Eine Frau schreibt einen Brief
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Briefkultur
"Ein persönlicher Brief ist etwas Besonderes"

Am 1. September ist internationaler Tag des Briefs. Wie blickt eine Germanistin auf das oftmals in Vergessenheit geratene Kommunikationsmedium?

Von Katrin Schmermund 01.09.2020

Briefe schreibt Dr. Jana Kittelmann eigentlich kaum noch. "Meist ist es doch nur eine Postkarte", sagt die Wissenschaftlerin, zu deren Hauptforschungsfeldern die Kultur und Geschichte des Mediums Brief gehört. "Persönliche und mit der Hand geschriebene Briefe sind einfach besonders", sagt die Forscherin. Hinter dem Briefeschreiben stecke dabei weit mehr als das reine Schreiben. "Einen Brief zu verfassen und zu verschicken, ist ein sehr bewusster Prozess", sagt sie. "Das fängt mit der Suche nach dem passenden Briefpapier und einer ansprechenden Briefmarke an und hört mit dem Wurf in den Briefkasten auf."

Der Empfänger oder die Empfängerin eines Briefs wiederum halte etwas Materielles in der Hand. "Auf seine spezielle Art und Weise ist der Brief eine Art körperliches Zeichen." Die Individuelle Handschrift seines Absenders oder seiner Absenderin mache ihn zu etwas sehr Persönlichem.

1. September: Welttag des Briefeschreibens

Der australische Fotograf, Autor und Künstler Richard Simpkin hat im Jahr 2014 den 1. September zum Welttag des Briefeschreibens ausgerufen. Er sei ein großer Fan von handgeschriebenen, persönlichen Briefen und schreibe auch gern selbst welche. Seiner Ansicht nach hätten Briefe einfach mehr Charakter und zeigten mehr von der eigenen Persönlichkeit, berichtete die Deutsche Briefmarkenzeitung über ihn. Mit dem Welttag wolle Simpkin allen Menschen ein kurzes Innehalten im digitalen Zeitalter verschaffen und die Vorteile des handgeschriebenen Briefs in den Vordergrund stellen.

In einer Zeit, in der die Zahl an E-Mails, Postings und Tweets immer weiter zunimmt, bekommt der Brief einen neuen Stellenwert. Die Seltenheit macht ihn besonders. Dennoch nimmt die Zahl der verschickten Briefe ab. Dabei sind viele der verbliebenen beruflicher Natur und an PC oder Notebook verfasst. Früher war das anders. Der Brief war das Medium der Wahl. Erste Fundstücke seiner Art reichen bis in die Antike. In Wände ritzten Menschen damals ihre Mitteilungen an eine andere Person oder an die Öffentlichkeit.

Seine Blütezeit erreichte der Brief ab Mitte des 18. Jahrhunderts. "Die Bildung und Alphabetisierung der Bevölkerung erlebte einen Aufschwung und gleichzeitig hatten die Menschen ein sehr starkes Bedürfnis, ihre Gefühle auszudrücken und mitzuteilen", sagt Wissenschaftlerin Kittelmann. "Viele Schreiberinnen und Schreiber suchten nach einer Sprache, um ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken, und fanden sie in Briefen." Briefe waren in ihrer Blütezeit häufig viele Seiten lang. Oftmals saßen die Schreibenden tagelang an einem Brief.

Theodor Fontane (1819-1898) habe auf den Punkt gebracht, worauf es dabei ankomme. "Der Brief soll der Aus- und Abdruck einer Stimmung sein", zitiert Kittelmann aus einem Brief des Schriftstellers an Theodor Storm. 

Teilnahme am intellektuellen Diskurs

Cover des Buchs "Handbuch Brief"
Weiterführende Informationen: "Handbuch Brief. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart", herausgegeben von Marie Isabel Matthews-Schlinzig, Jörg Schuster, Gesa Steinbrink und Jochen Strobel.

Für Frauen sei der Brief ein besonders wichtiges Medium gewesen, sagt Kittelmann. "Sie hatten oftmals keinen Zugang zur Literatur. Auch war es Frauen verwehrt, sich als Schriftstellerin einen Namen zu machen." Briefe seien für sie sowohl eine Plattform, um sich mitzuteilen, als auch ein literarisches Übungsfeld gewesen. "Vielen Briefen merkt man an, dass die Absenderinnen nicht schlicht für den Moment schrieben, sondern zuweilen auch eine spätere Veröffentlichung im Auge hatten." Zum Kreis der äußerst begabten Briefeschreiberinnen zählt für Kittelmann zum Beispiel Rahel Varnhagen (1771 – 1833). Diese habe den Anspruch gehabt, "Briefe zu schreiben, wo die Seele spazieren gehen soll".

In der Forschung stehe heute zunehmend die Materialität und Prozesshaftigkeit von Briefen im Vordergrund, während Briefe früher "eher als reine Lebenszeugnisse und Egodokumente" wahrgenommen wurden. Dabei bringe die Digitalisierung Chancen für die Forschung an alten Briefen: Sie würden dadurch besser zugänglich und man selbst schneller auf sie aufmerksam, sagt Kittelmann. "Um sich im Anschluss genauer mit einem bestimmten Brief auseinanderzusetzen, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann an den jeweiligen Aufbewahrungsort fahren und sich genauer mit einem Brief auseinandersetzen."

Kittelmann hofft, dass sich auch nachfolgende Generationen an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für die Kultur und Geschichte des Briefs begeistern. Um eine Renaissance des Briefs im Alltag gehe es ihr dabei nicht. "Das ist illusorisch", sagt Kittelmann. "Für mich ist wie für viele andere Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler der Brief allein als Forschungsgegenstand interessant – ich schreibe E-Mails."