Portraitfoto des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
picture alliance / SvenSimon-ThePresidentialOfficeU | Presidential Office of Ukraine

Ukrainekrieg
Selenskyj tauscht sich mit Studierenden in Deutschland aus

Auf Initiative der Europa-Universität Viadrina sprach der ukrainische Präsident vor Studierenden. Im Anschluss beantwortete er digital ihre Fragen.

17.01.2023

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich am Dienstagnachmittag mit Studierenden aus Frankfurt (Oder) und Berlin unterhalten – per Internet. Für den digitalen Austausch war etwa eine Stunde ab 15.00 Uhr vorgesehen. Die Studenten und Studentinnen haben sich im Audimax der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und in der Humboldt-Universität zu Berlin getroffen. In Berlin waren Studierende aller Universitäten in der Stadt eingeladen. Die Veranstaltung konnte auch per Youtube-Livestream verfolgt werden und ist weiterhin aufrufbar.

Im Audimax der Viadrina sollten rund 500 Studierende dabei sein, in der Humboldt-Uni etwa 270. Selenskyj hat zunächst etwa neun Minuten mitunter grafisch über die Auswirkungen der russischen Angriffe gesprochen und beschrieben, wie "Gräueltaten" zum Alltag werden, indem er etwa von einem kürzlichen Angriff auf ein Wohnhaus in Dnipro berichtete. Er kritisierte die Beziehungen zwischen Europa und Russland während der vergangenen Jahrzehnte. Politiker hätten den russischen Imperialismus gedeihen lassen. Trotzdem mache er den Studierenden in Deutschland Mut, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Er kündigte an, dass die Ukraine ihre Gebiete weiterhin verteidigen und nicht an Russland aufgeben werde.

Welche Fragen die Studierenden zur Ukraine stellten

Die Studierenden in Berlin und Frankfurt zeigten sich interessiert an der Lage in der Ukraine und fragten beispielsweise nach Kriegsverbrechen in Form von sexualisierter Gewalt und was der ukrainische Staat tue, um Frauen und Mitglieder der LGBTQI-Szene zu schützen. Selenskyj bestätigte, dass zahlreiche Verbrechen verübt worden seien, darunter Vergewaltigungen und Folterungen an Frauen, Männern und Kindern. Die Schuldigen müssten vor einem Tribunal zur Verantwortung gezogen werden; die Ukraine werde bei der Aufarbeitung von Fachleuten und Forensikern unterstützt. Auch innenpolitisch arbeite die Ukraine daran, ihre Bürgerinnen und Bürger beispielsweise vor häuslicher Gewalt zu schützen. Aktuell seien Gesetze in Arbeit, die Konvention von Istanbul umzusetzen, das internationale Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Trotz des Krieges werde an solchen rechtlichen Anpassungen gearbeitet.

Einer der Teilnehmer fragte, ob die rechtsstaatlichen Strukturen in der Ukraine bereits weit genug ausgebildet seien, um Mitglied der Europäischen Union (EU) zu werden, und wie Reformen im Krieg gelingen könnten. Selenskyj erläuterte daraufhin, dass im Krieg Reformen nicht aufgeschoben werden könnten, sie erfolgten allerdings verlangsamt. Der Krieg ermögliche auch, dass sich das Land entwickele: Die Ukraine habe seit Kriegsbeginn einen Durchbruch in der Digitalisierung und der IT-Sicherheit sowie hinsichtlich der Dezentralisierung und der Neugestaltung des Energiesektors erlebt. Was die EU betreffe, habe die Ukraine den Status einer Beitrittskandidatin. Sie stehe dabei vor Herausforderungen, von denen einige erfüllt, andere noch in Arbeit seien. Der Krieg treibe die Ukraine an. Allgemein würden Reformen nicht für die EU gemacht oder für den Krieg, sondern für den ukrainischen Staat.

Den Fragesteller interessierten auch in der Ukraine ausgesprochene Parteiverbote. Diese beträfen Parteien, die von Russland aus finanziert seien, so Selenskyj. Die ukrainische Regierung könne nicht zulassen, dass im ukrainischen Parlament Parteien säßen, die den russischen Angriff unterstützten.

Zwischendurch hat sich Selenskyj entschuldigt, um ein ungeplantes Gespräch mit den ukrainischen Streitkräften zu führen. Der ukrainische Botschafter in Deutschland übernahm währenddessen die Beantwortung der Fragen. Im Anschluss hat Selenskyj weitere Fragen beantwortet, bis das Gespräch um kurz nach 16 Uhr endete. Der ukrainische Präsident dankte den Hochschulen dafür, dass sie geflüchtete Menschen unterstützten.

Deutsch-ukrainische Wissenschaftsbeziehungen

Die Initiative für das Treffen ging von der Viadrina aus, wie es von der Uni hieß. Sie pflegte schon lange vor dem Ukraine-Krieg enge Beziehungen zur Ukraine und hat vier Partneruniversitäten in dem Land. An der Hochschule an der Grenze zu Polen studieren und arbeiten derzeit fast 240 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit. Es gibt dort auch einen der wenigen Ukrainistik-Lehrstühle in Deutschland. Zudem sei ein Ukraine-Zentrum im Aufbau, aktuell würden dafür Mittel akquiriert, beschrieb die Präsidentin der Viadrina Universität Professorin Eva Kocher einleitend. Das Gespräch hat am Tag des 31. Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine stattgefunden, worauf die Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin Professorin Julia von Blumenthal hinwies.

Der russische Angriffskrieg hält nun fast elf Monate an. Auch die Hochschulen im Land sind bereits zu Zielen geworden und von Zerstörung gezeichnet.

aktualisiert am 17.01.2022 um 17.10 Uhr, zuerst veröffentlicht um 11.44 Uhr

cpy/dpa