die Spitze einer roten Leiter ragt aus einer Luke in einem gekachelten Boden
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Tenure-Track-Professuren
Tenure Track im internationalen Vergleich

Der Tenure Track ist in Deutschland mit einigen Herausforderungen verbunden. Warum ist das so? Ein Vergleich mit Hochschulsystemen anderer Länder.

Von Georg Krausch 14.09.2022

Das Modell der Tenure-Track-Professur gilt gemeinhin als attraktive Alternative zu traditionellen Qualifikationswegen im deutschen Wissenschaftssystem. Frühe wissenschaftliche Selbstständigkeit verbunden mit der Perspektive, dauerhaft in derselben Einrichtung arbeiten zu können, sind dabei zweifellos positive Aspekte aus dem Blickwinkel der betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Es lohnt jedoch, den Blick zu weiten und sowohl den Karriereweg im Lichte der spezifischen Situation der deutschen Hochschullandschaft zu betrachten als auch die Perspektive der aufnehmenden Hochschulen in die Überlegungen miteinzubeziehen. Auf diese Weise ergibt sich für beide Partner ein durchaus differenziertes Bild.

Differenziertes Bild des Tenure Tracks

Die Attraktivität der Tenure-Track-Professur für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht zunächst darin, dass bei erfolgreicher Arbeit eine Lebenszeitstelle in Aussicht steht. Was "erfolgreiche Arbeit" bedeutet, wird dabei typischerweise ex ante im Rahmen einer (Ziel-)Vereinbarung festgelegt. Das erhöht die Planbarkeit der eigenen Karriere zumindest in dem Maße, in dem die Ergebnisse interessanter Forschung überhaupt planbar sein können. Die Perspektive der Dauerbeschäftigung ist auch im Hinblick auf die "Aufbauarbeit" vorteilhaft, die zu Beginn einer wissenschaftlichen Tätigkeit an einer neuen Institution ansteht: die Vernetzung mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Mitarbeit in Forschungsverbünden und in der Lehre und nicht zuletzt der Aufbau von (apparativen) Infrastrukturen für die eigene Forschung – all dies geschieht nun vor der Perspektive einer längerfristigen Tätigkeit. Nicht zuletzt ist die Perspektive der dauerhaften Beschäftigung im Hinblick auf die individuelle Lebensplanung und die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Familie zweifellos vorteilhaft.

Ähnliche Überlegungen gelten auch für die aufnehmende Universität, die ebenfalls in nicht unerheblichem Maße investiert, wenn ein neues Mitglied integriert wird. Dies umfasst Ressourcen für eine (apparative) Erstausstattung und Zeit zur Vorbereitung gemeinsamer Vorhaben in Lehre und Forschung. Wissenschaftliche Talente zu gewinnen, in die Universität zu integrieren und sie frühzeitig auch in strategische Prozesse beispielsweise im Kontext inhaltlicher Neuausrichtungen einzubinden, befördert zudem die Perspektivenvielfalt und trägt zur Profilierung bei. Die Tenure-Option ermöglicht die hierzu notwendige Nachhaltigkeit. Auch die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Lebensplanung wirkt positiv auf die Universität zurück – wenn junge Familien erst einmal vor Ort verwurzelt sind, ist es in der Regel einfacher, die Betroffenen im Fall eines Außenrufs für einen Verbleib an der Universität zu gewinnen. Die Besetzung einer Tenure-Track-Professur motiviert die Fachbereiche zudem, die eigenen Erwartungen sowie Anforderungen an die zu Berufenen zu reflektieren, was jedem Berufungsprozess im Sinne eines realistischen Anforderungsprofils für Stellenausschreibung und Auswahlprozess nur dienlich sein kann. Angesichts des jungen wissenschaftlichen Alters der Kandidatinnen und Kandidaten müssen Fragen der Potenzialanalyse und der konkreten Erwartung beantwortet werden. Schließlich benötigen die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zugang zu Infrastrukturen, die in der Vergangenheit oft einzelnen Professuren zugeordnet waren. Der längst überfällige Abschied von großen Lehrstühlen mit üppiger (apparativer) Ausstattung zugunsten schlanker Hierarchien mit gemeinsam genutzten Infrastrukturen (Core Facilities) ist eine Conditio sine qua non für eine tatsächliche frühe wissenschaftliche Selbstständigkeit. Hier wirken die Tenure-Track-Professuren als Katalysatoren einer lange überfälligen Anpassung der deutschen Universitäten an internationale Standards.

