Studentin mit Kopftuch sitzt in einem Hörsaal mit anderen Studierenden ohne Kopftuch
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Diversität in der Wissenschaft
"Es gibt Rassismus überall"

Seit einem Jahr ist Katajun Amirpur die erste Beauftragte für Rassismuskritik einer deutschen Hochschule. Ein Gespräch über ihre Arbeit und Rassismus.

Von Charlotte Pardey 17.04.2023

Forschung & Lehre: Frau Professorin Amirpur, Sie sind seit April 2022 an der Universität zu Köln die erste Beauftrage für Rassismuskritik. Wie kam es dazu?

Katajun Amirpur: Ich kam zu diesem Amt wie die Jungfrau zum Kind. Es wurde mir angeboten und zunächst habe ich abgelehnt. Erstens habe ich selbst keine Rassismuserfahrungen gemacht. Ich habe Rassismus nur indirekt als Schwester oder Mutter miterlebt, denn es hängt sehr stark mit dem Aussehen zusammen, ob man zum Ziel rassistischer Anfeindungen wird. Ich falle in einer deutschen Großstadt nicht auf, werde eher für eine Französin oder Italienerin gehalten. Zweitens bin ich keine Rassismusforscherin, sondern arbeite über iranische Intellektuellengeschichte. Dann habe ich mich gefragt, wer das Amt stattdessen übernehmen könnte. In einer Fakultätssitzung per Zoom mit 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern fiel mir auf, dass mir nur weiße Namen und Gesichter vom Bildschirm entgegenblickten. Ich habe zumindest einen Migrationshintergrund und einen ausländischen Nachnamen. Demgegenüber haben ein Drittel der Studierenden der Uni Köln einen migrantischen Hintergrund. Sie haben unter den Professorinnen und Professoren kaum Identifikationsfiguren mit vergleichbarer Herkunft. Es gibt Versuche, das zu ändern. Inzwischen sollen bei Stellenausschreibungen bei gleicher Eignung nicht nur Frauen bevorzugt berücksichtigt werden, sondern auch Angehörige sozialer Minderheiten. Aber es fehlen schon allein die Bewerberinnen und Bewerber. Am Übergang von Master und Magister zum Doktor gehen die Leute verloren.

Portraitfoto von Prof. Dr. Katajun Amirpur
Katajun Amirpur ist Professorin für Islamwissenschaft und Beauftragte für Rassismuskritik an der Universität zu Köln. Georg Lukas

F&L: Beschreiben Sie uns bitte Ihre Aufgaben innerhalb der Uni Köln.

Katajun Amirpur: Als das Rektorat das Amt der oder des Beauftragten für Rassismuskritik einrichtete, wurden die Aufgaben grob umrissen. Da erstmalig jemand dieses Amt an einer Hochschule in Deutschland ausfüllen würde, war klar, dass ein Spielraum dafür bleiben musste, um die Tätigkeiten dem Bedarf anzupassen. Das Amt ähnelt dem einer Gleichstellungsbeauftragten. Zunächst habe ich es für insgesamt zwei Jahre inne. Ich unterrichte zwei Wochenstunden weniger und habe eine zusätzliche wissenschaftliche Mitarbeiterin erhalten, damit ich meine Aufgaben als Hochschullehrerin und Beauftragte für Rassismuskritik bewältigen kann. In den vergangenen Monaten habe ich daran gearbeitet, die verschiedenen Foren und Gruppierungen, die sich an der Uni Köln mit dem Thema Rassismus beschäftigen, zusammenzuführen. Dazu gehören zum Beispiel das Autonome-BIPoC-Referat, ein Zusammenschluss von Studierenden, die sich als Black Indigenous People of Colour identifizieren, oder das Forum "Decolonize Academia", das die Fächer dazu auffordert, sich mit ihrer jeweiligen kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ich frage nach, welche Themen und Bedürfnisse bei der jeweiligen Arbeit im Vordergrund stehen, und vermittle zwischen diesen Foren und der Hochschulleitung. Von beiden Gruppen habe ich erfahren, wie stark die Studierenden sich von einer nicht-rassismuskritischen Sprache angegriffen fühlen, die viele Professorinnen und Professoren nach wie vor verwenden.

F&L: Wenden sich die Studierenden mit ihren Rassismuserfahrungen an Sie?

Katajun Amirpur: Ich bin nicht diejenige, die mit den Studierenden direkt in Kontakt steht. Das übernimmt an der Universität zu Köln die Therapeutin Jessie Mmari, deren Berichte ich bekomme. Ich trage in die Fakultätssitzungen, wovon ich in den Berichten lese, etwa, dass Studierende unter Panik-attacken, Depressionen und Schlafmangel leiden, weil rassistisch mit ihnen geredet wird. Dass sie ihr Studium nicht beenden können, weil sie sich so stark attackiert fühlen. Studierende erzählen beispielsweise, dass der Professor in ihrem Seminar sie dazu auffordert, sich zu melden, wenn es ihnen sprachlich zu schwierig werde – nur weil sie einen türkischen Nachnamen haben. Oder – positiv diskriminierend – dass sie für ihre guten Deutschkenntnisse gelobt werden trotz eines fremdklingenden Namens. So etwas verwehrt Menschen in Deutschland dazuzugehören und verhindert echte Teilhabe. Das ist Rassismus. Ich versuche meine Kolleginnen und Kollegen auf den Lehrstühlen für die Sprachproblematik zu sensibilisieren. Ich erkläre etwa, dass es kein Kavaliersdelikt ist, wenn man das N-Wort verwendet. In einzelnen Fällen suche ich auch das persönliche Gespräch mit Professorinnen und Professoren. Da ist es gut, dass ich ebenfalls Professorin bin und auf Augenhöhe spreche.

