Künstliche Intelligenz
ChatGPT – ein Meilenstein der KI-Entwicklung
Seit dem 30. November 2022 ist meine Welt – und die vieler Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten – gefühlt eine andere Welt, die uns in eine "Neuzeit" führt, von der wir noch nicht wissen, ob wir sie lieben oder fürchten sollen. Der Ableger und Prototyp ChatGPT des derzeit (zumindest in der westlichen Welt) führenden generativen KI-Sprachmodells GPT-3 von OpenAI wurde am 30. November veröffentlicht und ist seit dieser Zeit für jeden frei zugänglich und kostenlos. Was zunächst als unspektakuläre Ankündigung von OpenAI anmutete, nämlich das seit 2020 bereits verfügbare KI-Sprachmodell GPT-3 nun in leicht modifizierter Version (GPT-3,5) als Chat-Variante für die Echtzeit-Kommunikation bereitzustellen, entpuppt sich in der Anwendung – aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer – als Meilenstein der KI-Entwicklung.
Fakt ist, dass die Leistungsvielfalt und -stärke von ChatGPT selbst IT-Expertinnen und -Experten überrascht hat und sie zu einer Fülle von Superlativen in der Bewertung veranlasst, jedoch immer in Kombination mit Hinweisen zur fehlenden Faktentreue und Verlässlichkeit derartiger generativer KI-Modelle. Mit WebGPT von OpenAI steht aber bereits ein Forschungsprototyp bereit, der mit integrierter Internetsuchfunktion die "Halluzinationen" aktueller GPT-Varianten ausmerzen könnte. Für den Bildungssektor stellt sich die Frage, wie sich das Lehren und Lernen an Hochschulen (und nicht nur dort) verändern wird, wenn derartige KI-Werkzeuge omnipräsent sind und mit ihrer Hilfe nicht nur die Hausarbeit "per Knopfdruck" erstellt werden kann. Beeindruckend ist zudem die fachliche Bandbreite von ChatGPT, siehe den Tweet von @davidtsong, der ChatGPT dem Studierfähigkeitstest SAT unterzogen hat.
Der Text in der Box "Beispiel 1" war zum Beispiel das von ChatGPT generierte Ergebnis zu dieser von mir formulierten Aufgabe: Erstelle mir bitte einen Essay zu den Auswirkungen von generativen KI-Modellen für die Zukunft des Lehrens und Lernens an Hochschulen und berücksichtige bitte auch den Bereich der Forschung aus Sicht der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
Anwendung von ChatGPT – Beispiel 1:
"Generative KI-Modelle bieten für die Zukunft des Lehrens und Lernens an Hochschulen eine Vielzahl von Möglichkeiten und Herausforderungen.
Durch ihre Fähigkeit, menschenähnliche Inhalte zu erzeugen, können sie das Lernen personalisieren und individuelle Bedürfnisse besser berücksichtigen. Zudem können sie das Lernen effizienter und zugänglicher machen, indem sie lernförderliche Inhalte in Echtzeit erstellen und Lernende 24/7 unterstützen.
In Bezug auf den Bereich der Forschung bieten generative KI-Modelle die Möglichkeit, große Datenmengen schneller und präziser zu analysieren und neue Erkenntnisse und Perspektiven zu gewinnen. Sie können auch dazu beitragen, die Qualität und Validität von Forschungsergebnissen zu verbessern, indem sie unvoreingenommene und objektive Analysen durchführen.
Allerdings birgt die zunehmende Verwendung von generativen KI-Modellen auch einige Herausforderungen und Risiken. Zum einen können sie die menschliche Kreativität und Innovation einschränken, indem sie die Lernenden dazu ermutigen, auf vorgefertigte Inhalte und Lösungen zurückzugreifen. Zum anderen können sie dazu führen, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten vernachlässigen und sich auf die Ergebnisse von KI-Modellen verlassen.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist es wichtig, dass Hochschulen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich bewusst für die verantwortungsvolle und ethische Verwendung von generativen KI-Modellen entscheiden. Dies kann durch die Einführung von Schulungen und Richtlinien zur sicheren und ethischen Verwendung von KI erreicht werden, um die Lernenden und die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dazu zu ermutigen, die Vorteile von generativen KI-Modellen zu nutzen, ohne die menschliche Kreativität und Innovation einzuschränken.
Insgesamt bieten generative KI-Modelle für die Zukunft des Lehrens und Lernens an Hochschulen sowie für den Bereich der Forschung eine Vielzahl von Möglichkeiten und Herausforderungen. Während sie das Lernen personalisieren und die Effizienz und Zugänglichkeit verbessern können, können sie auch die menschliche Kreativität und Innovation einschränken und die Qualität von Forschungsergebnissen beeinträchtigen. Daher ist es wichtig, dass Hochschulen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich bewusst für die verantwortungsvolle und ethische Verwendung von generativen KI-Modellen entscheiden und die notwendigen Schulungen und Richtlinien einführen, um die Vorteile von KI zu nutzen, ohne die menschliche Expertise zu vernachlässigen."
