Illustration eines Geschäftsmanns mit Kuchendiagramm als Spotthut
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Standpunkt
Dumm sein, dumm bleiben, dumm gelaufen

Die Wissenschaft strebt in der Regel nach Klugkeit. Dabei birgt auch die Dummheit einige Qualitäten, die der Wissenschaft nützen könnten.

Von Petra Gehring 10.03.2023

Dass Leute dumm sind, zu dumm, oder auch selbst gerade schrecklich dumm gewesen zu sein – in der Welt da draußen denken wir das hinreichend oft. Jedoch in der Wissenschaft: Dumm­heit? Geht gar nicht. Wissenschaft ließe sich deuten als gigantische Dummheitsvermeidungs- oder sogar Dummheitsbeseitigungsmaschinerie. Schließlich geht es um Fortschritt. Um die bessere Welt. Und also: Intelligenz. Hochbegabung. Smartness. Allein oder im Team. Dies gilt auch für mein Fach, die Philosophie. Gern hält man sich hier für superschlau. Und Medienschaffende, die Philosophie studiert haben, nennen sich "Philosophinnen beziehungsweise Philosophen", als sei Journalismus nicht auch ein kluger Beruf. Dass laut Sokrates mein wichtigstes Wissen besagt, dass ich nichts weiß, hält man wohl doch irgendwie für Koketterie.

Die Moderne macht es sich zu leicht mit der Dummheit. Wir halten sie heute zum einen für die Eigenschaft einer Person, zum zweiten für stets ungut und zum dritten für einen bloßen Mangel: es fehlen Information, Wissen, Verstand, Klugheit. Die vor einigen Jahren begonnene Diskussion um "Fake News" hat das noch verschärft: Inzwischen halten wir dumme Leute für vorsätzlich dumm. Dummheit wäre damit Unbelehrbarkeit, Ignoranz, Verbohrtheit. Die Forschung legt da noch nach und ruft: "Wissenschaftsfeindlichkeit"! Als seien nicht aus der Wissenschaft kommende Argumente dumm. Das – Szientismus nämlich – ist dann wohl ein Gipfel der Ignoranz.

Halten wir hingegen fest: Schon ein Mangel­begriff der Dummheit muss nichts Schlechtes bezeichnen. So waren die Dummen früher oft einfach die Naiven, die noch nicht viel Erfahrung haben, aber unverbildet sind, diejenigen mit dem "frischen Blick". Qualitäten birgt die Dummheit auch: Staunenkönnen gehört zu ihren sympathischen Positiv-Eigenschaften. Ebenso "glückt" die Lösung kom­plexer Aufgaben, wo man nicht überschlau herangeht, sie also nicht in jeder Hinsicht für rational kontrollierbar hält. Eine andere Version des Kontrollverzichts heißt Vertrauen. Wer nicht vertrauen kann, ist im Ergebnis dann doch auch wieder – dumm.

Damit bin ich bei meiner Lieblingsversion des Begriffs, Dummheit in der Bedeutung: dumm gelaufen, nicht als Eigenschaft von Menschen also, sondern als umstandsbedingter Misserfolg oder sogar Pech. Hiermit stoßen wir auf eine Fülle von Dummheitsquellen, die es zu durchdenken gilt: Bloßes Mitmachen und das Überschätzen von Trends können Dummheitsfolgen haben. Dauerpräferenz allein fürs eigene Ziel, aber auch Arbeitsteiligkeit und Zeitmangel senken in Systemen die Urteilskraft im Ganzen. Prekäre Großdynamiken wie "digitaler Wandel" oder eben auch "Erkenntnisfortschritt" belegen: Klugheit meint mehr als Rationalisierung. Und ist ohne Muße, Pause, Stolpern, Lachen, Abstoppen – kurz: immer mal wieder eine Prise Dummheit – nicht zu haben.