F&L: Hat die deutsche Hochschullandschaft ein Rassismusproblem?

Katajun Amirpur: Nicht die deutsche Hochschullandschaft hat ein Rassismusproblem, sondern eher die deutsche Gesellschaft im Allgemeinen. Es gibt Rassismus überall, und ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen sich gar nicht mit Absicht rassistisch äußern oder verhalten, sondern dass sie die Wirkung ihrer Worte und Taten nicht reflektieren. Viele sind der Meinung, dass ihr Verhalten "gar nicht so schlimm" sei, denn es werde ja "schon immer" so gemacht oder gesagt. Als mein Amt geplant wurde, haben einige Unimitglieder gezweifelt, dass es notwendig sei: An einer Hochschule sei doch keiner Rassist. Dass es Rassismus nicht nur mit Springerstiefeln oder Nazi-Uniform gibt, sondern unterschwellig, etwa in der nicht-rassismuskritischen Sprache, ist vielen gar nicht bewusst. Ich glaube nicht, dass die Universität zu Köln unter den Hochschulen als besonders rassistisch hervorsticht, dafür ist schon allein die Stadt zu multikulturell. Es gibt aber keine Zahlen, weder für die Uni Köln, noch für andere Hochschulen. Wir fangen jetzt an, auf Basis der Berichte Zahlen für Köln zu erheben, aber wir möchten auch ein größer angelegtes Monitoring durchführen.

F&L: Gab es konkrete Auslöser, dass die Uni Köln die Rolle einer Beauftragten für Rassismuskritik geschaffen hat?

Katajun Amirpur: Es gab verschiedene Vorfälle. Einer muss etwa im Jahr 2020 geschehen sein. Da wurde eine schwarze Studentin von einem Lehrenden gefragt, wie die Corona-Lage sei, dort, wo sie herkomme. Sie sagte, sie komme aus Düsseldorf. Dann kam die Rückfrage, wo sie wirklich herkomme. Die Studentin hat die Geschehnisse in den sozialen Medien geteilt und die lokale Presse hat das Thema aufgegriffen. Ich wundere mich allgemein, dass es nicht mehr Solidarität unter den Studierenden gibt und nicht zehn andere Studierende aus dem Kurs protestieren, wenn so etwas passiert. Wenn die Betroffenen die Lehrende oder den Lehrenden alleine ansprechen, dann berichten sie als Antwort meist von Beschwichtigung, sie sollten sich nicht anstellen. Das ist keine geeignete Reaktion und Entschuldigungen äußern die Lehrenden kaum.  
 

F&L: Welche Ziele verfolgen Sie als Beauftragte für Rassismuskritik? Und wie setzen Sie diese um?

Katajun Amirpur: Vor allem möchte ich Aufmerksamkeit und Bewusstsein für den beschriebenen unterschwelligen Rassismus schaffen. Ich glaube, dass die meisten sich nicht aus Bösartigkeit rassistisch äußern. Sie halten rassismuskritische Sprache einfach für nicht so wichtig. Das möchte ich ändern. Auch ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, inwiefern Rassismus in den Curricula verankert ist. Wir bieten regelmäßig eine Werkstatt Rassismuskritik zu unterschiedlichen Themen an. Bei der letzten Veranstaltung ging es um Rassismuskritik in der Lehre. Leider kommen Lehrende nur sehr vereinzelt zu unseren Angeboten. Es ist tatsächlich ein großes Problem, dass man die Leute, die bei den Veranstaltungen etwas lernen könnten, nicht erreicht. Ob sich Professorinnen und Professoren überhaupt von einer Informationsveranstaltung beeindrucken lassen und ihr Verhalten oder ihre Sprechweise ändern, kann ich nicht sagen. Wir können die Weiterbildungen nur anbieten, zwingen kann ich niemanden, weder dazu, zu kommen, noch zu einem rassismuskritischen Verhalten. Manchmal finde ich das schade. Es wäre schön, wenn wir etwas mehr Druck machen könnten. Außerdem möchte ich etwas dafür tun, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund an den Hochschulen Karrieren machen und Professuren bekommen. Oft werden diejenigen in und nach dem Studium nicht in Vorbereitung auf eine Hochschullaufbahn gefördert: Sie berichten, dass sie keine Tutorenstellen bekommen und nicht als studentische Hilfskräfte eingestellt werden. Ihnen wird die Arbeit nicht zugetraut. Auch das ist eine Form von Rassismus. Es gibt an der Uni Köln bereits ein Mentoringprogramm für Frauen und Mütter. Ein ähnliches Programm sollte es auch spezifisch für Menschen mit Migrationshintergrund geben und das würde ich gerne anstoßen.