Illustration der Crispr-Methode
mauritius images/Science Photo Librar/Keith Chambers

Großbritannien
Genschere kommt weltweit erstmals zum Einsatz

2020 erhielten die Entwicklerinnen von CRISPR den Nobelpreis. Auf dem britischen Markt gibt es nun das erste Medikament, das darauf basiert.

17.11.2023

In Großbritannien wurde weltweit zum ersten Mal ein Medikament zugelassen, dass auf der Genscheren-CRISPR-Methode basiert, sein Name: "Casgevy".  Das gab die britische Arzneimittelbehörde (MHRA) Medicines and Healthcare products Regulatory Agency) bekannt. Zugelassen ist es bei Patienten ab zwölf Jahren für die Therapie von zwei genetisch bedingten Bluterkrankungen: der Sichelzellkrankheit und der Beta-Thalassämie.  

Die sogenannte Genschere kann einzelne Gene ausscheiden, verändern und einfügen. Für diese Methode namens CRISPS/Cas hatten die Entwicklerinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier 2020 den Chemie-Nobelpreis bekommen. Für die neue Gentherapie mit dem neuen Medikament Casgevy werden den Patientinnen und Patienten zunächst Stammzellen aus dem Knochenmark entnommen, berichtet die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Anschließend werden bei diesen die fehlerhaften Gene im Labor so verändert, dass sie funktionierendes Hämoglobin im Körper produzieren können. Die bearbeiteten Zellen werden den Patientinnen und Patienten am Ende durch eine Infusion wieder eingesetzt. Danach müssen die Behandelten mehrere Wochen im Krankenhaus bleiben. Doch das Ergebnis habe das Potenzial lebenslang zu wirken, heißt es in der MHRA-Mitteilung.

Sowohl die Sichelzellkrankheit als auch die Beta-Thalassämie werden durch Fehler in den Genen ausgelöst, die Hämoglobin produzieren. Rote Blutkörperchen benötigen Hämoglobin, um Sauerstoff durch den Körper transportieren zu können. Beides seien sehr schmerzhafte und lebenslange Erkrankungen, die in manchen Fällen tödlich verlaufen könnten, sagte Julian Beach, Interims-Exekutivdirektor der Abteilung Healthcare Quality and Access der MHRA laut dpa. Die Sichelzellkrankheit könne zu schweren Schmerzanfällen, ernsthaften und lebensgefährlichen Infektionen und Mangel an Sauerstoff im Blut, sogenannter Blutarmut beziehungsweise Anämie, führen.

Patientinnen und Patienten mit Beta-Thalassämie litten ebenfalls unter Blutarmut und benötigten häufig Bluttransfusionen in Abständen von wenigen Wochen. "Bisher war eine Knochenmarktransplantation – die von einem gut passenden Spender kommen muss und das Risiko einer Abstoßung mit sich bringt – die einzige dauerhafte Behandlungsoption", fügte Beach von der britischen Arzneimittelbehörde hinzu. 

Kritische Stimmen zum neuen Medikament 

"Es ist ein historischer Tag in der Wissenschaft und Medizin", sagte Reshma Kewalramani, Geschäftsführer von Vertex, das gemeinsam mit CRISPR Therapeutics das neue Medikament herstellt. Einer Mitteilung der beiden Unternehmen mit Hauptsitz in den USA und der Schweiz zufolge kommen in Großbritannien derzeit etwa 2000 Menschen für die Behandlung mit Casgevy infrage. Auch CRISPR-Therapeutics-Chef Samarth Kulkarni äußerte sich in der Mittelung positiv zur Zulassung des Medikaments Casgevy: "Ich hoffe, dass dies die erste von vielen Anwendungen dieser mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Technologie ist, die Pateinten mit schweren Krankheiten zugutekommt." 

Bei der klinischen Studie mit 28 Patientinnen und Patienten mit der Sichelzellkrankheit waren 97 Prozent, die mit dem Medikament behandelt wurden, mindestens ein Jahr lang frei von schweren Schmerzanfällen, vermeldet die dpa. Bei der klinischen Studie mit Beta-Thalassämie-Patientinnen und -Patienten brauchten 39 von 42 Patienten (93 Prozent), die sonst auf Transfusionen mit roten Blutkörpern angewiesen sind, mindestens ein Jahr lang keine. Bei den übrigen drei Behandelten konnten die Bluttransfusionen um 70 Prozent minimiert werden.

Die aktuellen klinischen Studien zur CRISPR-Therapie seien zwar vielversprechend, aber selbst die zuerst behandelten Patienten seien erst etwa vier Jahre nachbeobachtet worden, so Dr. Joachim Kunz vom Universitätsklinikum Heidelberg. "Auch wenn es bisher keine Hinweise darauf gibt, könnte es sein, dass die Wirkung der Gentherapie über die Jahre nachlässt, weil beispielsweise die Lebensdauer der manipulierten Blutstammzellen verkürzt ist", sagte Kunz gegenüber der dpa.

Aber nicht nur zukünftig, sondern auch für die Gegenwart gibt es Bedenken. "Wir können nicht zu 100 Prozent sicherstellen, dass durch die Genschere nicht auch andere DNA-Abschnitte verändert werden", sagte Professor Selim Corbacioglu vom Universitätsklinikum Regensburg. "Die CRISPR -Therapie ist auch nicht "mal eben" durchführbar", ergänzte Corbacioglu, der sie selbst schon erprobt hat. Die Therapie sei nicht nur teuer, es gebe auch erhebliche Nebenwirkungen. Sie ist "extrem komplex, erfordert eine aufwendige Logistik und wird absehbar aufgrund der benötigten Ressourcen nicht unbegrenzt skalierbar sein, sondern nur für eine begrenzte Zahl von Patienten pro Jahr zur Verfügung stehen", erklärt Kunz der dpa. 

kfi/dpa