeiten erweitert und Schulungen entwickelt, damit sich Dozierende auf die digitale Lehre vorbereiten und ihre Arbeit digital steuern können. Dazu zählen zum Beispiel ein Einführungs-Webinar "Lehrveranstaltungen in ILIAS digital anbieten: Ihr Weg aus der Präsenzveranstaltung" und Veranstaltungen zum didaktischen Einsatz der Software "Zoom" in der Hochschullehre. Diese Angebote bauen wir sukzessiv aus – je nachdem, welche Fragen uns Studierende und Dozierende stellen. In der Klärung ist gerade noch die Frage, wie wir Prüfungen digital abnehmen können. Wir haben an der Universität ein sogenanntes E-Prüfungscenter, in dem Studierende normalerweise elektronisch Prüfungen ablegen können, suchen aber aufgrund der aktuellen Kontaktbeschränkungen nach Lösungen, damit Studierende die Prüfungen auch zu Hause ablegen können.

"Die Corona-Pandemie soll, wenn eben möglich, nicht zu einer längeren Studiendauer führen." Beatrix Buss, Prorektorin für Lehre und Studium

F&L: Wie könnte das aussehen?

Beatrix Busse: Wir planen zum Beispiel sogenannte "Open-Book-Prüfungen", die Studierende in einem vorgegebenen Zeitfenster mit vorgegebenen Hilfsmitteln zu Hause ablegen können. Mündliche Prüfungen wollen wir so weit wie möglich per Videokonferenz und sonst vor Ort durchführen. Studierende würden dann einzeln in einen Raum kommen.

F&L: Damit dürften Sie deutlich weniger Prüfungen abnehmen können...

Beatrix Busse: Alle Prüfungen werden wir so in den kommenden Wochen nicht durchführen können. Studierende werden dadurch aber keinen Nachteil haben. Entweder sind alternative Prüfungsformen gefunden worden oder die Prüfungen werden nachgeholt. Außerdem haben wir die Fristen für die Abgabe schriftlicher Hausarbeiten verlängert, Zertifikate sowie Nachweise können nachgereicht werden. Das gilt auch, wenn sich Studierende nach einem Bachelor für einen anschließenden Master an unserer Universität bewerben wollen.

F&L: Müssen sich Studierende darauf einstellen, durch die Corona-Pandemie länger zu studieren als geplant?

Beatrix Busse: Die Corona-Pandemie soll, wenn eben möglich, nicht zu einer längeren Studiendauer führen. Wir wollen es auf allen Ebenen realisieren, Studierenden unter den veränderten Bedingungen ein vollwertiges Sommersemester anzubieten.

F&L: Was ist mit Laborkursen?

Beatrix Busse: Wir wollen einen Teil der Kurse über Virtual Reality durchführen. Die restlichen Kurse wollen wir unter den vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen und Hygienerichtlinien des Robert Koch Instituts vor Ort in den kommenden Monaten nachholen.

F&L: Mitten im Semester könnte die Präsenzlehre wieder möglich sein. Wie binden Sie das in Ihre Planungen ein?

Beatrix Busse: Wir stellen uns bisher darauf ein, das komplette Semester digital durchzuführen. Damit wollen wir sowohl den Dozierenden als auch den Studierenden Planungssicherheit geben. Selbst, wenn die Kontaktbeschränkungen gelockert werden sollten, wie sich auch nach den Vorschlägen der Leopoldina andeutet, können wir an einer Universität wie Köln nicht von jetzt auf gleich zur Präsenzlehre zurückkehren. Das wäre verantwortungslos. Gleichzeitig entwickeln wir aber natürlich Szenarien, um schrittweise wieder in den Präsenzbetrieb zurückzukehren, wofür wir bestimmte Vorschriften erfüllen müssen. Sollten wir zum Beispiel im Mai die Universitäten wieder öffnen können, könnten wir nur 20 Prozent der sonstigen Studierenden in einem Raum lassen. Auch dürfte die Lehre nur in bestimmten Räumen stattfinden, weil nicht alle die vorgegebenen Hygienerichtlinien erfüllen.

F&L: Sie haben vor einigen Tagen eine neue Plattform zur digitalen Lehre gelauncht. Die Informationen formulieren sie als Empfehlungen. Haben Beschäftigte letztlich die freie Wahl, wie sie Lehre und Videokonferenzen organisieren?

Beatrix Busse: Ja, wir geben bewusst nichts vor, denn Lehrende sind grundsätzlich frei in der Gestaltung ihrer Lehre. Aber natürlich beraten wir bei Fragen, welche Software oder welche Tools sinnvoll genutzt werden können. Auch raten wir dazu, große Veranstaltungen wie Vorlesungen asynchron durchzuführen, die Inhalte also aufzuzeichnen und dann auf unserem Lernmanagementsystem "Ilias" hochzuladen. Das ist für Dozierende mit keiner oder wenig Erfahrung in der digitalen Lehre nicht nur in der Regel entspannter, es verbraucht im Vergleich zu großen Webinaren auch wesentlich weniger technische Ressourcen und verhindert, dass es zu Problemen während der Übertragung kommt.

F&L: Wie können Sie als Hochschule bei einer solch freien Auswahl den Schutz sensibler personenbezogener Daten sichern?

Beatrix Busse: Erst einmal gehe ich davon aus, dass sich Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer an den Empfehlungen orientieren werden, die wir auf unserem neu eingerichteten Portal zur digitalen Lehre nennen. Darauf beantworten wir auch Fragen zum Datenschutz. Bei Unsicherheiten sollten sich Dozierende an unsere Rechts- und Datenschutzberatung wenden. Ansonsten hat jede und jeder Einzelne natürlich eine Verantwortung dafür, seine Angebote datenschutzkonform zu gestalten. Da können Studierende im Zweifel auch ruhig nachfragen.

