Proteste
Trend zur Radikalisierung endet mit Pandemie
Die Radikalisierungstendenz in der Gesellschaft der ersten beiden Corona-Jahre hat sich 2022 nicht fortgesetzt. Trotz sich überlagernder Krisen war 2022 kein Jahr vermehrter konfrontativer oder gewaltförmiger Proteste. Das Niveau solcher Proteste lag im Gegenteil deutlich unter dem der pandemischen Vorjahre. Zu diesen Ergebnissen kommen Forschende des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in einem aktuellen Protest-Monitoring. Dafür analysierten die Forschenden systematisch die Protestereignisse in 2022 und verglichen sie mit den Protesten seit 2019. Darüber hinaus befragten sie im Dezember rund 2.800 Menschen in Deutschland repräsentativ zu ihrem Protestverhalten und ihren politischen Einstellungen.
Demnach mobilisierten der Krieg in der Ukraine und die daraufhin steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten weniger Menschen als erwartet. Der "heiße" Herbst sei ausgeblieben. Häufig anzutreffen gewesen seien im vergangenen Jahr hingegen die Proteste von Teilen der Klimabewegung, zum Beispiel Straßenblockaden der "Letzten Generation". Bestimmende Themen bei Demonstrationen seien in 2022 der Umwelt- und Klimaschutz sowie die Solidarität mit der Ukraine und die Solidarität mit den Protesten im Iran gewesen. "Einige Proteste sind auch auf die sogenannten Corona-Spaziergänge von Januar 2022 zurückzuführen, die meisten aber auf Klimaproteste", erläuterte Professor Swen Hutter gegenüber "Forschung & Lehre".
Im Vergleich zu den ersten Pandemiejahren hätten 2022 insgesamt deutlich weniger, dafür wieder größere Proteste mit hohen Teilnehmerzahlen stattgefunden. "Im Jahr 2019 und 2022 haben wir fast viermal so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Proteste erfasst als in den beiden Pandemiejahren 2020/2021", so Hutter. Nach zwei Jahren Pandemie sei der Protest nun auf die Straße zurückgekehrt. Dabei sei es wieder vermehrt zu Massendemonstrationen bei gleichzeitigem Rückgang radikaler Protestformen gekommen. Die Forschenden sprechen daher von einer Normalisierung des Protestgeschehens.
Zentrale Gründe für das Ausbleiben einer starken Protestwelle seien die Entlastungspakete der Bundesregierung, die Überlagerung der verschiedenen Protestthemen sowie die mobilisierenden Akteure. Die Linke und die AfD konnten der Studie zufolge 2022 nur wenige Menschen mobilisieren. Insgesamt seien Bürgerinnen und Bürger seltener bereit, an Protesten zu den steigenden Energie- und Lebenshaltunskosten teilzunehmen, wenn sie von politischen Parteien mitorganisiert würden.
ckr
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