Tenure-Track-Modelle anderer Länder

Vergleicht man die Tenure-Track-Professur an deutschen Universitäten mit entsprechenden Modellen anderer Länder, so ergeben sich einige relevante Unterschiede, die im hochschulpolitischen Diskurs häufig zu kurz kommen. Als Beispiel sei hier das US-amerikanische Universitätssystem betrachtet, das vielfältige mögliche Arbeitgeber für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kennt: Alle Bildungseinrichtungen des tertiären Bildungssektors, von der Ivy-League-Universität bis zum Community College, tragen das Label "university" und stellen Professuren als attraktive Arbeitsplätze zur Verfügung. Dabei ist auch das Aufgabenspektrum durchaus divers: von starker Forschungsorientierung an den Spitzenuniversitäten bis hin zur Dominanz der Lehraufgaben an einem Community College. Dies ist ein gravierender Unterschied zum deutschen Universitätssystem, das viel geringere Qualitätsunterschiede zwischen den verschiedenen Universitäten aufweist. Während eine negative Tenure-Entscheidung an einer US-amerikanischen Top-Universität mitnichten einen Makel im wissenschaftlichen Lebenslauf darstellt, bedeutet eine negative Tenure-Entscheidung an einer deutschen Universität de facto ein signifikantes Berufungshindernis an allen anderen deutschen Universitäten. Anders als im US-amerikanischen System besteht deshalb die Gefahr, dass die Kontingenzen einer einmaligen Entscheidung die wissenschaftliche Karriere (zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt) nachhaltig beenden können. Hier scheint die klassische Bewerbung auf eine erste Lebenszeitprofessur am Ende einer nicht mit Tenure-Option versehenen Qualifikationsphase eine größere Zahl an Möglichkeiten zu bieten, zumal eine erfolglose Bewerbung auf eine Professur üblicherweise nicht im Lebenslauf erscheint und schon aus diesem Grund keinen Einfluss auf die weitere Karriere hat. Auch der Mangel an angesehenen beruflichen Optionen als "Vorstufe" oder Alternative zur Professur, wie sie das angelsächsische Universitätssystem beispielsweise als Lecturer oder Reader kennt, ist ein Nachteil im deutschen Karrieresystem.

Herausforderungen des Tenure Tracks

Die oben angeführten Unterschiede der Universitätssysteme stellen auch die aufnehmenden Universitäten vor Herausforderungen. Kleine, universitätsweite Tenure-Kommissionen, die die Nachteile fachnaher, aber häufig befangener Kommissionen überwinden sollen, sind in besonderer Weise auf den Rat externer Fachleute angewiesen. Wenn aber eine negative Tenure-Entscheidung eine wissenschaftliche Karriere faktisch beenden kann, dann tragen die Gutachterinnen und Gutachter  eine übergroße Verantwortung. Können unter diesen Voraussetzungen überhaupt ehrliche Gutachten erwartet werden? Das mag bezweifelt werden und wird von der fachspezifischen Kultur des Begutachtens abhängen.

"Wenn eine negative Tenure-Entscheidung eine wissenschaftliche Karriere faktisch beenden kann, dann tragen die Gutachter eine übergroße Verantwortung."

Will man also Fehlentscheidungen zu Ungunsten der Universität abwenden, muss der Auswahlprozess bei der Besetzung der Tenure-Track-Professur bestmöglich gelingen. Dies wirft die Frage auf, zu welchem Zeitpunkt in einer wissenschaftlichen Karriere eine belastbare Potenzialanalyse überhaupt möglich ist. Hier kann es in besonderer Weise hilfreich sein, die fachwissenschaftliche Expertise der Berufungskommissionen durch Kompetenz in der Potenzialermittlung zu ergänzen. Wiederum sind fachkulturelle Unterschiede zu erwarten und zu berücksichtigen: Während in vielen Geistes- und Sozialwissenschaften bereits die Dissertationsschrift von den Promovenden weitgehend eigenständig und in Alleinautorschaft verfasst ist und damit eine belastbare Qualitätsprüfung ermöglichen mag, basieren die oft kumulativen Promotionen in den experimentellen Fächern der Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaften in der Regel auf einer Reihe von Publikationen, die nicht alleine, sondern im Team und unter Anleitung erfahrener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erarbeitet worden sind. Dies gilt de facto häufig selbst dann, wenn die Dissertationsschrift formal als Monografie vorgelegt wird. Die Qualität dieser Arbeiten sagt daher oft mehr über die Betreuenden aus als über die Promovierenden selbst. Da nun die Betreuenden in der Regel die Einzigen sind, die über den spezifischen Beitrag der einzelnen Promovierenden zur Qualität der in der Doktorarbeit vorgelegten Ergebnisse verlässlich Auskunft geben können, liegt die Versuchung nahe, im Rahmen des Berufungsprozesses informell entsprechende Auskünfte einzuholen. Dass eine solche, durch "Netzwerken" unterstützte Personalauswahl an längst vergangen geglaubte Zeiten erinnert und einem transparenten Auswahlprozess und nicht zuletzt den Anliegen der Bestenauslese und der Gleichstellung der Geschlechter nicht dienlich sein kann, muss hier nicht weiter ausgeführt werden.

Unzureichend formulierte Probleme

Die Tenure-Track-Professur ist für Kandidatinnen und Kandidaten und für die Universitäten aus den gleichen Gründen attraktiv wie an ausländischen Universitäten. Die homogenere deutsche Universitätslandschaft birgt jedoch sowohl für die Kandidatinnen und Kandidaten wie auch für die Universitäten Probleme, die bislang unzureichend formuliert und adressiert, geschweige denn gelöst wurden, und die alle Beteiligten sowohl im Hinblick auf die eigene Karriere wie auch auf die Entwicklung der Universität im Blick behalten sollten. Es ist eine lohnende Aufgabe, in einigen Jahren die Erfahrungen mit den 1.000 Tenure-Track-Professuren, die im Rahmen des Bund-Länder-Programms zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zur Verfügung gestellt wurden, zusammenzutragen und dahingehend zu untersuchen. Dies sollte auf einer vergleichsweise breiten Datenbasis systematische Erkenntnisse und neue Impulse für die Weiterentwicklung dieses Karrierewegs innerhalb der spezifischen deutschen Universitätslandschaft ermöglichen.

Zum Weiterlesen

Teile dieser Überlegungen wurden auf der Tagung "Die Tenure-Track Professur – Impulsgeberin für das deutsche Wissenschaftssystem" 2020 in Berlin vorgestellt und sind in der gleichnamigen Dokumentation (Autorin: Angela Borgwardt, ISBN: 978-3-00-069217-8) veröffentlicht.