Digitale Lehre

Am besten orientieren sich Dozierende bei der Auswahl von Software für die digitale Lehre oder Videokonferenzen aus Datenschutzgründen an den Vorschlägen der Universität. Die Universität zu Köln empfiehlt auf ihrem Portal "Digital Education" etwa "Opencast" und "Zoom".

An anderen Hochschulen wird zum Beispiel "Adobe Connect" genutzt. Auf Forschung & Lehre erklärt Dozent Christoph Pinsdorf, welche Möglichkeiten die Software bietet und wie er Unsicherheiten in der digitalen Lehre überwunden hat.

Weiterführende Informationen zur digitalen Lehre bietet außerdem das Hochschulforum Digitalisierung.

F&L: Wie viele Dozierende der Uni Köln haben vor der Corona-Pandemie schon digitale Lehrformate genutzt?

Beatrix Busse: Ich erstelle gerade eine Umfrage für Dozierende, die genau das erfragt. Mit den Ergebnissen können wir dann noch gezielter überlegen, welche Angebote gegebenenfalls fehlen. Orientieren kann ich mich an Materialien, die auf der Lernplattform "Ilias" hochgeladen sind.

F&L: Mit welchen Fragen wenden sich Dozierende an Sie?

Beatrix Busse: Das ist ganz unterschiedlich. Die meisten stellen Fragen dazu, wie sie die digitale Lehre umsetzen und sich entsprechend fortbilden können. Einige fühlen sich unsicher, wie sie sich zum Beispiel vor der Kamera verhalten sollen oder wie sie ihre Lehrmaterialien für ein kürzeres Format als eine 90-minütige Vorlesung zusammenfassen sollen. Einzelne äußern datenschutzrechtliche Bedenken oder kritisieren, zum digitalen Lehren angehalten zu sein. So einen kritischen Diskurs finde ich auch wichtig. Ich habe auch Verständnis für diejenigen, die gerade zeitlich nicht wissen, wie sie ihren Aufgaben nachkommen sollen. Gleichzeitig appelliere ich, dass wir gerade jetzt, in einer Zeit, in der viele Menschen – auch an den Universitäten – für die Gesellschaft ihr eigenes Leben riskieren, unserem Bildungs- und Forschungsauftrag nachkommen sollten. Das wird nicht ohne Fehler passieren, aber wir können alle voneinander lernen, Hochschulleitung, Studierende, Forschende, Lehrende und die IT.  

F&L: Worüber tauschen Sie sich mit anderen Hochschulen aus?

Beatrix Busse: Aus Gesprächen mit den Prorektorinnen und Prorektoren aus Nordrhein-Westfallen sowie anderen Kontakten an Hochschulen konnte ich für uns zum Beispiel mitnehmen, welche digitalen Prüfungsformate an anderen NRW-Hochschulen eingesetzt werden oder welche Schwerpunkte beim Ausbau der digitalen Infrastruktur gesetzt werden. Andere haben sich wiederum für das Streaming-System "Opencast" interessiert, das wir an der Universität zu Köln betreiben.

F&L: Auch gleich steht noch ein Call an. Worum geht es?

Beatrix Busse: Gemeinsam mit der Studierendenvertretung und der Kommunikationsabteilung will ich besprechen, wie wir die Begrüßungsveranstaltung der Erstsemester am 20. April organisieren. Wir haben uns dazu entschieden, auch das über eine Videokonferenz zu machen. Ich werde eine Ansprache halten und Fragen der angehenden Studierenden im Chat beantworten.

Aktualisierung: Mit Blick auf den Beschluss der Regierung vom 15. April sagte Prorektorin Busse, am grundsätzlichen Kurs der Universität festhalten zu wollen. Man stelle sich auch weiterhin darauf ein, das ganze Semester grundsätzlich digital zu unterrichten. Die Gespräche, wie zum Beispiel Labore teils wieder geöffnet und Prüfungen vor Ort durchgeführt werden könnten, würden fortgesetzt und ein gemeinsamer Plan entwickelt, der die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen erfülle.

Digitale Prüfungen in Zeiten von Corona

Anfang April haben die Länder entschieden, zum 20. April digital in das kommende Sommersemester starten zu wollen. Wie in Köln tüfteln auch andere Hochschulen vor allem an der Durchführung von Prüfungen. Eindrücke aus Nordrhein-Westfalen:

In Aachen sind nach Angaben der RWTH alleine rund 400 Klausuren aus dem Wintersemester offen. Es gebe erste Überlegungen, diese bis Ende der Pfingstwoche stattfinden zu lassen. "In den Audimax passen 1.000 Menschen, da könnten dann 100 Studierende mit genug Abstand und Plexiglasscheiben ihre Prüfung schreiben", sagte der Prorektor für Lehre, Professor Aloys Krieg, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

An der Universität Bielefeld soll es möglich sein, Studienleistungen über elektronische Aufgaben zu erwerben. "Das können beispielsweise Multiple-Choice-Aufgaben, Quizze, Lückentexte, zu beschriftende Zeichnungen, Rechercheaufgaben oder kleine Freitextaufgaben sein", erklärte eine Sprecherin.

An der TU Dortmund haben bereits erste Prüfungen online stattgefunden. "Wir hatten Lehramtsstudierende, die am 1. Mai mit dem Referendariat anfangen müssen", sagte ein Sprecher. "Da gab es strenge Auflagen. Die Studierenden mussten in einem abgeschlossenen Raum sitzen und mit der Kamera ihres Laptops sogar unter den Tisch und Stuhl filmen, um zu zeigen, dass dort niemand anderes sitzt."