Person vor Jobwall
mauritius images/Süddeutsche Zeitung Photo/Stephan Rumpf

Universität der Bundeswehr München
Wettbewerb um Spitzenpersonal in der Wissenschaft

Die Universität der Bundeswehr konkurriert mit Exzellenzuniversitäten um wissenschaftliches Personal. Die Präsidentin über ihre Berufungsstrategien.

Von Vera Müller 03.04.2019

Forschung & Lehre: Könnte man – zugespitzt – sagen, dass Sie Ihr Amt als Präsidentin der Universität der Bundeswehr München im Jahr 2005 der damals tätigen Frauenbeauftragten zu verdanken haben?

Merith Niehuss: Das kann man zugespitzt so sagen. Wenn die damalige Frauenbeauftragte mich nicht so explizit aufgefordert hätte und statt dessen neutral gewesen wäre, hätte ich mich möglicherweise nicht beworben. Es gab scharfe Konkurrenz. Im Nachhinein ist das für mich  schwer nachvollziehbar, weil ich mich natürlich verändert habe. 2005 war ich Vizepräsidentin, von der Grundleistung her kam ich sicher in Frage. Das Gremium musste mich auch einladen, da kam es gar nicht umhin, wenn sich eine ehemalige Vizepräsidentin bewirbt. Aber die Selbsteinschätzung war noch eine andere. Wir hatten damals einen starken Präsidenten, der sehr viel selbst bestimmte, dadurch hatte ich als Vizepräsidentin nicht sehr selbstständig gearbeitet. Als Professorin kennt man seine Mittel und Möglichkeiten. In der Leitung einer Universität steht man jedoch allen Professorinnen und Professoren gegenüber – und da gibt es natürlich auch Cracks. Ich habe mich schon gefragt, vor allem als Historikerin an einer Universität, die überwiegend technisch orientiert ist, ob ich die Wünsche, die diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, erfüllen kann. Lässt sich das, was man gerne ändern möchte – und ich wusste schon, was ich ändern wollte – dann wirklich durchsetzen?

F&L: Wie war das als erste Frau im Präsidentenamt der Universität der Bundeswehr München?

Merith Niehuss: Es gab von keiner Seite Schwierigkeiten. Als Frau schon mal gar nicht, das muss ich immer betonen. Das fanden alle gut oder waren neutral. Der kritische Punkt war eher, dass ich Geisteswissenschaftlerin war. Ich bin zum Beispiel sofort, als ich ins Amt kam, von der Fakultät für Informatik eingeladen worden. Die Informatiker haben sich vorgestellt und mir erklärt, was sie machen. Dann habe ich die Bauingenieure auf eine Exkursion begleitet. Sie zeigten ihrer neuen Präsidentin ihre Welt.

Professorin Merith Niehuss ist Präsidentin der Universität der Bundeswehr München. privat

F&L: Der Wettbewerb unter den Universitäten im Raum München ist ausgeprägt. Womit punktet die Bundeswehruniversität, um wissenschaftliches Spitzenpersonal zu gewinnen?

Merith Niehuss: Neben unserer Bundeswehruniversität stehen zwei Exzellenztürme, die LMU und TU München. Da braucht es eine Strategie, um Kolleginnen und Kollegen gewinnen zu können. Von meinem Amtsbeginn an haben wir die Profilierung auf bestimmten Gebieten vorangetrieben. Ich will das an zwei Beispielen erläutern: In den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, den Fakultäten für Sozialwissenschaften, für Humanwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften ist eine LMU unendlich stark. Wir können durch interessante Kombinationen in Studiengängen punkten. Wir haben zum Beispiel in den Sozialwissenschaften einen Studiengang, der das Völkerrecht und internationale Recht mit der internationalen Politik verbindet. Das hat uns einige international renommierte Völkerrechtler beschert. Sie könnten in einer rein juristischen Fakultät nicht so wirken wie bei uns ohne juristische Fakultät, aber viel freier mit anderen Studierenden. In den Ingenieurwissenschaften ist es natürlich schwer, gegen die TU München, die in aller Breite und Tiefe alles abdeckt, anzukommen. Auch hier haben wir unser Profil geschärft, vor allem in den Bereichen Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung. Da GALILEO bei uns auf dem Campus mitentwickelt worden ist, hatten wir einen kleinen Vorsprung.