ChatGPT-generierter Text, prompted von Doris Weßels, 10.12.2022
Besonders spannend wird es, wenn diese KI-Systeme einen Text anhand vorgegebener Kriterien bewerten und ihre Bewertung auch noch begründen müssen. Selbst hier zeigt ChatGPT bei diesen Kriterien:
Bewerte aussagekräftig und ausführlich den nachfolgenden Text anhand dieser vier Kategorien, jeweils nach Schulnoten von 1 = sehr gut bis 5 = ungenügend:
K1: Korrektheit der Aussagen,
K2: Qualität des Aufbaus und der Argumentation,
K3: Qualität der Diskussion und Reflexion und
K4: Qualität der Sprache
und dem zuvor (von dem System selbst generierten) Text bereits sein vorhandenes Potenzial für das "Automated Essay Scoring", auch wenn es noch in den Kinderschuhen steckt.
Anwendung von ChatGPT – Beispiel 2:
"K1: Die Aussagen in dem Text sind korrekt und entsprechen dem aktuellen Stand der Technik.
K2: Der Aufbau des Textes ist gut, indem er zunächst die Vorteile von generativen KI-Modellen im Bereich des Lehrens und Lernens und der Forschung darlegt, bevor er die Herausforderungen und Risiken beschreibt, die damit verbunden sind.
K3: Der Text diskutiert die Vorteile und Herausforderungen von generativen KI-Modellen ausführlich und reflektiert darüber, wie sie verantwortungsvoll und ethisch eingesetzt werden können, um ihre potenziellen Risiken zu minimieren.
K4: Die Sprache des Textes ist klar und gut verständlich, wodurch er insgesamt eine sehr gute Qualität hat. Insgesamt würde ich dem Text eine Schulnote von 1 bis 2 geben."
ChatGPT-generierter Text, prompted von Doris Weßels, 10.12.2022
Diese zu erwartende Prozesskette, bei der Studierende KI-gestützt Texte generieren und im zweiten Schritt deren Elaborate von uns Lehrenden KI-gestützt bewertet werden, führt uns mit zunehmendem Grad an Automatisierung, den wir in diesem Kontext unterstellen dürfen, perspektivisch in einen grotesken Gesamtablauf, da im Hintergrund "nur" noch zwei KI-Prozesse interagieren würden. Er verschärft sich dadurch, dass Studierende natürlich durch Einsatz dieser Bewertungskriterien zuvor "optimierte" Texte produzieren (lassen) könnten. Wir benötigen daher neue Lehr- und Lernsettings, die als zielführend und sinnstiftend sowohl von Lehrenden wie auch Lernenden empfunden werden.
Thesen zum künftigen Einsatz von Chatbots in der Lehre
Meine Zukunftsthesen lauten daher wie folgt:
- KI-Chatbot-Systeme werden zum persönlichen Lernbegleiter und damit zu einem individualisierten Lern-Bot für die Lernenden.
- "Rein deskriptive und synthetisierende, auf vorhandene Literaturquellen bezogene Arbeiten" verlieren an Bedeutung, während mündliche Prüfungsgespräche zunehmen werden. Flankierend dazu werden KI-gestützte Prüfbots eingesetzt werden.
- Für die Bewertung schriftlicher Studien- und Abschlussarbeiten werden sich neue Ansätze etablieren, die nicht nur das Endergebnis, sondern auch explizit den Prozess der Entstehung des Dokumentes berücksichtigen. Für diesen prozessualen Aspekt könnten wiederum zwei Kriterien in die Bewertung einfließen: Der inhaltlich/methodische Aufbau im Sinne eines Forschungsdesigns und das dazu ausgewählte technische Tool-Design inklusive KI-gestützter Werkzeuge.
- Wir Lehrenden werden zu Architektinnen und Gestaltern des virtuellen (zum Beispiel Virtual Spaces wie Metaverse) und analogen Lernraums, wobei die Rolle der Lernbegleitung mit der Navigationsfunktion für die Lernenden und die Gestaltung des sozialen Raums von besonderer Relevanz sein werden.
Welche weiteren Auswirkungen ergeben sich durch diese Entwicklung für Suchmaschinenanbieter wie zum Beispiel Google? Wieso dort einen Begriff eingeben, wenn moderne KI-Chatbots gleich eine komplette Erklärung liefern und ich weiter nachfragen kann? Welche Marktverschiebungen werden sich durch diese Entwicklung ergeben? Droht nun ein Krieg der Internet-Giganten (zum Beispiel Google als Suchmaschinenanbieter versus Microsoft, das eine Exklusivlizenz von GPT-3 hat), die mit eigenen KI-Sprachmodellen die Macht der Sprache für sich erobern wollen? Es geht bereits heute nicht nur um die "Macht der Sprache", sondern es geht längst um die Macht der multimedialen Formate.
Der nächste Innovationsschub steht mit GPT-4 bereits vor der Tür, das in den nächsten Monaten erscheinen soll und sowohl eine höhere Geschwindigkeit wie auch Qualitätssteigerung verspricht. Wenn wir den historischen Rückblick wagen, so haben wir seit der Entstehung des Internets bis heute eine kontinuierliche Beschleunigung digitaler Innovationen erlebt. Die Zukunft der Bildung in einer multimodalen Welt generativer KI-Modelle fordert uns als Gestalterinnen und Gestalter von Bildungsprozessen mehr denn je heraus. Stellen wir uns der Herausforderung und punkten mit Adaptivität, Kreativität und Schnelligkeit. Abschließend bleibt uns eine Sicherheit in diesen unsicheren Zeiten: Die "Neuzeit" wird uns fordern! Und hoffentlich auch in unserer Entwicklung fördern.
Die Autorin leitet das Virtuelle Kompetenzzentrum "Schreiben lehren und lernen mit Künstlicher Intelligenz – Tools und Techniken für Bildung und Wissenschaft".
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