Ein aufgeschlagenes Buch
Monticellllo/Fotolia

Buchbesprechung
Welche Zukunft erwartet die Gesellschaft?

Die Welt steht vor großen Herausforderungen. Drei Bücher beleuchten die Rolle von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik bei deren Bewältigung.

Von Ina Lohaus 05.09.2020

Um zu belegen, wie verwundbar die Welt ist, bedurfte es nicht der Corona-Pandemie. Klimawandel, Artensterben oder Bevölkerungswachstum sind nur einige der Herausforderungen, vor denen die Weltgemeinschaft steht. Welche Aufgaben kommen auf Politik und Gesellschaft zu? Welche Rolle können Wissenschaft und Technik auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft spielen? Drei Neuerscheinungen zeigen Perspektiven auf.

Cover des Buches "Die Zukunft nach Corona" von Matthias Horx
Matthias Horx: Die Zukunft nach Corona. Wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert. Econ Verlag 2020, 15,- Euro.

Am 15. März 2020 veröffentlichte der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx den Text "Die Welt nach Corona" im Internet, der sich dort in Windeseile verbreitete. Nun hat er seinen Text zum Buch ausgeweitet, in dem er grundlegender und detailreicher, aber ohne über den Internettext hinausgehende Erkenntnisse über die Corona-Krise als Chance zum Wandel schreibt. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen steht die Re-Gnose, eine "Selbst–Veränderung durch rückblickende Vorausschau". Ein solcher Rückblick fördere Überraschendes zutage, zum Beispiel dass in der Corona-Krise Langsamkeit und Stille gut auszuhalten waren, dass etwas, das man vorher unbedingt zu brauchen meinte, nicht vermisst wurde. Aus diesen Erfahrungen, aus diesem Bruch mit dem Gewohnten könne eine innere Kraft entstehen, die Veränderungen in der Zukunft möglich mache. Dazu zählt Horx zum Beispiel, dass die ständig unter Effizienzdruck stehende Globalisierung mit ihrem "Just in time-System" in eine nächste Phase der Regionalisierung und Lokalisierung bei Produktion und Fertigung eintreten könne oder dass in vielen Ländern durch Good Governance bei der Bewältigung der Krise das Vertrauen in die Politik und der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt würden. Kein Wunder, dass mitten in der akuten Bedrohung durch das Virus eine solch positive Vorausschau so schnell viral ging. Doch ob sich tatsächlich etwas verändere, so betont Horx, hänge von "uns vielen" ab. Daher ist für ihn die "einzig wichtige Frage": "Machen Sie mit?"


Cover des Buches "Unsere Zukunft" von Martin Rees
Martin Rees: Unsere Zukunft. Perspektiven für die Menschheit. Verlag wbg Theiss 2020, 25,- Euro.

Mit weitaus längerfristigen bis hin zu posthumanen Zukunftsaussichten befasst sich der britische Astronom Royal Martin Rees, ehemaliger Präsident der Royal Society. In einer Mischung aus Besorgnis und Optimismus analysiert er die Umwälzungen und vielfältigen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bei Energie, Umwelt, Gesundheit oder künstlicher Intelligenz und lotet auf sehr erhellende Weise Verheißungen und Risiken des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts aus. "Unser Planet, dieser ‚blassblaue Punkt‘ im All", sei ein besonderer Ort, für den die Menschen in einer ganz entscheidenden Epoche verantwortlich seien. Erstmalig habe die Menschheit die Macht, auf den gesamten irdischen Lebensraum einzuwirken, auf das Klima, die Biosphäre oder den Vorrat an natürlichen Ressourcen. Dabei sei eine "wohlmeinende Wissenschaft" von großer Bedeutung für die Zukunft der Menschen. Zugleich könne der Mensch sich "vielleicht" zum ersten Mal Lebensräume jenseits der Erde erschließen. Kühne Abenteurer der Raumfahrt könnten zu Pionieren einer posthumanen Zukunft werden, die sich die Gen- und Cyborgtechnologien zunutze machen könnten, um die Anpassung an außerirdische Umwelten zu ermöglichen. Es könne sogar ein Übergang zu ganz und gar anorganischen Intelligenzen erfolgen. Doch die Vorstellung, dass der Weltraum die Flucht vor den irdischen Problemen eröffne, sei eine "gefährliche Illusion". Vielmehr komme es darauf an, in dieser Welt global, rational und langfristig zu denken sowie Wissenschaft und Technik werteorientiert und klug zu nutzen.


Cover des Buches "Novozän" von James Lovelock
James Lovelock: Novozän. Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz. C.H. Beck Verlag 2020, 18,- Euro.

Im Alter von 99 Jahren hat der Wissenschaftler, Ingenieur und Erfinder James Lovelock ein Buch über die Zukunft geschrieben. Sein Name ist mit der umstrittenen Gaia-Hypothese verbunden, nach der "das Leben, seit es entstand, daran gearbeitet hat, seine Umwelt zu verändern". Er ist Mitglied der Royal Society ebenso wie Martin Rees, der die Entwicklung dieses Buches begleitet habe. Es handelt davon, dass elektronisches Leben aus organischem Leben hervorgehen werde. Entscheidender Schritt für diese Entwicklung ist für Lovelock der Moment, in dem Computer dafür eingesetzt wurden, sich selbst zu entwerfen und zu erschaffen, wie der Computer AlphaZero, der sich selbst beigebracht habe, Go zu spielen, und innerhalb von 24 Stunden zu einem übermenschlichen Spieler geworden sei. Die entstehenden hyperintelligenten "Cyborgs" seien eigenständig denkend und von menschlichen Regeln befreit. Sie würden unsere Nachkommen und ein Produkt des gleichen Evolutionsprozesses sein, der uns Menschen hervorgebracht habe. Lovelock geht nicht von einer Bedrohung der Menschen durch die Cyborgs aus. Diese seien aus eigenem Interesse dazu gezwungen, mit den Menschen gemeinsame Sache zu machen, da es für beide überlebensnotwendig sei, die globale Erwärmung zu bekämpfen. Das Zeitalter, in dem diese neuen Daseinsformen existieren werden, nennt Lovelock "Novozän". Es werde das Anthropozän ablösen. Wäre der Autor nicht James Lovelock, könnte man sein Zukunftsszenario für die Vorlage zu einem neuen Science-Fiction halten.