F&L: Die Ausschreibung von Professuren und die Berufung von Professorinnen und Professoren muss sich die  Bundeswehruniversität gleich von zwei Ministerien, dem Bundesministerium für Verteidigung und dem Bayerischen Wissenschaftsministerium, genehmigen lassen. Von Hochschulautonomie kann da eigentlich keine Rede sein…

Merith Niehuss: Wir haben praktisch doppelte Arbeit und doppelte Wege – aber es ist sehr eingespielt. Die Bayern nehmen ihre akademische Hoheit stark wahr. Insbesondere bei Berufungen an die angeschlossene Fachhochschule merken wir das. Bei den dort zu berufenden Professorinnen und Professoren besteht die Anforderung, eine bestimmte Anzahl von Jahren außerhalb der Universität beschäftigt gewesen zu sein. Das wäre dem Verteidigungsministerium egal, aber dem bayerischen Wissenschaftsministerium nicht. Letzteres schaut da sehr genau drauf und gibt auch schon mal eine Liste zurück.

F&L: In anderen Bundesländern gibt es mehr Autonomie für die Hochschulleitung. Hätten Sie gerne mehr Handlungsspielraum?

Merith Niehuss: Das ist ein dickes Brett. Aber ich muss sagen, wir sind in der Geschichte dieser Universität, seit ich sie kenne, mit den Ministern nie schlecht gefahren. Keines der Ministerien hat je in eine Liste eingegriffen – was bei anderen Landesministerien durchaus vorkommt.

F&L: Ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter und die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Berufstätigkeit gehören zu den Zielen der Bundeswehruniversität. Aktuell liegt der Frauenanteil bei den Professuren bei 16 Prozent. Laut viertem Gleichstellungsplan (2016-19) sollen mit der Umsetzung von "objektiven, wertschätzenden und transparenten Berufungsverfahren" mehr Professorinnen gewonnen werden. Das klingt nach Nachholbedarf in Sachen Chancengleichheit…

Merith Niehuss: Da würde ich mich natürlich sehr dagegen wehren. Wir haben aber realisiert, an welchen Stellen wir bisher zu wenig getan haben. In den letzten Jahren legen wir deshalb noch sehr viel mehr Wert darauf, Frauen zu gewinnen. Manchmal ist man auch etwas betriebsblind. Wir haben zu wenig bedacht, dass gerade Frauen das Wort "Bundeswehr" in Stellenausschreibungen weit mehr abschreckt als Männer. Frauen in den Gesellschaftswissenschaften bewerben sich oft nicht, überblättern das sozusagen, weil sie mit der Bundeswehr nichts am Hut haben und weil sie Sorge haben, dass alles zu militärisch ist oder sie in ihrer Forschung und Lehre nicht frei sind. Das ist uns jetzt schmerzlich bewusst geworden und wir haben eine ganz andere Strategie eingeschlagen, die andere Landesuniversitäten schon anwenden. Berufungskommissionsvorsitzende kontaktieren bei jedem Berufungsverfahren alle in Frage kommenden Privatdozentinnen oder auch Professorinnen über Listen und Netze und erläutern, dass auch die Universität der Bundeswehr eine ganz normale Hochschule ist  – und das mit großem Erfolg. Wir haben zwischen 2016 und 2019 insgesamt 30 Professuren besetzt. Davon waren neun Frauen, das sind 30 Prozent. Die aktive Suche und Ansprache von Kandidatinnen hilft ungemein. Aber wir wollen – und da bin ich gleichauf mit allen bayerischen Universitäten – wirklich nur die Besten. Wir würden es niemals erzwingen, eine Frau, die nicht an die erste Stelle einer Liste gehört, zu nehmen. In diesem Punkt sind wir uns alle sehr einig. Und das sorgt auch für große Zufriedenheit in der Universität. Gerade die Ingenieure bemühen sich ja intensiv, Frauen zu gewinnen. Und wenn sie guten Gewissens sagen können, es war keine Frau dabei, die gut genug war, um sie ganz vorne zu platzieren, dann reicht mir das.

F&L: Wie geht die Bundeswehruniversität mit dem Imageproblem um?

Merith Niehuss: Der Name "Universität der Bundeswehr" kommt immer noch nicht überall positiv an und ist immer noch mit Vorurteilen belastet, unter anderem damit, dass es sich um Militärforschung handelt. Das wird natürlich bei der Gewinnung von Frauen stärker spürbar. Die Ingenieure haben keine Probleme mit dem Wort Bundeswehr, weil alle Ingenieurforschung in der Regel dual (militärisch und zivil) ist. Unsere Forschung ist zum Teil weit weg vom Militär. Es handelt sich eher um Zufälle, wenn sich Kolleginnen und Kollegen zusammentun und bundeswehrnah forschen. Natürlich gibt es das eher bei uns als bei anderen. Gegen das Imageproblem arbeiten wir in der Presse ganz stark an. Wir werden ein Marketingprogramm für den Nachwuchs aufsetzen, um diesem Image entgegenzutreten und um uns als Arbeitgeber auf dem Markt besser darstellen zu können. Aber ich würde den Namen der Universität deswegen nicht ändern. Ich will das nicht vertuschen. Mein Anliegen ist mehr, die Bundeswehr wieder in die Gesellschaft zu tragen, wo sie hingehört, und sie als ganz normalen Teil dieser Gesellschaft zu positionieren. Wir nehmen die Soldateninnen und Soldaten nach dem Abitur aus der Gesellschaft, und wir geben 80 Prozent unserer Absolventen nach 13 Jahren wieder in das zivile Leben zurück.

F&L: An der Universität der Bundeswehr München soll bereits bei der Ausschreibung eine fachbereichsspezifische Gleichstellungsquote eingehalten werden. Wie wirkt sich das auf die Zusammensetzung der Berufungskommissionen aus?

Merith Niehuss: Wir haben wie alle Universitäten vor allem in den technischen Bereichen das Problem, dass es nicht genug Frauen gibt. Wir machen jetzt für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Berufungskommission ein Seminar über "unconscious bias". Ein Psychologe weist darauf hin, welche Vorbehalte man persönlich haben kann, ohne sie zu kennen. Das zielt natürlich ganz stark auch auf Gleichstellung, aber auch auf "Diversity". Ich erinnere mich, dass ich selbst mal aus einer Berufungsverhandlung rausgeflogen bin, weil ich ein rosarotes Kostüm trug, dessen Rock für die Berufungskommission etwas zu kurz war.

F&L: Wann existiert Ihrer Meinung nach ein Spannungsfeld zwischen Bestenauslese und Gleichstellung?

Merith Niehuss: Es gibt ja immer diese theoretischen Rechenbeispiele, indem man zum Beispiel pro Kind zwei Jahre abzieht oder dazu gibt, je nachdem. In der Realität bewirbt sich dann eine Frau mit zwei Kindern, die nie im Ausland war und die natürlich weniger veröffentlicht hat. Dieser Frau steht ein Mann gegenüber, der das alles vorweisen kann. Wenn ich mich für die Frau entscheiden wollte, müsste ich also sagen, dass sie das in der Zukunft alles besser machen wird als er.

F&L: Frauen haben häufig durch Familienarbeit keinen so geradlinigen Lebenslauf wie Männer. Wird das noch als Manko angesehen?

Merith Niehuss: Überhaupt nicht, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Ich sage nur, dass die Aufrechnung formal nicht funktioniert (pro Kind zwei Jahre...). Man muss sich die Person anschauen und aus der Persönlichkeit einer sich bewerbenden Frau heraus urteilen können, in welcher Zeit sie etwas aufholt, ob sie die Zukunftsperspektive mitbringt, wirklich gut zu sein, das lässt sich nicht formalisieren. Große Unterschiede, wie ich sie oben beschrieb, lassen sich nicht mehr wettmachen.

"Exzellenzuniversitäten können für sehr qualifizierte Ehepartner beziehungsweise Ehepartnerinnen Stellen schaffen. Das kann ich nicht."

F&L: Wie reagiert die Gleichstellungsbeauftragte darauf?

Merith Niehuss: Wir haben mit der Gleichstellungsbeauftragten diese Probleme intensiv besprochen, und aus den Berufungskommissionen ist ihr das ja bekannt, denn sie schaut zum Beispiel im Auswahlprozess von Ingenieur-Professuren genau hin. Ganz selten kam es vor, dass sie auf der Liste eine Frau platzieren wollte. Dann ist der Senat meist darauf eingegangen und hat den Bericht zurückgegeben und um Diskussion gebeten. Es gab auch schon mal Einwürfe der Gleichstellungsbeauftragten des Verteidigungsministeriums. Auch damit können wir gut umgehen, weil wir das erklären können. Sowohl die zivile als auch die militärische Gleichstellungsbeauftragte verfolgen die Bewerbungs- und Auswahlprozesse und sehen, welcher Aufwand dahintersteht, Frauen zu gewinnen.

F&L: Können in Berufungsverhandlungen Rufinhaberinnen und Rufinhaber auch "Dual-Career Couple"-Konstellationen verhandeln?

Merith Niehuss: In der Berufungsverhandlung mit mir ja. Wir arbeiten beim Thema Dual Career eng mit der TU München zusammen, die über ein großes Dual Career-Center verfügt. Dual Career ist ein ständiges Problem. Das größte Problem ist folgende Konstellation: Männer, die wir unbedingt haben wollen, und deren Frauen, die Lehrerin sind. Wir fragen dann beim zuständigen bayerischen Minister an. Dieser Prozess dauert meist sehr lange, wir erhalten ja nicht sofort eine Antwort. Dann ist die Verhandlung bei uns schon gelaufen, aber die Bewerber haben ein erstes Gefühl, ob es klappen könnte oder nicht. Danach entscheiden sie dann oft schon. Wir hatten auch schon mal den Fall, dass ein Professor, den wir berufen haben, mit einem männlichen Partner kam. Für ihn, ein sehr hoher Beamter,  konnten wir auch keine Stelle finden.

F&L: Stehen die TU und die Universität München auch vor diesen Problemen?

Merith Niehuss: Ja. Aber wahrscheinlich handelt es sich dort häufiger um einen renommierten Ruf, den man weniger ablehnt. Darüber hinaus können Exzellenzuniversitäten für sehr qualifizierte Ehepartner bzw. Ehepartnerinnen Stellen schaffen. Das kann ich nicht. Wir locken inzwischen mit unserer Kinderkrippe beziehungsweise unserem Kindergarten, das zieht auch.

F&L: Welche Modelle bietet die Universität an, wenn eine Professorin direkt nach der Berufung in den Mutterschutz geht?

Merith Niehuss: Wir hatten den Fall gerade erst, und wir haben dann die Professur, solange die Frau in Elternzeit war, vertreten lassen. Für die Mutterschutzzeit, sechs Wochen vor und nach der Geburt, haben wir ein Programm für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Stellen drittmittelfinanziert sind. Mit diesen Programmmitteln können die Professorinnen und Professoren die nächsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen.

F&L: Sie sind von Hause aus Historikerin und Genderforscherin. Woran liegt es Ihrer Ansicht nach, dass zu wenige Frauen in Deutschland in Führungspositionen kommen und immer noch zu wenig Frauen Professorin werden?

Merith Niehuss: Ich glaube, ganz wichtig ist diese role-model-Qualität. Junge Frauen müssen sehen können: So etwas kann ich auch werden. Professorinnen müssen sichtbar sein, auch weibliche Dax-Vorstände, sie müssen präsent mit Gesicht und Stimme sein.

F&L: Und wie stehen Sie zur Quote?

Merith Niehuss: Quote ist in den Bereichen wichtig, wo es viele Frauen gibt, die nicht zum Zuge kommen. In der Politik zum Beispiel, das ist für mich ein typischer Fall für eine Quote. Eine Quote in der Wissenschaft lehne ich eher ab: In den Ingenieurfächern müssen wir erst einmal gute Frauen rekrutieren. In den Gesellschaftswissenschaften könnte man sich eine vorstellen. Aber solange ich mit unserer Gleichstellungsbeauftragten sowie mit den Professorinnen und Professoren gut zusammenarbeite, möchte ich die Quote vermeiden.

F&L: Frau Professor Niehuss, vielen Dank für das Gespräch.